8
Jul
2015

Verschwyzt – Kulturflanieren zwischen Krieg und Frieden

Brasilianisch wie die Temperamente der Luzerner mutete auch die Hitze der Nacht und des nächsten Morgens an. Früh trieb sie uns auf und nach üppigen Frühstück und vielleicht weniger üppiger Probe marschierten wir zu unserer Verabredung zum Kulturflanieren mit dem spitzfindigen Herrn T., der uns aufs Trefflichste mit Geschichte und Geschichten der Stadt vertraut machte. Das Bourbaki-Panorama stand ganz oben auf meiner Wunschliste, wollte ich doch ein Gegenstück zum Innsbrucker Riesenrundgemälde sehen, das mich von klein auf faszinierte. Und nicht nur das Bild, auch die Aufbereitung übertrafen meine Erwartungen. Diese Internierung einer ganzen geschlagenen Armee aus 87.000 französischen Soldaten im Februar 1871 ist irgendwie aktuell in Zeiten von Flüchtlingsströmen. „Die Internierung der Bourbaki Armee in die Schweiz ist ein großer Akt der Humanität und Solidarität und gleichzeitig auch ein Prüfstein für das junge Rote Kreuz“, steht im Begleitmaterial. Die Bevölkerung war erst misstrauisch, dann voll Mitgefühl. Sechs Wochen blieben die fremden Soldaten, deren große Zahl drei Prozent der Schweizer Bevölkerung entsprach, 1.700 starben. Auch Legionäre aus Nordafrika waren dabei. Bei aller Menschenliebe wurde der fremden Armee aber auch eine Rechnung gestellt: 12,2 Millionen Schweizer Franken berappte der französische Staat in Raten. Der Maler des Bildes, Edouard Castres, war Zeitzeuge, er war beim Roten Kreuz.

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Das Thema Krieg blieb uns auch auf der nächsten Station unseres Stadtrundgangs erhalten. Wir wollten unbedingt das laut Mark Twain „traurigste und bewegendste Stück Stein der Welt“ sehen, das Löwendenkmal. Die ach so friedliebende Schweiz hat ja, wie ich jetzt in einem Interview mit Jost Auf der Mauer in der "Zeit" nachgelesen habe, einst ein reges Söldnerwesen betrieben. Die Schweizergarde im Vatikan ist nur das Überbleibsel von 500 Jahren Geschichte als größter Kriegsdienstleister Europas. Geschätzt eine Million Schweizer kämpften als Reisläufer in fremden Kriegen, als Huntertschweizer taten sie auch Gardedienst in der Wiener Hofburg. Und 1792 bei Louis XVI – als diese während der französischen Revolution den von der Königsfamilie bereits verlassenen Tuilerienpalast verlassen wollten wurden 760 von 1.100 Schweizer Gardisten von der wütenden Volksmenge getötet.

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An diese, seine Kameraden, wollte der Gardeoffizier Carl Pfyffer von Altishofen mit einem Denkmal erinnern. Er stammte aus einer Luzerner Bürgerfamilie, die seit dem 16 Jahrhundert auch mittels gehobenem Söldnertum ein Vermögen gemacht hatte. 1792 war der damals 21-jährige zwar als Leutnant in Paris stationiert, aber gerade auf Heimaturlaub in Luzern, als die Tuilerien gestürmt wurden. Das mag wohl mit eine Rolle gespielt haben, dass er 1818 beschloss seinen gefallen Kameraden ein Denkmal zu setzen. Er selbst stellte einen zu seinen Liegenschaften gehörenden Steinbruch zur Verfügung und finanzierte das Denkmal mittels Suskriptionsplan – heute würden wir das Crowdfunding nennen. Seit 1821 ruht der vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen entworfene und von den Schweizer Bildhauern Urs Pankraz Eggenschwiller und Lukas Ahorn gefertigte Löwe über dem Wasser. „Der Löwe ist also nicht tot, er muss ruhend sein“, meinte sein Schöpfer. Und ja, er ist so traurig, dass selbst die Schar vor allem asiatischer Touristen, die ihn an diesem Mittag umschwirrten, still und ergriffen erschien, vielleicht waren es aber auch nur die über 30 Grad, die ihnen wie uns zu schaffen machten.

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HELVETIORUM FIDEI AC VIRTUTI steht dort eingemeißelt – der Treue und der Tapferkeit der Schweizer. Darunter die Namen der Offiziere und die Zahl der Gefallenen. „Es ging von Anfang an ums Geld“, erklärt Auf der Mauer zur Geschichte der Schweizer Söldner. Junge abenteuerlustige Männer aus einem bitter armen Land, dem nur hart etwas abzutrotzen war, erwarben in fremden Diensten genug Geld, um heiraten zu können. Dabei waren sie nicht zimperlich und manche Brutalität des Kriegshandwerks damals erinnert erschreckend an die jungen Männer (und damals wie heute auch vereinzelt Frauen), die aus ihrer vermeintlichen Enge heraus für ISIS und Allah in den Krieg ziehen. Nach und nach wurden diese Kampftruppen von oligarchisch strukturierten Gesellschaften organisiert. Dieses Geschäft verlangte hohe Investitionen. Allerdings sei auch die Rendite, vor allem in der Blütezeit des 17. und 18. Jahrhunderts, erheblich gewesen: bis zu 18 Prozent, was einigen Familien einen erheblichen Luxus ermöglichte, erklärt Auf der Maur im Zeit-Interview.


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Rund 30 Jahre nach der feierlichen Enthüllung des Löwendenkmals ging es zu Ende mit dem Schweizer Söldnertum – der relativ neue liberale Schweizer Bundesstaat verbat ab 1851 das Anwerben von dienstpflichtigen, ab 1853 von allen Einwohnern der Schweiz. Und dennoch Ende des 19. Jahrhunderts dienten Tausende Schweizer in der Fremdenlegion und im 20. Jahrhundert kämpften viele im spanischen Bürgerkrieg und einige für die Waffen-SS. Sie wurden allerdings nach Rückkehr in die Schweiz strafrechtlich verfolgt.
Vielleicht waren es diese hunderten Jahre im Lohndienst fremder Mächte, die die Schweiz, wie wir sie heute kennen geformt haben, vermuten Kommentatorinnen aus der Gegenwart: das Rote Kreuz wurde von einem Schweizer gegründet, der Rettung statt Grauen auf die internationalen Schlachtfelder brachte, die Neutralität entstand auch aus dem Bedürfnis verschiedenen Kriegsherren dienen zu können, die Banken waren früh da, das Geschäft mit den Soldaten zu nutzen.

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Aber ich will mir meine SchweizerInnen nicht vergraulen, ich behalt sie lieber so friedlich im Kopf, wie sie mir in Luzern begegnet sind. Z.B. am Ufschötti, dem Badeplatz, zu dem uns der Kulturflaneur dann geleitet hat, um endlich abzukühlen und die wehen Füße noch einmal auszuruhen. Unterwegs beim Inseli kamen wir bei einer doch etwas seltsam anmutenden Statue vorbei, die zwei Herrn im griffigen Clinch zeigte. So griffig, dass ich ganz vergaß und mich vielleicht auch ein wenig schämte, das Ganze im Bild festzuhalten. „Ähm?“, frug ich den Flaneur und Stadtbewohner. „Das ist das Schwingerdenkmal" kam melodiös zurück. Nun werden in meiner Tiroler Heimat vielseitig sexuell Interessierte mit S(ch)winger bezeichnet, aber denen ein noch dazu ziemlich homoerotisches Denkmal zu setzen würde ich weder meinen katholischen Landsleuten noch den mir von Emil bekannten Eidgenossen zutrauen. Um traditionelles Schweizer Ringen handle es sich beim Schwingen, erklärte mir Herr T. auf meinen verzweifelten Blick hin. „Hosenlupf“ und genauso sieht es aus.

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Das Ufschötti ist aufgeschüttet aus dem Aushub eines Tunnels und ist wie unsere Donauinsel ein Gratis Naherholungs- und Badegebiet, blitzsauber und wunderschön. Im Ufschötti geht es allerdings deutlich friedlicher zu als auf der Insel an heißen Tagen. Und um einiges leiser. Im Schatten eines Baumes lassen wir uns von Herrn T. und einer nach Berlin ausgewanderten Luzernerin über Schwingen und Wetterschmöcker auf. Ersteres werde gerade wieder modern, wie ich auch in der Zeitung des Nachbarn lesen kann, denn am Ufschötti bleibt heute keine Meter ungenutzt. Und letztere habe ich auf einer Bierflasche erspäht, die gibt es schon seit 70 Jahren, aber der Kulturflaneur scheint sie nicht sehr zu schätzen. Mit der Prognose für Juli haben sie jedenfalls soweit recht behalten: „Die ersten 3 Tage auch veränderlich. Pünktlich auf die Schulferien beginnt auch das traumhafte Sommerwetter und das bis Ende des Monats. Es gibt Leute die übernachten im Wasser, so warm ist es.“ Oh ja, das hätten wir Toll3sten auch gerne gemacht, im Wasser übernachtet. Doch diese Tag war noch nicht zu Ende – ein formidables Fest stand am Abend an und es galt nach Hause zu eilen und sich zu behübschen (und vielleicht doch noch kurz zu proben?)

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(Fortsetzung folgt)
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