22
Aug
2007

Maria Stuart harzte Beine

Vor langer, langer Zeit, in einem anderen Leben, als ich glaubte Schauspielerin zu sein, hatte ich eine Freundin. Sie war die Grande Dame an unserem Theater. Gelernte Schauspielerin, Zuckerbäckertochter aus Krems an der Donau, um die Schauspielschule Krauss zu besuchen, musste sie die Unterschrift ihre Vaters fälschen. Um in der Kleinstadt zu überleben, harzte sie Beine. Sie hatte wenig Haare und viel Herz. Ersteres tarnte sie mit Kopftüchern, letzteres mit Wein. Irgendwann hatte sie den schwulen Theaterkritiker geheiratet, um ihrer Tochter einen Vater zu bieten. Die war mit Einem aus besseren Kreisen liiert. Als sie ihn mitbrachte in die Vorstellung, saß die Mutter mit zerrissenen Jeans an der Kassa. Dass er eine Fimose hatte, wussten wir alle, auch wenn wenn wir nicht all wussten, was eine Fimose ist. "Vorhautverengung", klärte sie uns auf und Schadenfreude schwang mit. "Mein armes Kind", sagte sie und empfand doch die Fimose als gerechte Strafe für seine Arroganz und dafür, dass sie die beiden in ihrem Biedermeierbett ertappt hat. "Überall – aber doch nicht in meinem Biedermeierbett, hab ich gesagt. Mit dem."

Sie spielte "Sie" in Turrinis "Rozznjogd", ein Skandal – "Herzerl, da nimmt er die Pillenschachtel und liest Modimido…." – und der Autor war begeistert. Herzerl nannte sie mich, Herzerl nannte sie uns alle, die ganze Theaterfamilie. Von ihr hab ich gelernt, dass man auch bereit sein muss, die Bühne zu putzen, wenn man das Theater wirklich liebt. Oder eben Beine zu harzen – den nackten Faust hat sie geharzt. "A guater Hund rennt nit davon", hat sie mich gelehrt, als ich heulend im Keller ankam, weil mich der Medizinstudent verlassen hat. Und "The show must go on." Gut hab ich gespielt an diesem Abend, hat sie mir versichert. Einen Sommernachmittag haben wir auf dem Balkon meines Elternhauses mit Wein aus dem Keller meines Vaters verbracht – Wein aus der Wachauer Heimat. Viel Wein und Geschichten über Geliebte und deren Geliebte.

Ihr Geliebter war der Pre, ein Medizinstudent, Bummelstudent und irgendwie übertragen von ihrem Mann geerbt, glaub ich. Mit dem Pre war sie in Marokko – "bei den Murln". Wenn sie betrunken war, verrutsche das Kopftuch und gab eine dünne Krone roter Haare preis. Einmal zu Silvester streuten die Kollegen das Gerücht, das kleine Theater plane "Maria Stuart" aufzuführen. Ganz aufgeregt wurde sie, hellhörig, so gerne hätte sie die Maria Stuart gespielt. Irgendwann bin ich nach Wien gegangen, sie wollte mich besuchen, ich sie anrufen, wenn ich nach Innsbruck käme. Der Pre hätte sein Studium beendet, erzählte mir jemand, und sie sei nicht mehr wichtig in seinem Leben. "Maria Stuart" stand noch immer nicht am Spielplan, den mir meine Mutter regelmäßig zusandte. Und dann stand es in der Zeitung. Ich bin zum Begräbnis gefahren. In Paris beim Frühstück mit Freunden war sie vom Sessel gefallen, Gehirnschlag – oder gebrochenes Herz? Eine Gnade von einem Tod, allerdings nur ein Vorhang. Sie wäre so eine gute Maria Stuart gewesen.
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sumuze - 24. Aug, 22:57

Vielleicht

(was für ein Wort!) haben manche Träume etwas von einem Grenzwert wie in der Mathematik - du erreichst sie im Unendlichen (was ein wenig besser klingt als: nie)

Nebenbei:
Seltsam, wie verschieden doch Sprache sein kann. Der Ausdruck 'harzen' (ich nehme nun an, er benennt diese so unendlich angenehme Prozedur des Enthaarens der Beine mittels heiß aufgebrachtem Wachs) war mir völlig neu. Anfangs dachte ich an 'geharzten' Wein und habe durch die Geschichte nicht recht durchgefunden. Liegt vielleicht aber auch daran, daß ich im Kleindeutsch (um 'unser' nördliches Deutsch gegen 'euer' österliches Deutsch mal ad hoc abzusetzen) mich auch nicht so richtig zu Hause fühle.

Auch so Formen wie 'der Pre' klingen mir sehr fremd, ich warte dann richtig auf eine Fortsetzung (der Pre-Dator?? der Pre-Lude?? der Pre-sbyter, naja)

Aber die Geschichte geht auch trotz der Sprachbarrieren unter die Haut.

katiza - 25. Aug, 10:55

Sie ist die unendliche Maria Stuart,

da hast du recht, liebe SuMuze, zumindest in meinem Kopf - und auch das mit dem Beine harzen hast du verstanden, wie wohl du auch leider nicht den Klang der Worte hörst, wie ich in noch höre in meiner Erinnerung. Für mich als Tirolerin war ja auch damals die niederösterreichische Klangfarbe meiner Freundin was besonderes, das war ganz weich im haarzen, bei die Muuurln (die ich erst selbst nicht verstand, bevor ich sie als Mohren, Schwarze identifizierte) und am weichsten wurde ihre - wohl ausgebildete Sprache - beim Preeee - ich hab ihn übrigens eher als prä-potent in Erinnerung.
sumuze - 25. Aug, 19:44

Seltsam für mich ist,

daß ich oft österreichische (und sogar schweizerische) Texte als viel 'deutscher' empfinde als das zeitgeist-kontaminierte Geschwätz aus Berlin, Frankfurt und München. Da, also hier oben (ich gucke aus geographischer Breite von ca. Amsterdam) ist immer wenig Sprachmelodie oder -klang zu hören, statt dessen nur Gebrabbel wie aus schlecht synchronisiertem Hollywood. Oder dann wieder Mundart pur, mit blinkender Neonreklame 'Achtung: Biotop rustikal' drauf. Pre zum Beispiel würde hier sicherlich als Pri (pre-washed etwa) gesprochen.
Ach, daß kein Bergfax dazwischen führe und sie verstreute!
Liebe Grüße
Susanne
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