9
Jun
2013

Lieber Papa,

heute hättest du Geburtstag. Und Vatertag ist auch. Ich vermisse dich so sehr.

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Eben sprichst du mit mir. Ich kopiere alte Filme und mit schlechtem Gewissen blicke ich auf mein unvollendetes Portrait von dir. Edition Lebens-Wert. Du warst wahrscheinlich enttäuscht, dass ich das – wie so vieles - nicht fertig gemacht habe. Konsequent, wie du deinen Weg gegangen bist.

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Deine erste Erinnerung: Eine Nazibombe vor der elterlichen Wohnung plaziert, ein netter Polizist, der sich später als Nazi entpuppte. Du sitzt im Garten, die Sonne scheint und hinter dir ist „die Frau“.Du lachst, als du meine Worte wiederholst: „Eigentlich ein Böser.“. Viel zu spät verbringe ich heute den Vatertag mit ddir Papa. Nach Prag bist du gereist als kleiner Junge, ganz allein mit der Mutter und hast einen Riesen gesehen. 1938 seid ihr in unser Haus gezogen, du bist mit der Straßenbahn in die Volksschule gefahren. Die gute alten Vierer. Dort habt ihr euch auch kennengelernt. Als kleines Mädchen bn ich an der Mutter ihrer Hand, den Teddybären im Arm damit in die Stadt gefahren. Ein Schnaubärtiger Schaffner und drohte dem Bären ein Loch ins Ohr zu knipsen. Lachen zwischen Furcht und Erleichterung. Und später saßen wir auf den Holzbänken einen Sack mit Büchern auf den Knien, sechs Stück, mehr gab die Bibliothekarin nicht her. „Die Brüder Löwenherz“ und „Jim Knopf“, die „Geschichte des Tiroler Freiheitskampfs“ und Auguste Lechner. Aber das ist meine Geschichte und erst kam deine, Papalatschi. Erzähl weiter.

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In der Nacht der Machtübernahme durch die Nazis haben sie Opa verhaftet und weggebracht „meinen Vater“ sagst du. Und „das war ein Rieseneinschnitt“. Und dann erzählst du wie es war, als ihr verdunkeln musstet und dabei nicht an die Herzchen in den Jalousien gedacht habt. Du malst ein Herz in die Luft. „Wir haben nicht bedacht, dass durch die Herzchen ein kleiner Lichtschimmer hinausgeht. Und dann ist der Herr Blockwart von der NSDAP gekommen, ein sehr strenger Herr, und hat uns sehr gerügt, dass wir der Verdunkelung hier nicht vollkommen nachkommen.“ Ich liebe deine Sprache, Papa, die wohl gewogenen Worte, ein wenig antiquiert und doch rein und klar. „Die waren ja ungeheuer wichtig, wichtig gemacht... Das war eine unangenehme Bespitzelung.“

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Vaterlos bist du aufgewachsen, der Vater hatte Gauverbot, kam nur einmal im Monat und es gab Telefontermine beim „Altwirt“. Als der große Bruder als Praktikant in den Allgäu ging, wart ihr allein, deine Mutter und du. „Die Mutter war ja nach den Nürnberger Gesetzes... war sie ja ...Halbjüdin“, sagst du und zögerst vor dem letzten Wort. Und setzt gleich wieder an: „Obwohl sie katholisch getauft war. Auch ihr Vater katholisch getauft war. Ihre Mutter war bis zu ihrer Eheschließung mosaisch. Und nach den Nürnberger Gesetzen galt das las Volljude von der Konzession. Das ist plötzlich herausgekommen. Wir haben ja nichts gewusst davon.“ Einen Stern hätte die Großmutter tragen müssen und auf ihrem Ausweis prangte ein großes J. Mich hat sie das Vaterunser gelehrt. Die Nachbarn, die meisten, hätten sich sehr, sehr gut benommen, versicherst du.

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Du warst „natürlich“ bei der HJ in unserem Heimatdorf. „Einer, der in die Oberschule gegangen ist, der eine höhere Erziehung genossen hat.“ Die HJ-Führung hat dich daher immer wieder zu „Gedichtaufsagen, Schaukämpfen, Boxen und dergleichen herangezogen“ erzählst du. Das „Zirkuspferd“ hab ich von dir; damals – auch - Überlebensstrategie. „Die haben mich sehr gerne mögen, weil ich verwendbar war“. Ach, Papa, das kenne ich. Zwei Tage haben sie dich untersucht, gestestet, Körperlich und geistige, den Schädel vermessen, „Und sie konnten also kein jüdisches Erbgut entdecken“, lachst du.

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Später, nachdem die ersten Bomben gefallen sind, wurden schon die Buben mit Aufgaben betraut. Du warst Schriftführer bei Musterungen, erklärst du. Und dann erzählst du dein größtes „Abenteuer“, ich kenne die Geschichte, sie hat mich als Kind sehr beeindruckt. Du wurdest aus der Schule geholt, hast einen „Sonderausweis“ bekommen und wurdest mit einem Rucksack zu Messerschmitt nach Gera geschickt. Mit gerade vierzehn. Immer wieder flogen Bomben, die Fahrt war lang und wurde häufig unterbrochen. Ein Flugzeug fliegt über den Garten.Du erzählst von der Frau, die sich als aus dem Orden vertriebene Klosterschwester entpuppte. In Halle an der Saale hat sie dir ein Quartier verschafft. „In Gera hat die Stadt gebrannt, in der Nacht war ein Fliegerangriff. Ich bin dann mit meinem Rucksack in das Werk und wurde interessanterweise wie ein Held Ich bin dann mit meinem Rucksack in das Werk und wurde interessanterweise wie ein Held empfangen.Es hat geheißen, es kommt wer und holt das ab und bringt es in die Ostmark und dort wird das verwendet.“, erzählst du und ich frage mich, wem du die Geschichte erzählt hast. Wahrscheinlich auch dir selbst in schlaflosen Nächten. „Und dann hat man mich – kann ich mich erinnern – in der Betriebsküche verköstigt. Und das war nicht nach meinem Geschmack, was wir da bekommen haben Grütze und rote Beete. Aber sie waren so lieb.“ Du hast es komisch gefunden, dass die noch fest an den Endsieg geglaubt haben, während man im heimatlichen Tirol schon gesagt hat: „Das geht nimmer lang.“ Mit schweren Musterstücken im Rucksack wurdest du nach Hause geschickt. Die Reise gestaltete sich nicht viel anders als die Hinreise. „Wie durch ein Wunder“, hat der Schnellzug in Heimat letztendlich fast vor unserer Haustüre gehalten.nach siebzehn Stunden Schlaf hast du dann am nächsten Tag deinen Auftrag vollendet. Stolz lächelt mich ein Vierzehnjähriger an, eben der Hölle entronnen sieht er das wahre Wunder im Schnellzug, der in nach Hause bringt. Ja Papa, das ist schön so. Wann hast du aufgehört an Wunder zu glauben?

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Du unterbrichst, wenn ich die Kamera verstelle, ganz Profi. Du hast viele Interviews gegeben, ein öffentliches Leben geführt, automatisch nimmst du Rücksicht, auf die hinter der Kamera. Du nennst die Daten der Bombenangriffe auf Innsbruck ohne Zögern im Fluss der Erzählung und sprichst wie gedruckt. Nur an meinen Fragen ist zu erkennen, dass hier ein Vater mit der Tochter spricht.

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Ich frage nach, wie es war, als deine Mutter ins Lager Reichenau gebracht wurde. „Warst du da ganz allein hier? „Ich war dreimal ganz allein hier. Zweimal ist sie in die Reichenau gekommen und wir konnten nur mit größeter Mühe die Abschiebung in ein VernichtungsKZ vermeiden.“ Der Vater hatte einen Nachsichtakt erreicht. “Zweimal ist sie in die Reichenau gekommen und wir konnten nur mit größter Mühe die Abschiebung verhindern.“ Du hast sie besuchen können. „Das war sehr, sehr schwer. Und dann kurz vor dem Ende des Krieges, vor dem Zusammenbruch hat man uns mitgeteilt, es ist Und dann kurz vor dem Ende des Krieges, vor dem Zusammenbruch hat man uns mitgeteilt, es ist gefährlich, die Nazis nehmen all diese Personen, sei es jetzt rassisch oder politisch belastet als Geiseln oder bringen sie um – was ja auch tatsächlich so geschehen ist.“ Es gelang dir als Teenager, die Mutter über Freunde der Familie in einem Lazarett zu verstecken. Ein Nachbar, der bei der Post war und im widerstand hatte geholfen. Als du per Auto wieder zurück bist, haben dich Wehrmachtsdeserteuer mitgenommen. Zwei hast du übernachten lassen und ihnen dann alte Anzüge deines Vaters gegeben. Du schilderst nüchtern, berichtest mehr. Geschichten, die ich nicht kenne, druckreif. Mein Vater der Held.

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Als dann die Amerikaner kamen hast du für sie gedolmetscht. Bei der Übergabe von FLAK-Stellungen. „Da hat keine Mensch englisch verstanden interessanterweise“, schiebst du ein, deine eigene Rolle relativierend.Wieder übertönt ein Flugzeug deine Worte. „Dadurch habe ich dann die amerikanische Verpflegung erhalten.“ Du zeigst die Schachtelgröße mit den Händen und freust dich. Stolz erzählst du, wie du helfen konntest, vermitteln zwischen den Amerikanern und den Nachbarn. „Charly“ haben sie dich genannt, die Regenbogendivision, vier Wochen waren sie da,

Über Vermittlung von Pater Heinrich Suso Braun gabst du Englischunterricht für Kinder. Bei einem Radausflug mit dem Pater, hält ein Auto, ein Mann steigt aus „Und es war der Vati.“

Ab 1946 warst du dann bei den Franziskanern in Hall. Du lobst sie als „welterfahren durchs Exil und keineswegs das, was man sich von einer Klosterschule erwarten würde. Im Gegenteil die waren viel aufgeschlossener als die Lehrer, die wir früher gehabt haben.“. Lachend erzählst du von Pater Martin Viktor: “Wie aus dem Bilderbuch, wohl beleibt und mit einem riesigen weißen Lockenkopf, der war immer die Güte selber.“ Er war dein Physikprofessor, der immer dann böse wurde, wenn sie ihm die Haare wieder geschnitten haben und wenn er besonders gut aufgelegt war, hat er Gitarre gespielt.

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Fragen tun sich auf, neue, damals versäumte. Fragen, die du mir nicht mehr beantworten kannst. Wie auch die größte nicht. Aber längst habe ich gelernt, dass es nicht auf alles eine Antwort geben muss. Ich gehe weiter ins Leben. Und es würde dir gefallen, wie ich es lebe. Du würdest ihn mögen meinen ersten Offizier, der mit dir manches gemeinsam hat, die dünne Haut, die gewogenene Worte oder die Liebe zum "Um-die-Ecke-denken". Ich denke oft an dich, beim Rätseln, Scrabbeln, - z.B. gerade neulich Schnecken - Essen,- z.B. Champagner - Trinken, wenn ich ein neues Restaurant entdecke, wo es gute Innereien gibt, wenn ich eines besuche, in dem wir gemeinsam waren, wenn ich einem Bettler Geld gebe, wenn ich nicht schwarz fahre, wenn ich in einer Kirche eine Kerze entzünde, wenn ich hier bin, wenn ich dort bin. Ich lebe mein Leben nach dem kategorischen Imperativ, wie du es mir vorgelebt hast und voller Liebe, Mut und Kraft, wie es mich dein Tod gelehrt hat.

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Ich halte den Konjunktiv II für eine nur selten in Gedankenwirbeln gut angebrachte grammatikalische Form. Und doch: Könntest du sehen, wie gut Mama alles meistert und wie gut wir miteinander zurecht kommen; könntest du mit dem 1. Offizier sprechen; könnte ich dich umarmen, heute an deinem Geburtstag, dem Vatertag. Danke, Papalatschi, für alles.

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Ich liebe dich.
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