12
Jan
2012

Psalm 118

Und dann stand zufällig vor dem Regal mit dem Objekt der Begierde. Fast schon ein Zeichen, dachte sie sich. Lüge, antwortete es aus einer anderen Ecke ihres Kopfes. Sie pflegte sich ständig ihr Leben selbst zu erzählen und war dabei ein sehr kritisches Publikum. Das war wohl das Geheimnis ihres Erfolges. Schlecht daran war, dass sie sich selbst dabei ständig unterbrach. Oft hatte sie sich gefragt, ob das normal war, dass es in ihrem Kopf manchmal zuging wie in einer Waldorf-Schule. Mit anderen wolllte sie das nicht bereden, auch wenn sie normal nicht besonders schüchtern war. Sie redete gerne in der Öffentlichkeit, sie war ja das kritische Publikum gewohnt. Aber darüber und über ihren Fetisch wollte sie lieber nicht sprechen. Dabei war beides nicht schlimm, beides faszinierte Tausende von Menschen, beides einte sie und ihren Geliebten. Pathos, wieherte die Stimme.
Fetisch.

Sie blickte sich um, niemand in der Nähe, dann streckte sie die Hand aus. Sie hatte danach gesucht, erst nebenbei, dann immer gieriger. Sicher, sie hätte es locker im Netz bestellen können, doch sie betrat die Geschäfte gerne, in deren Angebot sie hoffte fündig zu werden. Da oder dort griff sie bei anderem zu; Geschenke für ihn, eine Freundin, sich, Suchtstoff, Lustspender. Sie stahl sich die Minuten in den Geschäften auf ihren geschäftlichen Wegen, ging früher von zu Hause los und kehrte spät beladen zurück.

Auch hier war sie fündig geworden, bevor sie es wagte die Verkäuferin anzusprechen, die mit dem Rücken zu ihr über einen Haufen Ware gebeugt war, nur ein bejeanster Hintern. Der falsche Moment, dachte sie, wie ungeschickt und streckte lächelnd ihre gefüllten Hände entgegen, die sie als Kundin auswiesen.Sie wiederholte die innerlich vorgeformte Frage. Die Verkäuferin wies den Weg, wohl etwas unwirsch, aber das konnte sie ihr nicht verdenken. Sie war schon vor diesem Regal gestanden, aber hatte das Gewünschte nicht entdeckt. Objekt der Begierde. Obskur.Eine kleine feine Auswahl stand ganz oben. Sie lächelte, weil sie sich seine Freude über ihren Fund vorstellen konnte. Sie wollte nicht alle nehmen, das hätte ihnen wohl beiden die Freude verdorben. Genuss musste wohl dosiert werden.

Sie hielt sie in ihren Händen, ließ ihre Finger durch gleiten und den Bildern in ihrem Kopf freien Lauf. Seine Augen, ihrer Beider nackte Körper, Küsse, knistern, reiben. Es erregte sie, sie streckte die Zungenspitze zwischen ihren Zähnen hervor, ihr Atem ging schneller und spürte wie ihre Brustknospen an ihrer Bluse streiften. Sie trug keinen BH. Er wollte das nicht. Auch nicht an Tagen, an denen sie sich nicht sahen. Aus Verbundenheit. Und weil sie nie gerne BHs getragen hatte. Sie konnte es sich leisten. Buestenhalter. Doch bevor sie sich antworten konnte, riss sie sich aus dem inneren Dialog und sah sich um. Immer noch alleine in der letzten Ecke des Ladens. Als ob man sich schämen müsste. Auch die Verkäufer in den anderen Läden, meistens Männer, die sie verständnislos ansahen und versuchten ihr Billigware aufzuschwatzen. Ladenhueter. Nicht mit ihr. Billigware würde er nie dulden.

Ob sie die kleine Auswahl mit ihrem Handy photographieren sollte und ihm senden, ihn um Rat fragen, überlegte sie und stellte sich vor, wie er mitten in einer Sitzung auf sein Handy starrte. Nein, das konnte sie nicht machen. Also musste sie entscheiden. Schnell schob sie zwei davon zuunterst in ihren Einkaufskorb und legte nach kurzem Überlegen ein drittes Stück nach. Glücklich marschierte sie mit ihrer Beute zur Kasse. Jetzt hielt sie dem Blick der Kassiererin stand, während sie die Ware bezahlte und einsteckte. Kein Grund sich zu schämen im Gegenteil, interessante Auswahl, kommentierte sie ihren Kauf in ihrem Kopf. Schnaeppchen.

Sie zog den Aufenthalt in der Stadt noch ein wenig in die Länge, ging allein essen. Am Naschmarkt genehmigte sie sich Austern und Champagner. Ich liebe Austern und Champagner tönte die Stimme. Meeresfruechte, Schaumwein. Und die Augen ruhten auf dem Einkaufssackerl gegenüber. Sie hob das Champagnerglas und dachte an ihren Geliebten, an heute Nacht, an ihrer beider Leidenschaft. Und Austern und Champagner.

Einen winzigen Hinweis konnte sie sich nicht verwehren. „Im Psalm verworfen dann zu dem geworden oder erhoert“, tippte sie in ihr Handy. Zu Hause überzog sie das Bett neu und bereitete allerfeinstes Beef Tartar zu – sie wollte ja keine Zeit verlieren – und eine stärkende Bouliilon für hinterher. Zwei, drei Mal zog sie sich um – kein BH – bis ihr ihre Kleidung zweckmäßig erschien. Rund um das Bett bereitete sie alles vor, was zum Anstoßen, was zum Anspitzen, Gummis. Ohne Gummis machte sie es nicht. Sicher, das würde manchen lächerlich vorkommen. Wenn sie darüber reden würde, hämte die Stimme in ihrem Kopf, was sie nicht tat. Aber ohne Gummi machte sie es nicht, Vertrauen hin oder her. Oder fast nie. Er war auch eine Ausnahme. Aber auch bei ihm war ihr mit Gummi lieber. Vorsichtsmasznahme.

Sie trank noch einen Vodka. Kartoffeldestillat. Vodka machte sie immer so klar. Und geil, wie die Stimme meinte. Man könnte auch Wodka schreiben. Immer wieder glitten ihre Hände zur Neuerwerbung. Sie war versucht, sie zu öffnen, aber sie kniff die Knie zusammen und versagte es sich. Sie hörte seine Schlüssel in der Türe, warf sich in Pose, vergaß, dass sie eine Powerfrau war und war nur mehr williges Weibchen.

Oh ja, auf den Blick hatte sie gewartet. Gleich bei Betreten des Raumes hatte er ihre Beute entdeckt. Sein Blick war ihrem gefolgt und das Fragezeichen in deinen Augen löste sich in ein Freudenfeuerwerk in seinem Gesicht auf. Und daraus wurde Begierde. Seine Lippen wurden feucht, seine Hose schwoll. Sie räkelte sich lasziv. Endlich wurde es stiller in ihrem Kopf, all ihre Sinne waren auf ihn konzentriert, als er sich dem Bett langsam näherte. Unwillkürlich war seine Hand in seinen Schritt gewandert, ergriffen, wohl ohne es zu merken, losgelassen im Freiraum ihrer Lust. „Heute Nacht leg ich dich aufs Kreuz“ Er kniete neben ihr und zog ihr langsam die Decke vom Leib. Noch hatte er sie nicht geküsst. Er lächelte, als er das Korsett sah, Karos, sein geliebtes Karomuster, maßgeschneidert und mit vielen kleinen Häkchen zum Lösen. Loesungsansaetze.

Endlich berührten sich ihre Lippen, erst lockend und dann immer heftiger vorstoßend, drang seine Zunge in ihren Mund ein. Zuegellos. Sie pressten sich aneinander verschlangen ihre Beine miteinander. Sie spürte ihr pochendes Geschlecht, ihre Hand suchte nach seinem. Gegenstueck. Überall Hände, Münder, Augen. Wirbelsturm, Windhose.

Er unterbrach. Endlich. Noch war es nicht Zeit sich hinzugeben, sich wegtragen zu lassen . Er lächelte und während seine rechte Hand sie hart niederdrückte griff seine linke unendlich langsam nach dem Fetisch. Sie atmete heftig. „Bleib so liegen“, befahl er und öffnete den Champagner. „Brav.“ Dann griff er zum gespitzten Bleistift. Es pochte zwischen ihren Beinen, sie genoss seine Hand fest auf ihrer Brust, wehrlos. Ausgeliefert. Er prüfte den Stift sorgsam und grinste zufrieden, dann warf er sich zu ihr aufs Bett und öffnete das erste Rätselheft. „Eckstein“, sagte er: „Psalm 118: Ich danke dir, dass du mich erhört hast; du bist für mich zum Retter geworden. Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden.“ Und dann löste er das erste „Haekchen “.
Es würde eine lange heiße Nacht werden …

shot_1326314484299

(bemused)
2110 mal erzählt

Trackback URL:
https://katiza.twoday.net/stories/64031006/modTrackback

testsiegerin - 12. Jan, 19:49

Hach, mir war natürlich die ganze zeit klar, dass du mich auf eine falsche fährte locken willst. ich hab mich locken lassen, misstrauisch, auf der hut, dann wieder dir blind folgend.
eigentlich war es gar nicht wirklich wichtig, worum es sich denn handelt, der weg war das ziel. jedes einzelne wort. und so viele worte. so viele schöne worte.

ich kenne eine frau, die hat ein geschenk, und sie ist auch eines, und die beiden schenkenden und beschenkten schenken einander mehrmals am tag besonders schöne worte. worte wie glückskind oder nesthäkchen oder kinkerlitzchen oder mumpitz oder stehvermögen. einfach so, ohne zusammenhang schenken sie einander diese worte. weil sie schön sind. die beschenkten schenkenden und die worte. lösungsansatz ist auch so ein schönes wort. besonders, wenn man weiß, was dahintersteckt.

danke für diese wunderbare geschichte. ein kleinod.

katiza - 12. Jan, 21:53

Vielen Dank, bezaubernde B., Ihr Lob bedeutete mir viel, denn es ist eine B.-Geschichte, die ent- und verführt und dabei verwirrt, dachte, hoffte ich beim Schreiben ...und dass ich Sie berühren durfte...

rosmarin - 16. Jan, 09:01

begeisterter schulterschluss, kichernden gruß, fragenden blickes, wann ihr das nächste mal wohl lesen werdet?
la-mamma - 16. Jan, 13:41

frau ro,

wir arbeiten schon am termin!!! am besten sie nehmen sich den ganzen märz zeit!
testsiegerin - 13. Jan, 22:35

Ich finde die geschichte einfach viel zu schön, um sie im meer der beiträge versinken zu lassen. drum hol ich sie noch mal an die oberfläche ;-)

la-mamma - 15. Jan, 12:39

ich hab sie jetzt aber extra gesucht -
und mag sie auch sehr!
katiza - 15. Jan, 17:14

Ich danke recht artig, meine toll3sten.....

Jossele - 16. Jan, 16:48

Einerseits schad, weil ich hatte schon die Hand im Schritt, andererseits, war ja zu erwarten bei einer der drei Grazien, excellente Geschichte ;-)

rosmarin - 16. Jan, 18:34

*lachsalven schmetternd*
logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

shot_13532529503801

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6464 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Feb, 15:42

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter