28
Nov
2010

26., 27. November: Bergheimattage

Um halb neun Uhr früh weckte mich ein Anruf der Mutter, irgendwelche seltsamen Bedenken hatten sie schon seit dem frühen Morgen gequält und sie fühlte sich bemüßigt, sie mir mitzuteilen. Danach konnte ich nicht mehr einschlafen.

Verkatert und müde erledigte ich noch dringliches, packte den Koffer mit Muttergerechter Kleidung – nimm nichts mit, sagte sie wie stets, um dann doch von der Auswahl enttäuscht zu sein. Ein Gespräch mit dem Mann, der in diesen Tagen die Wohnung für sich haben wird, verlief harmonisch, stolz erzählte er von beruflichen Erfolgen und seinem Leben jetzt und kurz hatte ich den Drang ihn zu umarmen.

Am Weg zum Flughafen stellte sich die Anspannung ein, die jede meiner Reisen in die Heimat begleitet, das Wissen, dass ich mein Sein, Selbst und Ego am besten gar nicht erst mitnehme oder zumindest im Keller lasse, wo auch mein Koffer steht, wenn ich im fremden Elternhaus bin. Drei Tage lang würde ich stets ausatmen, kaum widersprechen, einfach nur da sein, ein braves Kind, wie sie es sich früher stets zu Weihnachten und allen Geburtstagen gewünscht hat. Zen oder die Kunst, die Mutter zu lieben. An Frau Walküre musste ich denken, die in diesen Tagen ihre Mutter begräbt und fast schämte ich mich deswegen, weil ein braves Kind das ja nicht darf, an den Tod der Mutter denken….

Schnee wirbelte als der Flieger aufsetzte und die Mutter holte mich mit dem Taxi ab. „Aber heute streiten wir noch nicht“, scherzte sie mit fast drohendem Unterton. Wie eine hypnotische Formel verspricht dieser Satz, dass wir irgendwann streiten werden, streiten müssen. Aber nicht an diesem Abend, an dem ich früh ins Bett gehe, weil ich noch müde bin von der letzten durchfeierten Nacht.

Sie hat sich große Mühe gegeben mit dem Frühstück, auch wenn das Ei viel zu kurz gekocht ist, der Tee zu lange gezogen hat, der Eckerlkäs ganz ausgezogen ist, so dass ich ihn auch zur Gänze essen muss. Vorsichtig brachte ich den Wunsch an, mich um Tee und Ei selbst zu kümmern, das kränkte sie – wie jedes Anzeichen an Eigenständigkeit, an eigenem Willen. Unsere Gespräche sind nicht zuletzt deshalb eine stete Gradwanderung. Geschickt zieht sie alle Register, vermengt Gedankengut aus ihrer Kindheit – 1930 geboren, waren 1938 bis 1945 prägende Jahre – mit Angelesenem und Weisheiten aus den Serien, die ihren Tagesablauf begleiten. Die Heldinnen und Helden aus „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“ und deren Schicksale sind ihr Gedächtnisstütze und Fenster zur Welt. Früher hat sie Handke gelesen und Schallplatten von Pluhar und Heller gespielt. Irgendwann widerspreche ich dann doch, trotz aller guter Vorsätze und dann fällt der Satz: „Mit dir kann ich auch nicht reden."

Wie stets vermisse ich Erinnerungen an meine Kindheit, oft kommen Geschichten von meinen Cousins, von ihren, der Mutter Reisen, aus ihrem der MutterLeben, ich komme kaum vor. An einen Urlaub mit drei Jahren soll ich mich erinnern oder daran, wie der Sohn von Onassis starb, damals war ich acht. Das macht mich stets traurig und wie immer, wenn ich mich mit meinen Erinnerungen anklopfe, verneint sie diese gern mit strengem Kopfschütteln und missbillig heruntergezogenen Mundwinkeln: „Ah geh.“

Irgendwann gab sie zu, dass sie keinen Humor hat, nur jenen bösen, verletzenden, harten. Lachen und Lächeln habe man nicht in ihrer Familie: „Wir haben a nix zum Lachen.“ Mit dem Alter erklärte sie das und entschuldigte sich bei der netten Taxlerin. Das war schon immer so, ergänzte ich leise. Doch sie hörte es und stimmte mir zu. Darauf ist man stolz in ihrer Familie.

Abends dann beim Lieblingscousin, seiner Frau, Prinzessin Mausezahn und dem Gotlkind war das Familienerbe wieder, noch immer präsent. Seit Tagen herrscht Eiseskälte zwischen den Eheleuten, der Cousin hüllt sich in trotziges Schweigen, sein unterdrückter Zorn war fast körperlich spürbar. Ich erinnerte mich an gemeinsame Urlaube, in denen er oft Tage mit mir nicht gesprochen hat. Er leidet selbst sehr an diesem Zorn, dessen Anlass er oft schon vergessen hat. Früher waren es Augenblicke des Ungeliebtfühlens, die das große Schweigen auslösten. Ich hatte ihn etwa im Spiel unter Wasser getunkt und er hätte gedacht, ich wolle ihn töten. Verletzte Kinderseele. Jetzt verletzt er und lacht nicht mehr.

Verlegen saß ich herum, spielte mit den Töchtern, versuchte zwischen den Eheleuten auszugleichen, ihr Schweigen zuzureden. Früher hatte ich stets mit meiner Ehe, unserem Umgang, unserer Beziehung argumentiert, auf Vorbildwirkung gehofft, jetzt bin ich selbst gescheitert. Vielleicht lässt ihn das mit euch umdenken, hoffte das Schwiegercousinchen, während er noch trotzig im Auto schlief. Ich weiß nicht, sagte ich und fühlte mich fast ein wenig schuldig und voll mit Kindergefühlen.

„Bitte tu das euch, dir, deiner Frau, den Kindern nicht an, macht was, lasst euch helfen, kämpft um die Liebe“, hätte ich gerne gesagt, als er mich im Auto nach Hause brachte, statt dessen sprach ich über meine Trennung und was zu tun wäre. Und kann nicht helfen….

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profiler1 - 28. Nov, 14:22

meine mutter nannte mich mal im ernst "satan".
die cousins wurden immer als die musterknaben hingestellt, als die erfolgreichen, die es mal zu etwas bringen werden und bla bla.
ich hab das gar nicht mehr wahrnehmen und hören wollen, können....
dass die musterknaben inzwischen mehrfach geschieden und in betrugs und schwarzgeldaffären verwickelt waren und sind, naja, irgendwie später balsam für die wunden.... und als gesprächsthema nicht mehr vorhanden.

katiza - 28. Nov, 14:50

Satan hörte ich nie - böse dafür recht oft und meine Cousins vor allem den oben erwähnten habe ich stets abgöttisch geliebt, ersetzte er doch dem Einzelkind einen Bruder, für ihn und seinen Bruder hätte ich auf viel verzichtet und alle getan - und auf manches habe ich verzichtet und manches getan und selbst, wenn die beiden noch so stur und verletzend sind, ich sitze in der Liebesfalle und verzeih es ihnen, sorge mich und verteidige...
walküre - 1. Dez, 18:04

An den Tod eines Menschen zu denken und ihm den Tod zu wünschen sind zwei verschiedene Dinge. Von meiner Mutter habe ich, als ich noch ein kleines Kind war, so oft gehört: "Wenn du nicht brav bist, gehe ich fort und komme nicht mehr heim !" Irgendwann habe ich angefangen, mir zu wünschen, sie würde ihre Drohung wahr machen, damit endlich Friede einkehre. Sie sollte nicht sterben, nur einfach nicht mehr hier in meiner Nähe die Macht haben, mich abgrundtief zu verletzen.

Der Tod meiner Mutter war lange kein Thema; ich hatte mir hier ein anderes Leben aufgebaut, eines, das maßgeschneidert statt zwangsweise übergestülpt ist, eines, in dem meine Mutter weit genug entfernt war, um mich nicht mehr nachhaltig verletzen zu können. Ich fühlte mich sicher hier in der Anonymität einerseits und bei meiner Familie und meinen Freunden anderseits. Nicht unbedingt überraschend ist die letztlich tödliche Erkrankung meiner Mutter in jenem Jahr ausgebrochen, in dem ich angefangen habe, mein Leben nach meinen eigenen Vorstellungen zu gestalten ... Nicht, dass ich deshalb ein schlechtes Gewissen hätte, zumal mir diese Zusammenhänge erst vor wenigen Wochen aufgefallen sind, aber erstaunlich ist diese Koinzidenz trotzdem.

Ich hatte lange Zeit, mich auf den Tod meiner Mutter vorzubereiten. Wie ich schon geschrieben habe: Zwischenzeitlich wogt sanft die Trauer über das, was war, über das, was niemals war und über das, was hätte sein können, immer wieder hoch. Die schönen Erinnerungen sind ohnehin unsterblich, alles andere wird nach und nach an Bedeutung verlieren. Ich fühle mich in gewisser Weise befreit, und es gibt keinen Grund, mich dafür zu schämen.

katiza - 2. Dez, 07:55

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