25
Feb
2010

Schneedorf

Es gibt wenige Orte auf der Erde, wo ich meinem Vater so nah bin, wie hier. Zöpfe haben wir geflochten über die Hänge dieses Schigebiets und dabei lauthals falsch gesungen.

Aufgeregt saß ich als kleines Mädchen an den Wirtshaustischen der Großen und hörte ihnen zu, wenn sie die Mythen dieses seltsamen Bergdorfes erzählten. Vom Bürgermeister mit den zwei Frauen, eine die Gattin, die andere, deren Schwester, die Mutter der einzigen Erbin. Eine starke Frau, der ich auch im Naikan begegnen durfte. Kinderfreundschaften, die nie wachsen konnten, weil wir ja doch wieder nach Hause fuhren. Jedes Mal von vorne beginnen und doch lachende Schiabfahrten, querwaldein und Silvesterfeiern im Dachgeschoß der britischen Millionärin, die Kinder schwer ertrug. So feierte ich mit der Hausmeisterfamilie, während die Eltern unten in Gesellschaft weilten. Mein Papa aber hat mir geholfen, Rußseifen zu verteilen - auch wenn er sie wohl kurz später wieder weg geräumt hat. Die reiche Britin hatte einen zarten Namen und war mit einem Verleger verheiratet, der Pilot im zweiten Weltkrieg war. Nie werde ich den Abend vergessen, als er und der Fremdenverkehrsmanager, der mir beigebracht hatte mit dem Daumen in der Backe zu ploppen, fest stellten, dass sie eine Luftschlacht gegeneinander geflogen waren. Das Grab des Nobelpreisträgers, der den Tausender zierte und dessen Katze mich erst Jahre später erreichte und nie mehr ganz losließ. Der Autor (und Klient), dessen Herren Call-Girls mir einst der Vater ans Herz gelegt hat. Briten und Bergmenschen. Und auch Altösterreich. Die Verlegerfamilie, die für den Ort so viel getan und deren einer Sohn war eine Zeit lang Teil unseres Lebens. Wir treffen uns eher in der Berggasthöfen hier als in der Stadt, in der wir alle wohnen. Noch immer ein Poet mit wunderbarer Frau und ebensolchen Kindern. Mit dem Moser war ich nie herinnen, obwohl er nicht weit von hier geboren und am Eingang des Tales begraben ist. Der Sepp ist von hier in die Welt aufgebrochen, um sie einzukochen. Auch wir waren nie gemeinsam da, aber dieser Ort war Teil unserer Verbindung.

Es ist schon ein besonderer Fleck hier. Nicht weit von unserem Zimmer im traditionsreichsten Haus am Platz hat mein Vater einen Kirschbaum gepflanzt, ein Monat vor seinem Tod. Noch immer flechte ich Zöpfe mit ihm auf unseren Lieblingspisten.

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Nante - 27. Feb, 06:59

dieser nachdenkliche Text

evoziert in mir die Frage: "Wo sind meine Schneedörfer?"

Sicher nicht im Gebirge ... ich lebte in einer Großstadt in der Norddeutschen Tiefebene ... Aber gehabt habe ich welche .... denn meine Erinnerungen an sie sind stets gegenwärtig ...

steppenhund - 27. Feb, 10:09

Mein Schneedorf war Scharnstein in Oberösterreich, auch wenn die Bekannten nicht so illustre waren. Ein General war allerdings auch dabei, sogar ein beliebter. Wir waren außer die ersten Male in einem Diakonissinnen-Erholumgsheim mit Bibliothek, in der ich mir als schon als 7-Jähriger viel anlas. Interessant war der Ort geworden, als nach dem Krieg nichts wichtiger waren als Milch und Eier. Die ersten Urlaube verbrachten meine Eltern bei Bauern, wo sie nach ihren Vorstellungen Luxus pur genossen.
Mir machte es nichts aus, wenn wir zwei oder auch drei Mal im Jahr dorthin fuhren. Meine ältere Schwester fand Scharnstein ein Kaff und die dortige Jugend einfach zum Schmeissen, was ich ihr heute gut nachfühlen kann. Ich habe Scharnstein besucht und war ganz überrascht, dass sich eine Frau, die als ganz junges Mädel dort gearbeitet hat, sich an mich als kleinen Buben erinnern konnte. 50 Jahre ist es her.
Scharnstein hat einen großen Einfluss auf mich gehabt. Aber was - alles hat einen großen Einfluss auf mich gehabt.
Zu Olympia passt vielleicht ein Erlebnis, zu dem mich ein älterer Bub verleitet hat, der eigentlich auf mich aufpassen sollte. Er führte mich zur damals noch existierenden Skisprung-Schanze und ließ mich von oben - also unterhalb des Absprung-Tisches hinunterrodeln. Ausgesehen hat es ja wie eine Autobahn. Nach einigen Metern zerlegte es mich und die restlichen 30 Meter rodelte ich ohne Rodel den restlichen Teil hinunter. Passiert ist mir nichts. Ich habe mich nur geniert, dass ich überhaupt umgefallen bin.
Oder ich habe einem bildhübschen Mädchen, dass ich sehr verehrt habe, aus Verehrung einen Stein an den Kopf geworfen. Es war kein großer Stein. Sie stand am anderen Ufer eines kleinen Baches und ich wollte eigentlich nur, dass sie auf mich aufmerksam würde. Sie war 17, schwarze Haare und hieß Lizzy. Ich war ungefähr 10.
Am richtigeren Umgang mit Frauen arbeite ich noch:)
Anousch O. - 27. Feb, 13:53

Danke, dass Sie uns an diesen wundersamen Geschichten teilhaben lassen.

katiza - 27. Feb, 19:35

Heute noch einmal Familienschitag - gestern hat es den ganzen Tag geschneit. Das war der Onka, mein Vater, sagten wir der Cousinnichte, die die jüngste und letzte ist, die in dieser Familie meinen Namen, den Namen der Familie meines Vaters trägt. Die junge Generation aus Mutterfamilie und Vaterfamilie ist erstmals gemeinsam über die Hänge gekurvt und ich hab das blöde Lied gesungen: Grüezi wohl, Felizitas...macht Ihnen das Schifahren Spaß.
Danke.
Auch Euch fürs dabei sein, Frau (?) Nante, Herr Steppenhund (im Kriminalmuseum in Scharnstein hätte ich gerne geheiratet, haben uns dann doch für die Waldschenke entschieden, war Wunder-voll), Frau Anousch...

Jossele - 28. Feb, 15:58

Nun ja, so einen Urlaubsort der Kindheit hatte ich nicht, aber einen Vater mit einem Krieg im Kopf, und der wiederum hatte einen Freund, Nikita, was, wie unschwer zu erraten, ein Russe war.
Mein Vater war Nazi der ersten Stunde, Niki Kommunist aus Fleisch und Blut. Am Dnjepr haben sie aufeinander geschossen und getroffen, einer ins Bein, einer ans Ohr.
Nach allem Gemetzel haben sie sich wieder getroffen in Wien, und sind Freunde geworden.
Das stimmt mich optimistisch.

katiza - 28. Feb, 22:34

Oh ja, das stimmt optimistisch - wie jene beiden weinenden Männer am Scheedorfer Wirtshaustisch!
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