21
Jan
2016

These Boots

kleidermachenleute500x135

Dear Boots,

ihr kommt ja aus Amerika, obwohl ich annehme, dass ihr in den 25 Jahren auf meinen Füßen auch ordentlich Deutsch gelernt habt. Vielleicht auch aus Mexiko oder Spanien, was weiß ich. In meinem Kopf seid ihr Amerika. Gekauft habe ich euch im Achten, ein paar Gassen von hier. Weit seid ihr also nicht gekommen in all den Jahren. Ich weiß noch, wie ich euch gekauft hab. Schlichte Biker-Boots inmitten der bunten Western-Brüder und -Schwestern. Es roch nach Leder – natürlich. Schlangenleder und Applikationen. Coole Musik kam aus den Lautsprechern. Ich wollte Biker-Boots. Ich wollte Boots – ich brauchte Boots. Eine Anschaffung fürs Leben. Stabil, gut genäht. Und unbedingt unter der Hose zu tragen. Schon spitz – obwohl viereckig natürlich. Schon spitz. Es waren die 1980er und spitz war ich soundso.

These Boots. Ha. Im G-Punkt. Auf Konzerten, Boots. Also probieren. Besprechen mit der Freundin , die begleitet, mit der coolen Verkäuferin. Super gearbeitet, wende ich die Kriterien an, mit denen ich aufgewachsen bin. Ja, ich habe mich in euch verliebt. Aber es war ja nicht so einfach zusammen zu kommen. Ich verbog mich, wand mich, zerrte an euch. Doch ohne einer Haut aus Plastik zwischen euch und meiner Ferse war kein vereinen. Die 1980er. Die Verkäuferin wusste Bescheid, jeder wusste Bescheid – echte Boots konnte man in der Anfangszeit nur mit Hilfe der Plastiksackerln, die die mit Prospekten gefüllt an unseren Türen hingen, nicht betreten. Ja, ich habe euch immer ein wenig betreten. Ihr wart mir Zauberschuhe, habt mich in eine coole Socke verwandelt.

So schwierig wie das Betreten war es auch, euch wieder zu verlassen. Ihr wart nie Schuhe zum einfach rein und raus gleiten. Für euch musste man sich entscheiden, auf euch musste man sich einlassen. Als ich euch das erste Mal meiner Mutter vorgestellt habe, war sie erwartungsgemäß entsetzt. Das wollten wir schon auch; irgendwie. Ihr und ich. Amüsiert hat sie mir beim Anziehen zugesehen – ich war unterwegs zum Geliebten, aber das wusste sie nicht. „Der, der dir diese Schuhe auszieht, muss dich wirklich lieben“, lachte sie: „Die sind das beste Verhütungsmittel.“

Ein paar haben diesen Test bestanden in den letzten 20 Jahren. Haben mir ihren Arsch zugekehrt und sich von mir sanft treten lassen. Nicht immer sind wir dann miteinander im Bett gelandet. Aber es war immer ein Freundschaftsdienst. Einen davon habe ich geheiratet – unter anderem deswegen habe ich oft behauptet. Er hat mir noch ein paar Stiefel geschenkt, er trug immer Boots, damals. So schöne Stiefel hab ich von ihm und alle drücken mittlerweile.

Was haben wir erlebt. Ja, wir sind Motorrad gefahren, haben uns hinten angeklammert. Wir haben lange Fußmärsche durch Städte und auch Wälder gemacht. Wir waren bei verdammt geilen Konzerten, wir sind immer wieder in Scheiße getreten, durch Gatsch geschlurft. . Ihr habt mich gedrückt, manchmal. Oft geschützt vor Wind und Wetter. Ihr habt mich inspiriert. Irgendwann habe ich euch eine Gummisohle verpasst, ich habe euch Sommers und Winters getragen und Mama hat euch auch dann und wann poliert.

Keine Ahnung, wann wir das letzte Mal miteinander unterwegs waren. Ihr seid nicht die einzigen, die zugunsten jüngerer bequemerer und auch größerer Artgenossen im Schrank verstauben. Schuhe, die allen zu klein sind, die vielleicht Freude daran hätten. Schuhnummer 37. Heute drücken schon 38er manchmal, man wird älter, die Füße größer, die Leidensbereitschaft geringer. Ihr glänzt, als wolltet ihr auf ein Konzert gehen, nachts betrunken durch die Stadt taumeln und unter Kichern ausgezogen werden. Als wolltet ihr jemanden treten, ganz zärtlich vorsichtig, um mich endlich im Morgengrauen zu entlassen. Sorry, Boots.

Ihr passt nicht mehr, nicht einmal ein Plastiksackerl würde helfen, vielleicht. Ich verrenke mich nicht mehr so gut. Ich will euch nicht mehr betreten, ich will die Ahnung behalten, wie es war in euch zu gehen, damals in unserer besten Zeit, in der ihr perfekt gepasst habt. These boots are made for walking….

Es gilt wohl Abschied zu nehmen. In meine Stiefeln kann niemand gehen. Das ist sich bloß für mich ausgegangen.

Are you ready boots?

2016-01-19-09-53-53

I’m not yet.


Dieser Nachruf ist mein Beitrag zu Kleider machen Leute, einem Projekt des formidablen Herrn Gedankenschmied.
2107 mal erzählt

29
Dez
2015

Ruhig 1

Ruhig
Bleib ruhig,
fürchte dich nicht,
reg dich nur nicht auf,
einatmen und ausatmen,
vielleicht ist es ein Irrtum,
oder bloß ein Missverständnis,
alles wird sich schließlich aufklären,
und dann hast du dich umsonst geängstigt,
achte nicht auf das Herz, das dir zerspringen will,
nicht auf das Zittern, das dich in Wellen überkommt,
nicht auf die rasenden Gedanken, die Schleifen ziehen,
nachts wachst du oft auf, deine Muskeln verspannen sich,
der Schweiß ist eine natürliche Reaktion, er kühlt den Körper,
du musst nur immer weiter ein- und vor allem ausatmen, ein und aus,
du musst gar nichts, musst du wissen, du kannst, du wirst, du bist, du lebst,
du musst gar nicht.
Bleib ruhig –
noch eine Weile hier.

2015-12-25-10-57-19

Ruhig 2

Ruhig
Bleib ruhig.
Ich bin nervös.
Ich zittere ein wenig.
Du bemerkst es, bemerke ich.
Bleib ruhig.
Sag jetzt bloß nichts.
Schön, dass du gekommen bist.
Wir wissen, worauf wir uns eingelassen haben.
Bleib ruhig.
Ich bin nicht verliebt.
Du verpflichtest dich zu gar nichts.
Lass uns zuerst Essen, Trinken, Rauchen, Reden.
Bleib ruhig.
Ich hab „Ich liebe dich“ gesagt.
Gedacht habe ich es schon ein wenig früher.
Ich wollte dir und mir Zeit lassen und das war gut.
Bleib ruhig.
Die Liebe kann einem schon Angst machen.
Und das Leben und das Sterben noch viel, viel mehr.
Aber wir haben beide die Kraft, Liebe und Leben zu teilen.
Bleib ruhig
noch lange bei mir.

2015-12-17-12-00-19

Diesmal entstanden gleich zwei verschiedene und auch ähnliche Texte als Beitrag zum Projekt *.txt , das siebzehnte Wort. Ich freue mich schon auf 2016, danke Dominik.
2227 mal erzählt

23
Nov
2015

Distanz

Auf die Distanz gesehen ist das alles nicht schlimm.
Nichts ist schlimm auf Distanz gesehen.
Zur Kurzsichtigkeit der Jugend kommt die Weitsichtigkeit des Alters.
Die Distanzen verändern sich.
Der räumliche Abstand.
473 km Entfernung, noch.
Auch zeitlicher Zwischenraum.
Wachsende Distanz.
Distanziertheit vielleicht.
Nein, distanziert war ich nie.
Auf der zurückgelegten Strecke.
Wenig Zurückhaltung bei kaum etwas.
Zu klein der innere Abstand im Umgang mit anderen Menschen.
Die Armlänge unterschritten. Au.
Und doch: die vorgesehene Anzahl von Runden eines Kampfes auch manchmal zu Ende gekämpft.
So scheint es mir jetzt manchmal.
Aus der Distanz betrachtet.
Aus der Distanz betrachtet, sieht man mich anders.

2015-11-01-10-36-57

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt , das sechzehnte Wort
2259 mal erzählt

10
Nov
2015

Tanze!


Damals.


Leonce: Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht!
Rosetta: Meine Füße gingen lieber aus der Zeit. (Sie tanzt und singt.)

O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief, tief
Im Boden ruhen.

O meine heißen Wangen, ihr müßt glühen
Im wilden Kosen,
Und möchtet lieber blühen
Zwei weiße Rosen.

O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen,
Und lieber schlieft ihr aus im Dunkeln
Von euren Schmerzen.

Und Rosetta tanzte. Jeden 2. Abend. Einen kurzen Auftritt lang in einem wundervollen Blütenkleid. Sie musste erst lernen auf den High Heels zu gehen. Sie war 18 und groß gewachsen. Knabenhaft und doch rieben sich manchmal während ihres Tanzes ihre Knospen an den Tulpenblättern des Dekolletès. Schulterfrei, große Rosen aufgedruckt – ein schönes Kleid. Sie tanzte, wie es ihr die irische Prima Ballerina beigebracht hatte. Es war ein kurzer Tanz, ein kurzer Auftritt. Dritte Szene, Erster Akt.

Ganz zwei Akte dauerte es noch bis Leonce mit Lena in ein Leben voller Rosen, Veilchen, Orangen und Lorbeeren schritt und Valerio sein Dekret erließ. Manchmal gingen sie in der Pause etwas trinken, die KleindarstellerInnen der kleinen Bühne, manchmal las Rosetta in der Kellergarderobe, wo das Premierengeschenk der Tanzlehrerin, Pantöffelchen, hing. Schlussapplaus, noch einmal, zweimal dreimal hinaus – alle. Auch die Knospen.

An vielen Abenden tänzelte Rosetta dann über den Adolf-Pichler-Platz in die Maria-Theresien-Straße, die Treppen hinunter in die American Bar. Eine Stunde Wartezeit bis zum nächsten Bus, zwei bis zum letzten. Rosettas Füße wollten tanzen in bunten Schuhen, ihre Wangen wollten glühen im wilden Kosen, ihre Augen wollten blitzen im Strahl der Kerzen. Nicht heim ins Elternhaus.

Kerzen standen auch an der Bar und in den dunklen Plüsch-Samt-Nischen. Bilder von Tomi Ungerer hingen dort. Die Tanzfläche war klein, sternförmig und verspiegelt. Eine Glitzerkugel, ja, wahrscheinlich hing dort eine Disco-Kugel. Aber das bemerkte Rosetta nicht, wenn sie dort allein tanzte. Maschine brennt. I can’t get no satisfaction. Keine Angst. Ich spiele Leben. As tears go by. Gloria. Der DJ hatte einen Schnauzer. Es waren die frühen 1980er. Sie war gerne allein da, redete sie sich ein, während sie wartete. Tanzend. Auf den Bus. Auf den, den sie liebte. Oder einen, den sie lieben könnte.

Einmal winkte sie der DJ zu sich. „Du tanzt super“, meinte er: „Vor allem die Texte, die Musik müsste man halt manchmal umschreiben.“ Sie war einfach unmusikalisch. Deswegen war sie nie eine richtige Schauspielerin geworden, glaubt sie noch heute. Dance like nobody’s watching. Oder everybody. Das ist ihr geblieben. Noch immer tanzt sie Texte, als wäre sie allein oder wirbelnder Mittelpunkt auf der Tanzfläche, ob im Planetarium oder im Wohnzimmer. Rosettas Füße tanzen in der Zeit.

Staatsminister Valerio darf ich vor dem Schlussapplaus um euer Dekret bitten: „daß wer sich Schwielen in die Hände schafft unter Kuratel gestellt wird, daß wer sich krank arbeitet kriminalistisch strafbar ist, daß jeder der sich rühmt sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!“

2015-10-12-21-29-02

Dieser Text ist mein Beitrag zum - Hurra verlängertem - Projekt *.txt , das fünfzehnte Wort Danke Dominik.
2288 mal erzählt

23
Okt
2015

Uuuuppps gefangen

Ich wurde schon beim Völkerball als Letzte in die Mannschaft (so hieß das damals noch) ins Mädchen Team gewählt, weil Fangen so gar nicht meines war. Im Ausweichen war ich besser und so blieb ich oft auch die Letzte am Spielfeld – „Fang“ feuerten mich die anderen an. Fragen kann ich nur schwer ausweichen – dem Dialog an und für sich – drum sei es. Danke Herr Wortmischer für den Brautstrauß mit Boomerangeffekt – voila elf Antworten:

1.– Münchener Oktoberfest? (Unbedingt! / Keinesfalls! / Was ist das?)
Ich nehme C .

2. – Haben Sie Ihren Volkswagen schon abgestoßen?
Den Sharan? Gemeinsam mit meinem Ex-Mann – ist schon her….

3. – Erinnern Sie sich noch an das erste Musikstück, das Sie sich gekauft haben? (Vinyl, CD, Download?) Hören Sie sich das heute noch gerne an?
Grease, Summer-Romance und so – nur zufällig im Radio…

4. – Spielen Sie ein Musikinstrument? Trauen Sie sich damit vor Zuhörer?
Ich lernte Blockflöte, drei Jahre 1. Heft, tja und einmal das Storchenlied beim Schulkonzert. Ich habe die Musikalität von FFJ und auch ihre Bühnengeilheit – mir ist es sogar gelungen eine Gesangsszene in einem toll3sten Stück zu verankern.

5. – Im Preisausschreiben gewinnen Sie eine Penthauswohnung in Berlin, London, Paris, Prag oder Wien. Welche suchen Sie sich aus?
Ganz ehrlich – und bald!

6. – Bevor Sie den Löffel abgeben: Welches Ding müssen Sie vorher unbedingt noch gedreht haben?
Immer das nächste…

7. – Halb acht Uhr abends. Sie kommen völlig gerädert (aus der Arbeit) nach Hause. Was passiert, sobald der Mantel an der Garderobe hängt und die Schuhe in der Ecke stehen?
Bier und Wein an der Theke des Vertrauens vor dem Aufstieg in den 4. Stock. Und dann am (mit dem) Liebsten

8. – Kochen Sie selbst? Was kommt auf den Tisch, wenn die leeren Teller schon nach einer Stunde im Geschirrspüler stehen müssen?
Pasta e basta (aber ohne das schrecklicher Erfrischungsgetränk)

9. – Golf, Ski, oder Tennis? (Oder doch lieber die TV-Fernbedienung?)
Als Tirolerin Skifahren.

10. – Wir schreiben das Jahr 2025. Was ist für Sie die auffälligste Neuerung im Vergleich zu heute?
Ich bin zehn Jahre älter… und 2525, if mankind’s still alive…

11. – Sie packen Ihren eigenen Flüchtlingskoffer. Was muss da rein? (Fünf Dinge braucht der Mensch.)
Einen Pullover, stabiles Schuhwerk, ein Messer, ein Telefon, und den 1. Offizier

2015-08-31-13-48-13

Dankeschön, Herr Wortmischer!
1805 mal erzählt

20
Okt
2015

Konjunktiv II

Ich hätte es wissen müssen.
Ich hätte es nicht tun dürfen.
Ich hätte es nicht wollen sollen.
Ich hätte es nicht denken dürfen.
Ich hätte es nicht begehren sollen.
Ich hätte es nicht zulassen dürfen.
Ich hätte es nicht verschweigen sollen.
Ich hätte es nicht genießen dürfen.
Ich hätte nicht drüber nachdenken sollen.
Es hätte nicht passieren dürfen.
Ich hätte es wissen müssen…
Wissen? Ach geh! Wissen?

2015-08-26-13-05-26

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das vierzehnte Wort......
2357 mal erzählt

24
Sep
2015

Verstand

„Hallo“, sagt der Bassist. Ich bin überrascht, ihn an der Theke des Vertrauens zu treffen, wünsche ihm Beileid zum gerade erlittenen Verlust. Neben ihm sitzt einer, ebenfalls in Trachtenjopperl und Jeans, Fraktionskollege, christlicher Gewerkschafter, füllig, schwitzend, ein Smartphone in der Hand, eine Bierflasche in Reichweite. Personalvertreter oder Betriebsrat der Gewerkschaft, die einmal meine war. Er schimpft ein wenig über den Verein. Ich bin mit einer Freundin verabredet, bleibe aber kurz bei den beiden sitzen, um dem Bassisten mein Beileid auszudrücken. Der Kollege telefoniert, kurz und laut. Mit einem Bankmenschen. „Ich bin Betriebsrat“, sagt er und dass Frau Soundso nichts zu melden habe. Der Bassist erzählt vom Begräbnis. Er versucht verbindend zu wirken, er fragt den Kollegen, ob er errate, aus welchem Bundesland ich käme. Er errät es nicht, ich löse das Rätsel: Tirol. „Warum haben die Tiroler keinen Geschlechtsverkehr?“, beginnt er einen Witz zu erzählen. „Weils Ihnen beim Fickkkkken die Zähne aussi haut. KKK, ficken, die Zähne.“ Ich verziehe den Mund und schau dem Wirt meines Vertrauens in die Augen. Der Kollege erzählt jetzt eine Anekdote über eine Schulung in Tirol. Die Pointe fehlt. Ich frage mich, wo die Freundin bleibt. Der Bassist sagt: „I fürcht mi vor die Wiener Wahlen.“ Der HaZe macht ihm Sorgen, wie uns allen, bedenklich wiegt er den Kopf. Der Kollege trinkt einen Schluck Bier. Und plötzlich ist es da, das Flüchtlingsthema. Vom Schmutz redet der Kollege, den die Flüchtlinge machen, den Müll, den sie liegen lassen, dass viele Wirtschaftsflüchtlinge dabei sind, 60 haben sie in der Gemeinde, unbegleitete junge Burschen, seine Tochter ist vierzehn, er traut sich nicht, sie zur Bahn gehen zu lassen, wo führt das hin, lauter Männer, die Kleidung liegt herum, wenn es nicht Markenkleidung ist, aber Handys, die Tochter trage Spaghettiträger und kurze Hosen, wenn so ein junger Mann ausgehungert, die kennen das ja nicht, ständig Kämpfe zwischen den Unbegleiteten, die Gutmenschen haben keine Ahnung. Er hört auf keinen meiner Einwände, lässt mich nicht zu Wort kommen, er spult das ganze Programm ab, wie ich es aus den sozialen Medien und Foren kenne. „Dann brauchst du dich ja nicht fürchten vor der Wiener Wahl? Da könnte ja der für dich Richtige gewinnen?“ frage ich schließlich. „Ja“, sagt er.

Ich verstehe.

2015-09-01-10-49-30

Ich gehe – lege Raum zwischen mich und den Kollegen.

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das dreizehnte Wort.
2384 mal erzählt

14
Sep
2015

Jujukinkai

Sie wusste, wie es endet. Sie wusste es genau. Auch dass es endet und dass mit dem Ende auch wieder die Sehnsucht beginnt. Dass es nur eine kurze Ewigkeit lang sich unendlich anfühlte, zwischen vor dem Gipfel und nach dem Gipfel. Sie wusste auch, dass es seinen Preis kostete und dass man, dass sie im Grunde einsam dabei war. In dem Moment. Vorher und nachher war sie oft nicht allein. Sie genoss das gemeinsame Kribbeln der Vorfreude, das Einander-Aufstacheln, das Lachen, Scherzen, das Verscheuchen der Angst. Angst wovor? Schaden zu nehmen, Schande zu erfahren, nicht richtig verboten, nicht richtig erlaubt. Angst vor dem Glück, dem Anders, dem Zustand und der Sehnsucht nach Ewigkeit, nach mehr. Losgelassen. Schwindlig. Angst sich schmutzig zu machen, das Gewand zu zerreißen, das Gesicht, den Verstand, den Boden unter den Füßen, die Kraft der Sinne zu verlieren. Angst vor der Gier nach mehr.

Und obwohl und weil sie wusste, wie es endet, streckte sie die Arme ganz weit aus. Damals in der Blumenwiese. Es muss eine Blumenwiese gewesen sein. Oder eine weiße Schneedecke. Zuerst in die eine Richtung und dann Schwung holen und in die andere Richtung. Viel Schwung und drehen, drehen, drehen, kleine Schritte mit den Füßen, die Arme ganz weit ausstrecken, vielleicht den Kopf in den Nacken legen, oben ist die Sonne, tanzen die Schneeflocken. Bis sie hinfällt in die blühende Wiese, in den weichen Schnee. Und oben dreht sich der Himmel. Die Arme ganz weit ausstrecken. Ihr ist schwindlig. Irgendwo weit hinten mahnt die Mutter, die Grasflecken, der kalte Schnee.

Oder über das Laub hinunterrollen auf Südtiroler Hängen, der feuchte Geruch und endlich der schöne Schwindel. Rundumrundumrundumrundum. Lachen. Atemlos. Laubbedeckt. Herbstglückseligkeit. Purzelbäume über Gartenlängen. Und Räderschlagen. Bitte Onkel Günther lass mich fliegen – Runde um Runde im Kreis bis wir beide nicht mehr können. Bis sie schwindelt. Schaukeln und Kettenkarussell. Eiskalt Duschen bis ihr die Luft weg bleibt und das Hirn. Den Kopf verlieren, lachen. Kein Boden unter den Füßen. Alles wolkenwattigweich. Ein wenig liegen, nichts denken oder alles. Und oben dreht sich der Himmel.

Damals war sie Kind.

2015-09-01-19-10-26

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, . Danke Dominik für das zwölfte Wort. .
2827 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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