2
Dez
2010

29. November: Blue Monday

Am Montagmorgen erwarteten wir den Bankmenschen, was die Mutter stets in aufgeregte Geschäftigkeit versetzte. Ich bewundere sie für die Anstrengung und Disziplin, mit der sie das Leben weiterführt. Geldsachen hat immer der Vater erledigt, hat sie ahnungslos gelassen; sie hatte ihre Kreditkarten und Bares, wenn sie danach fragte. Jetzt sieht sie sich als die Verwalterin des Vermögens, meines Vermögens, wie sie gerne betont. Den Banken gegenüber hegt sie tiefes Mißtrauen, irgendwie allen gegenüber, wenn es ums Geld geht. Sie fürchtet eine Inflation, die Steuern empören sie. Auch die 1.300 Euro Mindestlohn, wo sie doch nicht mehr Pension bekomme. Wenn ich dagegen argumentiere – man solle seinen Neid nicht nach unten, sondern wenn schon nach oben richten – nennt sie mich Kommunistin und „Mit dir kann ma nit reden.“

Die Trennung macht sie traurig, auch weil sie dem Schwiegersohn nicht mehr einkleiden kann, weil sie es unnötig findet, sich zu trennen, weil man das nicht hat, aber auch weil sie ihn mag, trotz Gezeter. Seit Jahren mutmaßte sie Beziehungskrisen, wo keine waren, brachte sogar den vater dazu besorgt telefonisch nachzufragen, jetzt bedauert sie mich, ihn, uns. Die Barbara Karlich-Show, die im Fernseher neben uns plätscherte – Scheidung im Alter – erleichterte das Gespräch. Sie sprach über ihre Ehe, gab wie selten seit dem Tod des Vaters Defizite zu. Sie erzählte, wie allein sie sich bei meiner Geburt gefühlt hatte, weil der Vater zu einem Schirennen gefahren war, wie verloren sie miteinander waren und schließlich wieder vom Onkel, der sie als kleines Mädchen mißbraucht hat, jahrelang, dass sie dachte, sie müsse es erdulden der Familie zuliebe, um im Sommer im Gasthaus bei Onkel und Tante sein zu dürfen und denen daheim nicht als zusätzliche Esserin auf der Tasche zu liegen; schon am Fußweg hinein habe er sie ausgezogen, erzählte sie, und dass das Opfer ja umsonst war, wie sie erst vor ein paar Jahren erfahren hatte, weil ihr Vater dem Onkel sogar Geld geliehen hatte. „Der hat mein ganzes Leben zerstört“, sagte sie: „Meine ganze Sexualität“ Und das Opfer war umsonst.

Als ich in Wien landete, fühlte ich mich einsam.Der Mann hatte einen Mistelzweig gekauft und Schokonikoläuse beim Bett und am Schreibtisch deponiert. Zu spät. Warum kommt diese Aufmerksamkeit erst nachdem ich mir die Liebe, die Hoffnung aus der Seele amputiert habe? Aber "Warum" darf man nicht fragen, auf "Warum" gibt es keine Antwort.

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walküre - 2. Dez, 10:49

Und ob es auf "warum" eine Antwort gibt. Auch Schweigen ist eine, auch nonverbale Kommunikation. Und manchmal kennt man die Antwort, ohne die Frage explizit stellen zu müssen.

btw: Ihre Mutter ist sehr viel weiter als es meine Mutter jemals war, denn meine Mutter hat so gut wie nie über ihre Kindheit und Jugend gesprochen ...

katiza - 2. Dez, 12:44

Liebe Frau Walküre: ich glaube auf "Warum nicht schon früher?" gibt es keine befriedigende Antwort, das läuft so auf rückbezüglichen Konjunktiv - hattiwari - hinaus.

Was unsere Mütter angeht, glaube ich auch, dass sie sehr verschieden sind. Meine Mutter hat immer viel und sehr verklärend von ihrer Kindheit erzählt, auch von den Sommern in jenem Gasthof bei Onkel und Tante. Erst als sie erfahren hat, dass das Opfer umsonst war, ist dann die Mißbrauchsgeschichte hervorgebrochen. Aber sioe hat mir auch sonst vielö von erlittenem erzählt, endlose Verzweiflungstiraden gegen die Familie meines Vaters voller Haß und Wut, auch noch 40 Jahre nach dem Tod der von mir sehr geliebten Großeltern. Viles von dem was sie mir erzählt hat, wollte ich nicht wissen, es hilft mir sie zu verstehen, aber gerade dieses Verstehen macht mich dann oft wieder hilflos...
acqua - 2. Dez, 13:52

neuland

katiza - 2. Dez, 14:23

Frau Acqua, schön gelesen! Vielen Dank!
ConAlma - 2. Dez, 22:23

Antwort? Die gibt's nicht einmal hier:


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