31
Aug
2014

Mama, meine Mama.

Auf ewig möchte ich das kleine Kind in den Armen halten, dessen zerbrochene Seele in dir ein Leben lang geweint hat. Das kleine Lottele mit der viel zu großen Verantwortung. Geboren in schwierige Zeiten im Elternleben, im Land. Wie schlimm muss es gewesen sein, als der kleine Bruder neben dir an Diphterie starb. Als du dieselbe Krankheit hattest. Erblindet und deine schwangere Mutter zwischen Geschäft und krankem Kind. Wie einsam musst du gewesen sein. Ein zweites Kind kam, wieder ein Bub. Vom Verstorbenen erbte er den Namen.

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Als kleines Mädchen schon kamst du im Sommer zur geliebten Tante ins Kurbad. Zum Onkel, der deine Kinderseele verletzt, zerbrochen hat. Dein Leben lang hattest du diese große Sehnsucht nach Liebe, wolltest funktionieren, es allen recht machen, aber vor allem gelobt und geliebt werden, Mama, du hast es gut gemacht, du hast dich immer klein gefühlt und warst doch groß im Leben. Ein Kind war dir fast zu wenig und so hast du uns alle bemuttert, deine Geschwister, deine Neffen und Nichten und deren Liebste, meine Vater, deinen Mann, mich, die Nachbarn, die Taxifahrerinnen, die Gärtner, das Pflegepersonal und die Ärztinnen und Ärzte. Du hattest ein großes Herz und warst Schrittmacherin für viele von uns.

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Ich weiß noch, als ich bei unseren Spaziergängen als kleines Mädchen hinter dir hergelaufen bin, so wie jetzt – ich komme später nach, ich bleib noch. Bis zum Schluss wolltest du immer wieder die Schuhe anziehen und aufstehen. Immer wieder hast du uns alle verblüfft mit deiner geistigen Klarheit, deinem Wissen und deiner starken Präsenz. Oh ja, du hattest Stil und Contenance, Coolness mit Würde – und Wahnsinn. Einmal hast du den Wunsch geäußert, zum Abschied mit einem Fremden ans Meer zu reisen, ihr hättet euch gegenseitig eure Lebensgeschichte erzählt und irgendwann hättest du aufgehört, Medikamente zu nehmen. So war es dann halt nicht, statt des fremden jungen Mannes war ich bei dir und mein junger Mann, statt zum Meer sind wir aufs Mieminger Plateau gefahren.

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Mama du hast säckeweise Bücher für mich nach Hause geschleppt und im Zuge der 1. Fastfoodwelle den Rumer Burger für uns erfunden. Deine Familie ging dir über alles, wenn man dir zuhörte war deine Familie eine Art gebenedeites Volk, besonders tüchtige, fleißige (und auch) schöne Menschen. Du warst so stolz auf deine Eltern, der Vater mit all seinen Ängsten, ein ehrenwerter Handwerker, die Mutter fleißig und aufopfernd, Kritik an den Eltern machte dich wütend, du warst stolz auf deine Vorfahren, deine Geschwister: den angesehenen Sparkassendirektor, den schönen und so tüchtigen Handwerker, die kleine Schwester, die du bekritteltest, wie unter Schwestern üblich, deren Söhne du stahlst, auf deren Attraktivität und Berufstätigkeit du aber immer stolz warst. Es war dir wichtig, dass deine Geschwister Kappen aufsetzten und geachtet werden.

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Aber erst die Neffen und Nichten: Du warst die verständnisvolle Tante, die immer den Lieblingskuchen buk und sie alle in ihren Loslösungsversuchen begleitete. Du hast Therapien bezahlt und Reisen gesponsert – meine Therapie übrigens nicht, die hab ich mir selbst geleistet. „Wegen mir?“ wolltest du wissen, als ich dir das damals erzählt habe, weil ich dir immer alles fast alles erzählt habe. „Wegen mir“ habe ich geantwortet. Das konntest du nicht glauben. Beides war richtig und ich bin froh und dankbar, dass ich mich wegen dir und wegen mir auf die Suche gemacht habe, diesen meinen Weg gegangen bin.

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Loslassen konntest du ein Leben nicht, nicht die Vergangenheit mit all ihrer Wunden, dein Zorn wütete bis zum Schluss auch noch gegen jene, die längst wieder zu Staub geworden sind. Du konntest die Geschichte deiner Familie nicht loslassen, nicht deine eigene, nicht mich, nicht all die anderen Kinder, den Schmerz, die Wut, das Leben. Dann hast du dich und andere verletzt. Wie dein Vater dich als Geisel verprügelt hat, weil er eifersüchtig war, so hast du gerne verbal die Lieben deiner Lieben verprügelt, wenn du sie treffen wolltest. Du konntest sehr hart zu dir und anderen sein, am härtesten zu mir, die ich dir das nächste war. Stetig die Liebe erprobend, ermessend. Du hast zur Schere gegriffen.

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Alle sind gekommen, wieder, um sich zu verabschieden und es war noch nie so ernst. Seltsame Stunden an deinem Bett, noch einmal warten, dein Wunsch aufzustehen, zu gehen, vielleicht zuhause zu sterben. Das gute Nachthemd, die Haare, „Gschaftloch“, hast du mich geschimpft , als ich versuchte, dich zu unterstützen. „Ich bin stolz auf dich“, hast du später gesagt, am selben Tag oder irgendwann. Keine Ahnung, ob du letztendlich froh warst, dass ich da war an deinem letzten Tag – ich war es. Ich wusste auch stets, dass du nicht gehen können wirst, so lange ich im Raum bin. Danke.

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Danke auch, dass du beim Bestattungsinstitut so klar deinen Willen fest gelegt hast. Ich hoffe, der Abschied war in deinem Sinne. Für mich war alles richtig und ich bin diejenige, die übrig bleibt.

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Ich hatte wundervolle Eltern.
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