3
Nov
2013

Alle Heiligen, alle Seelen

Friedhöfe mochte ich, so glaube ich zumindest, schon immer. Die Ruhe hat mich fasziniert und seit ich lesen kann, die Buchstaben auf den Grabsteinen, die Namen, Lebensalter und frommen Wünsche, die Bilder auf manchen von ihnen. Unser Friedhof liegt in der Geburtsstadt der Mutter, ihre Eltern liegen dort und jener viel zu früh verstorbene Bruder, dessen Namen derjenige geerbt hat, der schon im Leib der Großmutter heranwuchs, als sie ihren ersten Sohn zu Grabe trug. Oft habe ich sie gehört, die Geschichte vom Heinerle und immer hat es mich gegruselt, dass Onkel Heini neben mir stand, geboren im Sterbejahr des anderen.

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Immer schon war dieses Grab mit Efeu überwachsen. Dahinter ragt der Bettelwurf hervor, ein Familienhausberg, den die Mutter nie bestiegen hat, auch nicht der Exmann, wie jahrelang versprochen, geplant. Ich mag Allerheiligen, irgendwie auch schon immer mit Ausnahme von ein paar Jahren der Rebellion, aber auch da waren es vor allem die Heuchelei in Pelzmäntel gekleidet, die ich ablehnte, nicht den Friedhofsbesuch an und für sich. Denn der bedeutete neben Kerzen, Gräbern und dem fast gespenstigen Mantra des Rosenkranzes auch noch Familienzeit. Nachdem uns das Friedhofstor zwischen Pelzen und dunklem Loden ausgespuckt hatte, fuhren wir alle zusammen – auch wenn wir vorher an verschiedenen Gräbern gestanden waren, gemeinsam ins Wirtshaus. Nicht ohne vorher beim Süßigkeitenstand am Friedhofsvorplatz Kastanien, Schaumrollen und türkischen Honig erbeutet zu haben.

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Ein Eisenofen stand in der alten Holzveranda und es gab Köstlichkeiten, wie Schinkenkäsetoast, Pommes Frites und Saftl. – Gasthausessen mit viel Ketchup, das erst gegen Väter und Onkel verteidigt werden musste und ihnen später gnädig überlassen wurde. Dann nämlich, wenn es draußen dunkel wurde und wir mit Taschenlampen bewaffnet durch Felder und Obstgärten jagten, trotz des guten Feiertagsgewandes. Morgens mussten wir es anziehen, sorgsam ausgewählt von den Müttern, schön und ordentlich und doch auch ein wenig praktisch. Abends, wenn Schuhe verdreckt, Strumpfhosen schmutzig, Mützen verloren und die Ordnung aus den Fugen geraten war, wurde meist nicht mehr geschimpft, auch weil alle froh waren, wenn wir endlich im Auto einschliefen.

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An all das erinnere ich mich, während ich am Grab des Vater stehe, Mama aufrecht an meiner Seite, den eleganten Stock in der Hand, stolz und ein bisschen bitter.. Nie würde sie sich an einem Grabstein anlehnen oder sich gar setzen. Vielleicht kommt es mir nur so vor, aber die Zeremonie scheint kürzer geworden, der Pfarrer zitiert Kafka. Die Geschichte von der Maus. Seit fünf Jahren stehe ich an Papas Grab und gedenke meiner Toten, heute ist auch Eugenie bei mir und die, die um sie trauern. Weniger Menschen sind am Friedhof, weniger Gräber auch, kaum Pelzmäntel. Kurz flüstert mir die Mutter Anweisungen für ihr Begräbnis zu.

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Den Süßwarenstand gibt es nicht mehr und auch den Eisenofen, das Wirtshaus schon noch, die Holzveranda, diskret renoviert. Wir Erwachsenen essen Kiechl, die Kinder Toast und Pommes, bevor sie in den Feldern und Obstgärten verschwinden. Am Tisch bleiben wir, die verwandten Bergmenschen und ich und ich fühle mich fremd zwischen all den raschen Urteilen, den Prinzipien der Überzeugung genau zu wissen, was richtig oder falsch, wer gut oder böse. Ich stehle ein Stück Toast von einem Teller, trinke zu viel, verteidige mich und werde von Granatsplittern der Bosheit getroffen, verletzt. Mein Vater fehlt. Nicht nur mir, sondern den meisten hier am Tisch, habe ich den Eindruck. Mit ruhiger Stimme brachte er stets humrovolle Milde in die Strenge. Und sie lauschten ihm und ich war stolz.

Am Friedhof habe ich auf sein Grab gestarrt, die Rosen, die sich durchkämpfen, das fehlende Kreuz, wiewohl er der Gläubigste von uns Dreien war, . Erst am nächsten Tag treffe ich ihn, dort wo wir uns immer begegnen.

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Und dann daheim – am Vorderdeck, wissend, dass ich geliebt werde. So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
1096 mal erzählt

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bonanzaMARGOT - 13. Nov, 16:21

friedhöfe sind zumindest besser als straßen. auf ihnen leben die gegenwärtig toten, auf den straßen die zukünftigen.

katiza - 13. Nov, 16:42

Glauben Sie, Herr BoMa?
bonanzaMARGOT - 13. Nov, 17:27

Genaugommen ist die ganze Erde ein Friedhof.
Aber die Straße im Besonderen - darauf fahren die Lebenden bereits in ihren Särgen.
datja - 6. Dez, 13:39

es gibt bekanntlich solche und solche.
zugegeben, mehr solche als solche...
ABER.
RICHTIG FOKUSSIERT TRIFFT MAN DORT WO MAN GERADE IST SOLCHE.
LÄSST SICH EIN
UND
IGNORIERT DIE ANDEREN SOLCHEN.
kommt auf die brille an.
;)

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