16
Jun
2014

My private Guantanamo…

Und manchmal verwandelt sich mein Ashram, mein Zen-Kloster in ein Gefängnis. Zeit und Raum gehören mir schon lange nicht mehr. Weder am Tag noch in der Nacht. Mein Radius ist eine Stunde, am Wochenende unser Radius. Die restliche Zeit verbringe ich in Rufbereitschaft, zehn, zwölf, fünfzehn mal, ruft mich der vertraute Klingelton; erinnert mich an mein Versprechen. Und dann noch die Zeit zu ihren Füßen; und immer wieder Klo. Längst habe ich den Ekel abgelegt, längst vermeine ich den süßlichen Pissegeruch, der sich im Sommer auch nachts durch die Plastiksäcke drängt nicht mehr los zu werden.

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Der Zorn bricht sich schon wieder Raum; von vier Krankenschwestern kann letztendlich nur eine bestehen. Bei den anderen lässt die Eiskönigin bei 34 Grad im Schatten die Luft gefrieren: Zu dick, zu unfrisiert, zu nett, zu…. Einen Teil meiner einzigen freien Stunden im Tagesverlauf verbringe ich also lauschen in der Küche und tröste die Schwestern, wenn sie aus dem Haus geschickt werden. „Klo“, sagt sie, während die Türe noch ins Schloss fällt. Sogar die Hospizschwester schickt sie weg. „Krankheitsfolgen“, vermuten die Schwestern. Nein, muss ich mich stetig erinnern, ich kenne diese Blicke, dieses Schweigen, diesen Zorn, diese Anschuldigen, seit ich Menschen kenne.

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Gerade eben vermeinte ich sie hinter der Scheibe wahr zu nehmen. Sie öffnete das Fenster nicht, eine Minute später mein Handy, ich laufe hinein. „Klo – so wie du läufst, wenn ich dich rufe, musst du mich lieb haben.“ Klo. Scheiße. „ich kann nicht Gedanken lesen, Mama, niemand kann das, du musst sagen, was du willst…“ Sie tätschelt mich.

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Und dann sagt sie, was sie will, irgendwann, wenn ich gerade sitze, lese oder schreibe. „Nudeln“ – und die sofort, mit Fertigsauce. Ich erkläre, wie wichtig mir das kochen ist, wie es mich befreit und dass ich ihr ihres und mir meines koche. Drei Stunden köchelt die Rindssuppe, als ich aus dem Keller retour komme, steht sie mit der M*ggi-Flasche davor. „Wenn du mich anschreist, wissen die Leute, dass du nicht so gut bist, wie du tust“, ich wusste, dass das kommt, immer wieder. Die Leute, Außenwirkung. Sie hebt die Hände, wie um mich zu schlagen. „Woher kommt dein Hass?“ fragt sie – „Es ist Liebe, Mama, weder Eitelkeit noch Hass.“ Ich verletze sie, mich auch.

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Nur mehr an meiner Lautstärke kann sie sich festkrallen, kaum mehr an meinen Worten. „Schrei nicht mit mir“, ich senke die Stimme. „Aber du kannst den Martin bei dir haben, du hast deine Wohnung, dein Leben“ – das ich mir verdient und erarbeitet habe, verdiene und erarbeite. Es ist nicht die Krankheit, nicht diese Krankheit, nicht der Krebs, nicht der Ikterus, es sind nicht die Medikamente. Es ist die andere, die viel, viel ältere, die mehr an mir als ihr nagt, mir mehr Schmerzen bereitet oder ähnlich viele.

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Daran muss ich mich erinnern, um mich nicht einlullen zu lassen vom Lächeln, den Komplimenten, die sich auf das Aussehen beschränken, vom Verständnis. Sie ist nicht immer so, sie hat auch schon des Nachts ausgeharrt, um mich nicht zu rufen, sie bedankt sich, sie sagt: „Das könnte ich nicht“ Und sie sagt in einem unserer letzten Streits die Wahrheit: „Ich liebe dich, ich hab ja sonst niemanden.“ Die Menschen hier in den Bergen sind so stolz auf ihre Ehrlichkeit.

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Es ist Liebe, Mama, Liebe zu dir und Papa, zum Leben und den Menschen. Und es ist gut so.
911 mal erzählt

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testsiegerin - 16. Jun, 20:59

und wieder einmal gibt es mir einen stich im herzen, wenn ich das lese.
ich glaub auch, dass es nicht die krankheit ist. das wäre nämlich leichter, wenn man das gefühl hat, man hat so viel liebe gekriegt und die krankheit hat eben jemanden verändert. so aber...
scheiße.

katiza - 30. Jun, 10:50

Ich habe so viel Liebe gekriegt in meinem Leben, ich bekomme so viel Liebe, jeden Tag. Nichts wäre leichter, glaub ich, weil es eben ist wie es ist...Alles.
datja - 17. Jun, 22:29

www.salamandra.de

katiza - 30. Jun, 10:54

Ich denke oft an Sie, liebe Elfenhäuslerin...
diefrogg - 19. Jun, 18:05

Mein Schwager...

war neulich zu Besuch, und ich hatte gerade einen Schub und hörte sehr schlecht. "Du bist reizbar geworden, ungeduldig", sagte er einmal. "It's a personality trait", sagte er (er lebt schon lange in Amerika, und wir flechten beide ab und zu ein paar Brocken Englisch in unsere Gespräch ein). "Andere würden vielleicht anders damit umgehen."

"Bin ich reizbarer als früher?" fragte ich, aber um das zu beurteilen, kennt er mich zu wenig gut. Manchmal stelle ich aber an mir selber fest, dass ich den Wunsch habe, die Ahnungslosen rund um mich herum ein bisschen in den Senkel zu stellen. Ich finde das nicht besonders liebenswert von mir und habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich dabei ertappe. Aber ich habe es getan, bevor ich mich stoppen kann.

Ich kann mir vorstellen, dass es viel Geduld braucht, liebe katiza. Ich wünsche sie Dir und umarme Dich!

katiza - 30. Jun, 11:00

Ich finde das besonders liebenswert an Ihnen, liebe Fröschin, kenn das von mir und auch von Mama - das muss schon und in Tirol reden wir uns dann auch auf den Föhn raus
diefrogg - 30. Jun, 15:01

Ja, der Föhn, genau ;)))

und: danke!!!
rosmarin - 23. Jun, 16:29

liebes piratenweib....
soooo viel liebe hast du zu geben.
du musst verdammt viel kraft haben und ich lasse dicke umärmelungen hier.

katiza - 30. Jun, 11:13

Ja, liebe Frau Meertau Liebe und Kraft und das Gefühl, zurück umärmelt...
bonanzaMARGOT - 27. Jun, 12:55

muss man sich das antun - um in den himmel zu kommen?

katiza - 30. Jun, 11:24

Lieber Herr BoMA, mit dem Himmel habe ich es nicht so - eher mit dem Leben diesseits - mit allem und scharf!Und dazu gehört wohl auch das Sterben -ich nutze meinen Blog nicht zum Jammern und hoffe nicht, dass das so rüberkommt, ich be- und verarbeite so mein Leben. Ich opfere mich nicht auf, Opfer lohnen nicht, habe ich erfahren, ich lebe meine Werte. Ich erfahre so viel Liebe rundherum und auch von meiner Mutter, ich lebe mein Leben so.
bonanzaMARGOT - 30. Jun, 11:27

natürlich. ich wünsche ihnen, dass sie dabei nicht selbst krank werden.
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