Lebens-Wert

12
Jul
2012

Junge, komm bald wieder

Ein hübscher junger Mann hat mir gestern ein Rendezvous gewährt. Ich hab es ja in letzter Zeit mit den jungen Männern, den hübschen soundso und kenne auch ganz schön viele, aber der…

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Zugegeben vom ersten Erwachen in der Ferienhausidylle an, war ich mehr als aufgeregt. Fast eine Stunde dauert die Anreise per öffentlichen Verkehr aus vom Ferien-Vorderdeck an der Wisteria Lane im Süden Wiens – und das bei 32 Grad. Also rauf in den 4. Stock, duschen Bikini einpacken, umziehen schminken und ab in die U-Bahn Herzklopfen.

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Wir haben uns am Naschmarkt auf Maki getroffen, da war noch der väterliche Freund dabei. Dann sind wir zu zweit inklusive Shopping quer durch die Stadt in Richtung Badeschiff gezogen. Ganz Bobo haben wir oben auf Deck gechillt in Erwartung eines feinen Zwei-Hauben-Abendessens. Holy Moly.

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Es galt den Geburtstag des jungen Mannes zu feiern und in der Küche sind wir uns näher gekommen. Uns verbinden Vanille und Pommes Duchesses und gut gekühlter Wein. Wir haben Lachs gegrillt und Carta da Musica gebacken und dann und wann hat er mich auch verraten, wie es sich für eine große Liebe gehört. Aber es wird immer Eine geben, die er mehr liebt, mehr lieben muss als mich. Wichtig ist, dass wir Spaß miteinander haben, über gemeinsame Erlebnisse reden, von Zeit zu Zeit ins kühle Nass springen, um dann formidabel zu speisen oder zu kochen. Die Sommersprossen auf seiner Nase tanzen, wenn er nachdenkt und mir die Welt erklärt, naseweis, denk ich mir und „Ein Mann, halt.“

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Und ich lass ihn Mann sein, wie er mit dem Haubenkoch plaudert, scharf beobachtet und fein abschmeckt. Kutteln mit Hühnerherzen, klingt ihm dann schon zu sehr nach Hundefutter, scherzt er, hinter vorgehaltener Hand. Den Wein such ich selbst aus, ich lade ja auch ein. Er trinkt keinen Alkohol, will aber genau wissen, was ich trinke. Wir unterhalten uns blendend, besprechen jeden Gang, kosten, kommentieren.

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Am Schluss fahren wir mit der Straßenbahn heim Später machten wir uns auf zum Ex – Kurzbesuch. Durch die weite Anlage des Alten AKH spazierten wir blödelnd nach Hause. Froh sei er, meinte er, dass wir keinen Krieg hätten, der Ex und ich, als ich ihm das erklärte. Da kannst du ja mal zum Camping mit uns kommen. Er schlief im Gästezimmer. Heute früh habe ich ihm ein Bild von uns gezeigt. Er in meinen Armen, vor elf Jahren, ein kleines Menschlein, das zu früh auf diese Welt wollte. Alles Gute zum Geburtstag, mein Neffe. Der Tag mit dir war ein Geschenk für mich.
4236 mal erzählt

10
Jun
2012

Vatertag

Mein Vater war ein großer Mann. Nicht nur körperlich mit 1,92 m, sondern auch in jenem Sinn, den man hier gemeinhin als groß empfindet. Er war beruflich erfolgreich, prominent sogar eine Zeit seines Lebens und geschätzt und geachtet in seinem näheren und weiterem Umfeld. Und er war mir, seinem einzigen Kind, ein großartiger Vater. Er hat mir Schifahren beigebracht und den Köpfler, lesen und fragen und die Wertschätzung für so viele Dinge und Menschen im Leben, für das Leben an und für sich. Über seinen Tod hinaus.

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Denke ich an ihn, spüre ich zuallererst wie schmerzhaft das Blut in meine Zehen zurückrinnt, die so kalt geworden sind in den engen, kalten Schischuhen. In jener Erinnerung wärmt er dem weinenden Kind die Füße in irgendeiner Hütte mit beiden Händen. Und gleich darauf sehe ich uns Bögen über Pisten ziehen – und wir singen „Grüezi wohl Frau Stirlimann“ oder „Uf der schwäbschen Eisenbahn“, laut und falsch, wie wir stets begeistert laut und falsch sangen, beide unmusikalisch. Ich sehe mich am Boden liegen, in Micky-Maus-Heften blättern, während im Radio der „Schalldämpfer“ läuft. Die Comics hat er mir gekauft in jenem Geschäft, wo er jeden Samstag auch seine Zeitungen gekauft hat, die er dann nicht weit von mir am Sofa studierte, ehe er erst leise röchelnd dann lauter schnarchend einschlief. Und am Sonntagmorgen durfte ich ins Elternbett und im Radio lief der Gugelhupf und manchmal schossen wir einen Ehrensalut mit einer kleinen Kanone. Ein paar Mal haben wir auch miteinander gebadet, ganz nackt habe ich ihn nie gesehen, ein Waschlappen schützte seine Intimzone. Einmal sind wir vom Brenner wieder nach Sterzing zurück gefahren, um eine vergessene Barbiepuppe zu holen - sie war nicht mehr da. Ich stehe am Beckenrand und seine Hand ist auf Höhe meiner Knie – sie sollen gerade bleiben beim Köpfler. Von seinen vielen Reisen hat er mir stets etwas mitgebracht und immer Karten geschrieben, eine letzte witzige gerade mal drei Monate vor seinem Tod Ein andermal hat er am Wohnzimmertisch mit mir gelernt, Mathematik, das geschah selten, das war nicht seins, Schulsachen und wohl auch Mathematik, plötzlich wackelte der Luster und wir flohen unter den Türstock, ein Erdbeben. Er wusste was tun. Damals war er berühmt und umstritten. Die Menschen bedrohten uns und er war weit weg; er entschied nach seinem Gewissen. Das verziehen ihm manche nicht; er war weit weg, wir zahlten den Preis; das verzieh ihm die Mutter nicht. Er bekam einen Orden. Es fühlte sich seltsam an zwischen Stolz und Angst. Viel, viel später habe ich einmal geträumt, dass ich einen Liebhaber verprügle, weil er den Vater angreift und noch später habe ich einen verloren, weil ich den Vater verteidigt habe.

Als ich ein kleines Kind war, hätte er nichts mit mir anzufangen gewusst, erzählt die Mutter oft. Später aßen wir Schnecken und ich probierte alles aus, was er mir empfahl – und auch er hatte immer alles gekostet, sogar Schnaps mit einer Schlange drin, wie ich stolz erzählte. Meinen ersten Champagner habe ich mit ihm getrunken, meinen ersten Rausch hatte ich an seinem 50. Geburtstag. Von den Galadiners, die die Eltern in jener Zeit besuchten, brachten sie mir Hummerscheren mit, die ich zum Frühstück auszuzelte. Einmal, da war ich ganz frisch in Wien, waren wir in einem Haubenlokal, nur er und ich. Einmal haben seine Freunde ein Frühstücksbuffet im Fünf-Sterne Hotel geplündert und meine Tasche mit all den Leckereien gefüllt, von denen ich in meinem studentischen Haushalt nur träumen konnte.

Am meisten vermisse ich wohl seine Stimme, seine Worte. Wenn er sprach hörten alle zu und die heftigsten Diskussionen im Familien- und Freundeskreis verstummten, seine ausgleichenden Worte erwartend, wie er sie wog beim Sprechen stetig überlegend. Nie habe ich erlebt, dass er jemanden verurteilt, angreift, herunter macht, stets war er um Gleichgewicht bemüht. Oft haben wir gelacht und die Biographien berühmter Menschen wie, Franz Josef Salz, 1712 bis 1796, Erfinder des nach ihm benannten Salz-Stangerls erdacht. Wenn er Nachts nicht schlafen konnte, las er dicke Wälzer. Krimis mochten wir beide.

Eine Bombe vor der Tür der Elternwohnung war seine erste Erinnerung, hat er mir erzählt. Kurz darauf erhielt sein Vater Gauverbot. In jenen Jahren haben sie dem Buben den Schädel vermessen um festzustellen, ob er – und sein großer Bruder – denn arisch genug sei, um für die HJ im Schifahren, Boxen, Schwimmen Erfolge einzufahren. Jüdisches Blut von der Mutterseite, Beziehungen – unter anderem zu den Hörbigers – halfen. Sein Vater war nicht da, die Mutter wurde zwei Mal ins Lager verfrachtet, dann wieder frei gelassen, Beziehungen. Manchmal erzählte er mir, wie sie im Krieg vor den Bomben geflohen waren, aus jenem unserem Haus, seine Mutter seine Tante und er und der Tante war die Handtasche geplatzt und er hatte alles aufgelesen, bevor sie den Bunker erreichten. Das war an jenem Ort, an dem wir unseren letzten gemeinsamen Spaziergang machten, dort, wo ich ihn auch heute noch treffe. In den letzten Kriegstagen hatten sie den 15jährigen mit Plänen im Zug von Tirol nach Erfurt geschickt, Bomben überall, eine Nonne, die ihn im Kloster übernachten ließ. Und dann kamen die Amis noch vor den Franzosen und sein Englisch half ihm und seinem Umfeld. Sprachen und Sprache war immer seins, mitteln und vermitteln.

Später hatte er dann Jus studiert wegen der Gerechtigkeit, wie er mir einmal erzählte und obwohl er „nicht geschäftstüchtig“ war, wie man ihm sagte. Strafrecht interessierte ihn kaum, zu schwierig das abwägen, eher Ziviles und der Sport und auch da war es nie besonders einfach das Richtige zu tun, zu entscheiden, zu sagen. Die dunklen Stunden verfolgten ihn sein Leben lang, das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. Auch das kenne ich.

Manchmal ließ er mich Berufe raten bei Menschen, die ich neu kennen lernte, manchmal lösten wir Kreuzworträtsel, bei denen man um die Ecke denken muss, in Wien gingen wir gerne zusammen essen, oft wünschte ich, wir hätten mehr miteinander gesprochen, aber da war oft Unsicherheit und Verlegenheit in all der Liebe. Ich bin ihm noch immer dankbar für jede Träne, die er in meiner Gegenwart geweint hat und für die stille Weisheit, mit der er mein Leben begleitet hat, ich bin wohl nichts von dem geworden, was er sich je erhofft hat, wenn er sich etwas erhofft hat. Er hat sich stets für alles interessiert, was ich gemacht habe. Keine Ahnung, ob er je so stolz auf mich war, wie ich auf ihn. Ich weiß nur eines: er fehlt mir so. Gestern hatte er Geburtstag, seinen 75er haben wir gemeinsam gefeiert, ich habe ein Fest für ihn organisiert.

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Oh, mein Papa! Ich vermisse dich so sehr….
1296 mal erzählt

14
Mrz
2012

Landpartie

Manchmal, Leute, kann‘s passieren,
dass an ganz besondren Tagen
Piratinnen mit ihren Offizieren
Sich aufs weite Land mal wagen.

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In einer Kutsche fahren sie raus
Und der H., der sitzt am Steuer.
Ihr Ziel das ist das Elfenhaus,
dort gibt’s Essen frisch vom Feuer.

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Elfen – und das müsst ihr wissen -
Sind nicht engelsgleiche Wesen.
Männer setzt euch hin beim Pissen!
Staubsauger gibt’s hier statt Besen.

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Und die Herrin dieses Ortes
Ist eine Elfe jener Art,
Meisterin des klaren Wortes,
weiche Lieb, im Nehmen hart.

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Ihre Seele ist voll Kraft
Und ihr Herz, das bietet Raum,
stets hat eines sie geschafft:
zu leben jeden neuen Traum.

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Und sie lud zu einem Fest
Jung und alt ins Elfenhaus
Und im feinen, neuen Nest
Wurden Zauberstunden draus.

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Ja, wir haben uns gefunden
Jetzt im Leben, erst im Netz
Und verbringen schöne Stunden
Reden, lachen, haben a Hetz.

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Space gibt’s genug nicht nur im Cyber,
gerne seh'n wir uns im echten Leben,
BlogerInnen und toll3ste Weiber:
Wunder-voll, so ist das eben!

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Und der holprig Reime Schluss,
werdet ihr euch jetzt wohl fragen.
Ich will, nein, vielmehr ich muss
Wieder einmal Danke sagen!

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Soviel Glück ist mir beschieden!
Allzeit gute Fahrt und eine Handvoll Wasser unter dem Kiel…
1563 mal erzählt

10
Mrz
2012

Aba wusch, aba wui

Wie glücklich bin ich heute erwacht. Zum ersten Mal um sieben Uhr früh – wie gestern. Ja, gestern begann der Tag mit jenem gruseligen und doch wohligen Kribbeln, das dem Lampenfieber vorangeht.

Meine Männer begleiten mich durch den Tag. Georg fuhr den Computer hoch, checkte sich durchs Netz und versuchte zu arbeiten. Petel, englisch ausgesplochen, dlängte in die Küche, el wollte unnbedingt Gemüse schnippseln mit einem anständigen Messel. Wäre da nur nicht gewesen Don Carlos mit seine Temperamente, capisci? Am Weg zum Einkauf musste ich Giovanni davon abhalten den belle Ragazzi nachzupfeifen. Da kam mir Markus mit seiner psychologischen Spezialausbildung nach dem Fall Cheibani W. wie gerufen. Und natürlich mein Wissen über Neurologie. Und der 1. Offizier, der mir treu zur Seite stand.

Ich dachte viel an die Frauen, die ich am Abend wieder sehen würde: Iris und Sybille, die mich erst so weit gebracht hatten, faszinierend in ihren Parallelen und Gegensätzlichkeiten und in ihrer Phantasie; Sybilles Mutter, diese bittere böse Frau, die hübsche Eleana mit ihren Träumen, die engagierte Saskia mit ihren großen Augen, das blonde Gift aus Irisens Büro, der Trampel vom Bankschalter und natürlich auch mein Bruder, mit all seiner Babymacheraufgeblasenheit. Und ich fieberte ihnen entgegen.

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Was für ein Wiedersehen dann mit den Toll3stesten, die frau sich nur vorstellen kann. Und mit all den anderen Einheimischen aus Blogistan, die mein reiches Leben so bereichern – Frau Eulenkatz, gut, dass Sie da waren. Und mit Freundinnen und Freunden, die gekommen waren – schnittig von weit her sogar - und sogar Eintritt zahlten, um uns bei der Verwirklichung unserer Träume zuzusehen und zu –hören. Und mit meiner alten großen Liebe: der Bühne.

Wir haben es durchgezogen, wir haben es wahr gemacht, wir haben es schon wieder getan. Und es hat solchen Spaß gemacht aus Madame LaMammes grandiosem Text, mit der Spielfreudigkeit (und Verspieltheit)der bezaubernden B. eine szenische Lesung zu bauen. Umsorgt, umschwirrt von guten Geistern, die stets bereit standen, Leib und Seele und Schauspielkunst zu bereichern.

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Danke Euch allen und vor allem Danke, einem Publikum dessen Augen, dessen Lachen, dessen Applaus, ja dessen Liebe uns durch fast zwei Stunden „FRAUEN LIEBEN STERBEN“ getragen hat und all jenen, die uns noch bis lange nach Mitternacht begleitet haben.

Soviel Glück ist mir beschieden!
Allzeit gute Fahrt und eine Handvoll Wasser unter dem Kiel…
1515 mal erzählt

26
Dez
2011

Still und starr ruht der See

„Magst du die Mama überhaupt?“ fragt die Mama. Das Kind schluckt. „Ja“, sagt es und „Ich liebe dich, Mama.“ Im Kindskopf geht es rund. Die nicht gesagten Worte knallen gegen die Wände. Wäre ich sonst hier? Und es ist gerade erst Halbzeit. Würde ich sonst die Haare streng zurückbinden, wie du es liebst? Zu Kleidungsstücken greifen, die du magst und mich freuen, wenn du mich hübsch findest? Mich, mein Leben, mein Sein, meine Wünsche verschweigen?

Gerade eben hatte die Mutter gesagt, dass sie sich einen Germguglhupf wünsche, wie von ihrer Mutter. Das hat sie schon früher gesagt, einmal vor einem Jahr etwa hat das Kind sogar einen gebacken, im Flugzeug mitgebracht, voller Vorfreude und begleitet vom Lächeln freundlicher Stewardessen, die gerührt waren vom originellen Handgebäck. Er hat nicht wirklich geschmeckt, wie er schmecken sollte, wie auch, war ja ein Kindertraumgugelhupf der Mutter, niemals würde ein Gugelhupf wohl wieder so schmecken, vielleicht kann sie sich deswegen nicht mehr daran erinnern, vielleicht erinnere ich mich deswegen so gut daran.

Sie spricht viel von ihren Eltern, der harten Kindheit, Opfern, Leiden, längst vergangenen Zeiten. Von „unserer“ Zeit spricht sie nie. An meinem Leben interessiert sie nur die äußere Form. Ich hab mir vorgenommen, ihr nicht vom Einen zu erzählen, um ihn, um mich, um uns, um die Liebe zu schützen, auch wenn es schwer fällt, weil ich so glücklich bin, das Glück gern teilen würde und ihm irgendwann mein Leben hier zeigen. Doch ich weiß, dass sie ihn, ihr Wissen benutzen würde, um mich zu verletzen, so schweige ich. Sie fragt auch nicht und so muss ich nicht lügen.

In der Weihnachtsnacht entkomme ich kurz. Zum Gotlkind darf ich, der kleinen Mimi und ihrer Familie. Die Kinder lachen und Prinzessin Mausezahn lädt mich ein, oben in ihrem Stockbett zu schlafen. Das ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk, die Nacht im Kinderzimmer, im Stockbett, das hustende Mädchen unter mir. Die Erwachsenen machen mir Angst, ihre Bitterkeit, die Härte und da wie dort ist es wie Gehen auf dünnem Eis.

Still und starr ruht der See, dort wo ich meinem Vater begegne. Ihm erzähle ich von meinem Glück, meinem Leben, meiner Liebe und von damals, als ich Kind war. Und es scheint, als wäre er der Einzige hier, der sich an mich erinnern kann.

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"Mag die Mama mich überhaupt?" fragt sich das Kind... schon lange.
1358 mal erzählt

1
Nov
2011

Save our souls...

Ich sitze im Zug, erleichtert und glücklich bin ich eingestiegen, fünf Tage, vier Nächte war ich bei der Mutter zu Gast im hellhörigen Elternhaus in einem Leben, das nicht meines ist, mit mir nichts zu tun hat oder nur wenig, so wenig wie sie von meinem Ich zulässt. Am zweiten Tag gibt es immer Streit, egal wie sehr ich mich in Zen oder die Kunst die Mutter zu lieben übe, wie ich mich anstrenge, wie viele Kleidungsstücke ich mitnehme, um ihren Traumvorstellungen zu genügen und egal, ob ich mein Haar wild und lockig trage oder sauber zurück gebunden. Das kleine Mädchen schreit nach Aufmerksamkeit, die Mutter hört das Schreien und überschreit es mit ihren Klagen.

„Weißt du noch“, erzähle ich von jenem allerersten Theaterauftritt. Die Müllerstochter war ich im Rumpelstilzchen im Haus der Frau des Architekten, im Publikum die Mütter und die Architektenwitwe, Den Königssohn spielte eine, die später beste Freundin war. Das Talent zum Pathos habe ich wohl von der Mutter geerbt und heftig outriert und geklagt, dass ich Stroh zu Gold spinnen soll. Das Rumpelstilzchen aber war zu jung und stampfte auf, wie es die Rolle vorschreibt: „Ich mag nicht mehr!“ sagte es dann statt „Ach wie gut, dass niemand weiß…“ und verließ die Bühne.

Die Mutter schüttelt den Kopf, ihre Lippen werden schmal, sie zweifelt die Erinnerung an, wie so viele meiner Erinnerungen, sicher sei sie einmal in dem Haus gewesen zum Kaffee, nicht um die einzige Tochter beim ersten Theaterauftritt zu erleben. „Und später?“ will ich wissen: „All die Krippenspiele?“ Sie habe kein Auto gehabt, sei wohl nicht dabei gewesen, doch ich kann mich erinnern an meine Mama in der ersten Reihe. An das taiwanesische Baby, das sie einst dort adoptieren wollte und von dem ich Jahre gehört habe, dass es wohl das bessere, dankbarere Kind gewesen wäre, erinnert sie sich genau und an dessen Mutter und alles rundherum.

Ich frag noch einmal nach am nächsten Tag, bitte sie mir eine Geschichte aus meiner Kindheit zu erzählen. Sie sei mit mir oft und lange allein spazieren gegangen und hätte sich so alt gefühlt beim Elternsprechtag, sie habe mir den Schulweg auf Kassette gesprochen. „Und ich?“, will ich wissen. Am Abend hätten wir immer alles ausgeredet, auch wenn sie zornig gewesen sei, sie hätte es schwer gehabt, wäre allein gewesen, der Vater nie da, eifersüchtig auf das kleine Mädchen. „Ihr wart gut für mich“, sag ich ihr und „Danke“ – das tröstet uns beide.

Wenn sie mich fragen würde, ob es jemanden gibt in meinem Leben, den ich liebe, würde ich ihr vom Einen erzählen, weil ich sie nicht anlügen will, darf. Doch sie fragt nicht und so kann ich ihn in meinem Herzen schützen vor ihrer bösen Zunge und den spitzen Worten, mit denen sie jeden Menschen durchbohrt hat, den ich je geliebt habe, wie die Spiegelsplitter der Schneekönigin.

Und dann bricht wieder der Schmerz aus ihr hervor, das verpatzte, verpasste Leben, all das, was ihr die Vaterfamilie angetan hat, deren Namen ich mit Stolz trage und sie mit Verachtung ausspricht. Längst habe ich aufgehört die geliebteren Papa-Großeltern zu verteidigen; ich spreche nicht mehr über die Cousinen, die weder das Haus betreten dürfen, noch zu ihrem Begräbnis kommen, wenn sie dann – bald , wie sie versichert – stirbt. Manchmal bitte ich sie die Litanei zu stoppen, Frieden zu schließen mit denen die 40 oder auch nur 10 Jahre tot sind. Dass sie den Vater nicht geliebt sondern geachtet hat, kommt zwischendurch und tut auch weh, ich wäre so gerne ein Kind der Liebe gewesen.

Abends sagt sie einmal: „Wenn ich jetzt einfach hinüber schlaf, bin ich selbst im Tod ein Schnäppchen.“ Der Tod, ihr Tod, begleitet uns in diesen Tagen, schon seit Jahren, seit viel zu vielen, ich habe mich dran gewöhnt und fürchte ihn doch wie den Tod des Vaters, der hinterrücks in mein Leben eingedrungen ist und alles verändert hat. Dass sie gerade heute besonders viel von ihrem Tod spricht, muss an Allerheiligen liegen und weil ich abreise und informiert sein soll, was zu tun und zu unterlassen.

„Ach, Mama“, sag ich und nehm sie in den Arm; versuche mit ihr zu scherzen, die von sich selbst sagt, dass sie nicht lachen kann, höre die Geschichten, die uralten und ein paar neue alte, die manches erklären. Dann bin ich froh im Zug zu sitzen, am Weg zurück in mein Leben, ich werde anrufen, wenn ich anrufe. Und dann ruft der Nachbar an, die Mutter ist im Krankenhaus, Blaulicht, ein Schwächeanfall. „Siehst du“, sagt das kleine Mädchen: „Sie hat immer recht, sie weiß alles, sie ist deine Mama…“ und krallt sich in mein Herz. Ich habe solche Angst, sie zu verlieren.

Mama, bitte bleib noch bei mir, bitte!
Heute ist Allerseelen.

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957 mal erzählt

22
Sep
2011

Am Wasser

Ich sitze dort und spreche mit dir. Du wusstest immer Antwort auf alle Fragen, die das kleine Mädchen gestellt hat und es hat leider nicht alle gestellt; immer weniger mit den Jahren und immer seltener die brennenden, die wichtigen, die richtigen. Zuviel Angst hatte sie vor deinem Schmerz, deiner Verlegenheit, wenn dich etwas zu sehr berührte. Dass du immer Antwort wusstest, hat auch die Mutter später gerne erzählt: "Und wenn er keine wusste hat er einfach eine erfunden. Aber lange habe ich gedacht, der weiß alles, so naiv war ich..“ Nicht erfunden, darüber nachgedacht, gefunden, erdacht. Ich liebte es wie du zuhörtest und ich liebte es dir beim Nachdenken zuzusehen, den Kopf, den Gedanken wiegend, die grünen Augen suchend und ich mochte deine wohl erwogenen Antworten.

Während ich diese Worte auf den Stufen sitzend in mein kleines rotes Bücherl schreibe, spricht mich eine fremde Frau unvermutet an, blond, ein wenig verweht, betrunken? Ob ich bei dem Licht noch lesen könne, ob ich mich nicht fürchte so alleine, will sie wissen. Und ich verneine, sie wirkt verzweifelt, sehr einsam, weint immer wieder und so lasse ich mich in ein Gespräch verwickeln über die harten rauen Menschen hier und Brustkrebs und die Kraft, die ihr ausgeht.

Oberösterreicherin ist sie und lebt seit mehr als 40 Jahren unter diesen Menschen, mit denen sie sich so schwer tut. Das Fußballmatch am Sportplatz nebenan endet 2:1, wie jemand brüllt. Ich versuche Worte zu finden, spreche von der Kraft, die sie die böse Krankheit besiegen hat lassen, sag ihr, dass sie stolz auf sich sein kann und überlege, wie ich es anstelle, dass ich wieder alleine mit dir und meinen Gedanken sein kann. Ein Auto bleibt stehen. Karma Chameleon tönt laut aus den offenen Fenstern. Irgendwann sage ich ihr dann doch, dass ich gerne wieder alleine sein möchte und sie dankt mir, verabschiedet sich und geht.

Du hättest auch mit ihr geredet, das habe ich von dir. Ich suche auch immer Antworten, auch das habe ich von dir. Und so viel Fragen hätte ich noch an dich. Und manchmal scheint mir du antwortest, dort am Wasser.

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1022 mal erzählt

21
Sep
2011

Weinseminar

Sie waren mein erster Kurs, zumindest einer der ersten: Kommunikation für BetriebsrätInnen aus dem Reinigungsgewerbe, später dann das Nähkästchen. Weinseminare haben sie diese Seminare damals genannt, weil immer mindestens eine, meist mehrere und oft auch ich, dabei weinen mussten. Starke Frauen sind sie allesamt, jede auf ihre Art, lauter und leiser, immer im Kampf für Gerechtigkeit und gegen die paar Kilos zu viel auf den Hüften. Mütter, Großmütter, mittlerweile sogar eine Urgroßmutter, wir sind alle älter geworden…und wirken jünger, wenn wir gemeinsam schallend lachen. „Lachseminar“, sag ich und sie meinen, dass sie doch gern auch weinen; umnd das tun und taten wir auch in diesen drei Tagen in den Bergen. Gründe dafür haben sie in ihrem Leben wohl viele gehabt, die alleinerziehenden Schwestern, die Betrogenen, Verlassenen, Unterschätzten, Verletzten, aber nur selten haben sie sich die Tränen genehmigt, Tränen der Wut vielleicht, dann und wann, aber die kosten ihren Preis und das sofort. Am Anfang kam ich mir jünger vor als die meisten von ihnen, oft wie eine Art Tochter, heute fühle ich mich wie eine Schwester. Sie haben sich mich gewünscht für dieses Seminar. Ich hätte mir sie gewünscht und hab sie bekommen; sie und so viel Liebe.

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Ich vermisse meinen Vater, der heute vor drei Jahren gegangen ist. Mein Leben, Denken, Sein hat sich seitdem verändert und ich weiß nicht, ob er glücklich darüber wäre. Ich bin glücklich und das würde ihn freuen; das wenigstens weiß ich. Er fehlt mir, sehr.

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1160 mal erzählt

15
Sep
2011

Die Mädchen

Wie orientalische Prinzessinen sehen sie aus mit ihren farblich perfekt auf die Kleidung abgestimmten Kopftüchern und den wunderschön geschminkten Augen, die an den Lippen des Geschichtenerzählers hängen, des Korrespondenten aus ihrer Welt. Karim El-Gawhary präsentiert sein „Tagebuch der arabischen Revolution“ in der Buchhandlung meines Vertrauens. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters im Krankenhaus rechts der Isar geboren ist durch seine Berichte und Live-Einstiege vom arabischen Frühling vom Journalisten zu einer Art Medienstar geworden. Er ist Mittler zwischen den Welten Orient und Okzident, er erzählt von Völkern die Plätze besetzen und sich friedlich ihr Land wieder zu eigen machen, die Diktatoren überwinden und für Brot und Würde kämpfen.

Mit neuen Mitteln in einer neuen Welt, so wie die Jugend während der arabischen Revolutionen nutzt er Blog, Facebook und Twitter. Das spiegelt sich auch in seinem Buch und es leist sich wie eine Zeitreise in die ersten Monate dieses Jahres. „Nach dem Raumschiff Enterprise Motto: Scotty beame mich zum Tahrir- Platz“ steht im ersten Kapitel. Und die bildschönene Gesichter der Mädchen in der ersten Reihe, die immer wieder mit ihren Handy filmen und photographieren verwandeln sich in die Gesichter der 16jährigen Ägypterinnen, die aufgebrochen sind. um ihren Platz zu verteidigen und letztendlich ihre Eltern mitgerissen haben. Und er erzählt von dem jungen Muslim, den er gefragt hat, was sich an ihm verändert habe in den Tagen am großen Platz. Und wie dieser wirklich ernsthaft darüber nachgedacht habe und dann erklärt hat: „Früher dachte ich Frauen sind nur für bestimmte Berufe geeignet, jetzt weiß ich, Frauen können alles.“ Da steht ein feuchter Glanz in den Augen der Mädchen.

Es ist nicht die einzige Geschichte, die die vielen, die gekommen sind, um dem Autor nahezu zwei Stunden lang stehend zu lauschen, bewegt. Oft könnte man eine Stecknadel fallen hören, während El-Gawhary von Mut und Freiheit und immer wieder Menschen spricht. Von der jungen Scharfschützin Ghaddafis im Krankenhaus in Tripolis, kaum 19 Jahre und zart und klein, von ihren Tränen und der Frage wie viele Menschen sie wohl getötet hat aus dem Hinterhalt von einem Hausdach, von dem sie sprang, um den Rebellen zu entkommen. Augen begegnen sich, Blicke, wortloses Verstehn, lächeln, nicken, Fremde, Vertraute. Und die diffuse Hoffnung auf eine bessere Welt.

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Später dann, nachdem er geduldig Bücher signiert hat, stürmt eine andere Gruppe junger Mädchen den Raum. Sie haben Karim El-Gawhary durch die Auslage erkannt und schon vorher getroffen. „Wie erreiche ich euch, will er von ihnen wissen, die Facebook verwiegern.“ Starke junge Frauen, lauter direkter als ihr Altersgenossinen mit den Kopftüchern, aber genauso neugierig, so interessiert. Nur zwei Burschen haben sie im Schlepptau, eine Mädchengruppe wie die andere, wie so oft. Neugierig, am Weg ins Leben, uralt mit Mitte 20. All die Mädchen und jungen Frauen mit ihrem feuer, ihre Wärme, ihrer Neugier, mit ihren Freundinnen. War ich je eine von ihnen?

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1431 mal erzählt

22
Aug
2011

Meine großen Ferien

Heuer wäre wieder ein Vulkan dran gewesen. Jedes zweite Jahr haben wir Urlaub mit Vulkan gemacht, Bali war der letzte. Heuer hab ich nicht einmal das Meer gesehen, er auch nicht. Mit wem auch nach 20 Jahren gemeinsamen Urlaubs?

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„Fährst du weg?“ haben mich die Menschen seit Juni gefragt. „Nein“, hab ich geantwortet, von Urlaub in Wien gefaselt, Erklärungen gestammelt und nicht ganz neidfrei die Urlaubsfotos im Netz bewundert. Urlaub ist es also keiner geworden im Sommer 2011, aber Ferien hatte ich, wunderschöne ganz große Mini-Ferien mit allem, was dazu gehört: Abenteuer und Entspannung, Tauchen und Zelt, voll gepackten Rucksäcken und Quartett, langen Anreisen im öffentlichen Verkehr, gut behütet und Händchen haltend, dicken Schwarten und Kreuzworträtseln, Grillerei und Gewitter, Sonnenauf- und -untergängen, Dosenbier und neuen Freunden, Katzen streicheln, Ferienhaus und Ferienküssen.

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Und einem Vulkan wohl auch und dem Meer, irgendwie…und ich war hin und weg und doch ganz da, bei mir.
1055 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

2015-03-21-23-44-54

Soundtrack

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Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
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Wenn ich schon geahnt...
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katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
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datja - 18. Jul, 18:34
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Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
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