Ferragosto
Da saß sie am Montag, Nachmittags gegen vier, allein mit einem Glas Wien. Es war heiß - Ferragosto.. „Man könnte mich für eine Trinkerin halten“, dachte sie und dass es ihr egal war, wofür man sie hielt. Sie trank. Einen Schluck. Der Chardonnay war gut, vielleicht die Spur zu warm. Sie hätte um einen Eiswürfel bitten können. Die Kellner hatten ohnehin nichts zu tun. Sie standen in der Hitze herum. Wozu? Sie trank nun einen Schluck vom Wasser. Auch zu warm. So saß sie da und sah auf den Weg, der das Lokal vom Gastgarten trennte. Sah den Kellnern bei ihren kleinen Streitereien zu. Sah kaum jemanden vorbeigehen – Ferragosto. Die Stadt schien ausgestorben. Die wenigen, die nicht auf Urlaub waren, saßen auf ihren klimatisierten Arbeitsplätzen oder waren in die Bäder geflüchtet. Früher war sie gerne geschwommen. Sie war schon lange nicht mehr im Bad gewesen – sie war schon lange nicht mehr geschwommen. Schade. Aber auch auf der Flucht. Selbst in der komplett verdunkelten Wohnung war die Hitze unerträglich. Sie konnte nicht schlafen. Sie hatte sich geduscht, angezogen, geschwitzt und war hierher gegangen. Und da saß sie. Es war heiß, zu heiß. Links, einen Rösselsprung von ihr entfernt, saß ein einsamer alter Mann. Vor sich ein Bier. Vielleicht trank er. Das dachten die Leute wohl, ein einsamer alter Mann, eine einsame alte Frau, es ist heiß und sie trinken. Er hatte gegessen. Das hatte sie auch kurz überlegt, aber sie hatte keinen Appetit, auf nichts. Er wirkte ungepflegt. Sie hatte sich in Schale geworfen, die weiße Bluse, der Leinenrock, der eine Handbreit über dem Knie endete, sogar Lippenstift, für wen? Ferragosto. Ein Mädchen tanzte vorbei. Sie bemerkte sie kaum, bis sie den Wortwechsel zwischen einer jungen Frau und dem frechsten der Kellner rechts hinter sich vernahm. Es musste die sein mit dem Rehkopftattoo, das zwischen ihren Brüsten hervorgelugt hatte, als sie am Weg vom Klo an ihr vorbeiging, der alten Frau, die allein trank und vor sich hin starrte. Sie drehte sich nicht um, sie musste nicht wissen mit wem der Kellner stritt, sie wollte nichts wissen, sie hörte wieder auf zu hören. Sie erschrak daher, als der netteste der Kellner sie fragte, ob sie noch etwas bekäme. „Ein Eiskaffee, bitte“, hörte sie sich sagen. Sie blieb noch sitzen. Der alte Mann schien ein Rätsel zu lösen. „Fränkischer Hausflur“. Früher hatte sie gerne Rätsel gelöst. Aber irgendwann….ihre Großmutter hat Patiencen gelegt. Sie könnte nach Hause gehen, sie könnte gehen, wenn sie aufstehen könnte, sich aufraffen. Und Patiencen legen oder Solitaire spielen, wie es heute heißt, am Computer. Aber sie saß hier in der Hitze und der Eiskaffee schmolz. Gäste kamen und gingen. Unendlich langsam. Nur der alte Mann und sie. Sein Haar war schütter und zu lang. Ungepflegt. So ging sie nicht aus dem Haus. Oft. Meistens. Weil sie nicht aus dem Haus ging. Aber jetzt war sie da und trank den Eiskaffee, der viel zu süß war und mit Schlagobers, das sie nicht mochte. Sie hätte was sagen können. Aber sie hatte ja nicht einmal den Eiskaffee gewollt und ihn trotzdem bestellt. Was wollte sie noch? Oder nicht? Sie könnte mit dem Mann sprechen. Früher hatte sie oft mit Fremden gesprochen. Sie könnte auch den Kellner rufen, sie könnte zahlen und noch eine Runde durch den Campus gehen, das alte AKH. Sie kannte es auch noch als Krankenhaus. Schon damals saßen alte Menschen hier und starrten. Sicher, sie hätte ein Buch mitnehmen können. Und so tun, als würde sie lesen. Aber welches? Sie hatte zu viele Bücher gelesen. Was könnte noch lesenswert sein – oder wieder? Neue Gäste waren gekommen. Laute Menschen. Nicht zuhören, nicht hinhören, aufhören. Es war heiß. Es war zu hell. Sie hätte eine Sonnenbrille nehmen können, wegen der Falten und den Augen, die man darunter nicht sieht. Sie hatte nicht daran gedacht und wusste auch nicht mehr, wo ihre Sonnenbrille war. Ein Schluck Wasser. Den Eiskaffee würde sie stehen lassen. Den Kellner um die Rechnung bitten. Sie würde ihm Trinkgeld geben, er war nett gewesen. Vielleicht würde sie den alten Mann noch einmal ansehen, bevor sie ging. Wozu noch länger hierbleiben? Es war viel zu heiß – Ferragosto. Ja, das würde sie machen - später dann. Gehen. Bald. Sie fasst nur so furchtbar Schwer_Mut.
Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das elfte Wort - danke Dominik, für die stete Inspiration./
Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das elfte Wort - danke Dominik, für die stete Inspiration./
katiza - 13. Aug, 11:06
9 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
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la-mamma - 13. Aug, 13:07
diesen text find ich total schön!
katiza - 13. Aug, 14:53
Oh, vielen Dank - er ist mich über das *txt-Stichwort förmlich zugeflogen - und hat sich fast von selbst geschrieben....
rosmarin - 14. Aug, 14:51
Ich konnte es nicht lassen und habe Sie also nominiert für den "Liebster Award"....
greetz Ihre meertau
greetz Ihre meertau
katiza - 14. Aug, 15:50
Ach, liebste Frau Meertau - da fühle ich mich aber geschmeichelt - und mach mich dann gleich an die Arbeit .....
rosmarin - 14. Aug, 20:03
ach Sie Königin der Links.... so ein herziges Videöchen und so wunderbar das Jödelchen..... ganz ergriffene Grüße von Ihrer Frau Meertau
diefrogg - 18. Aug, 12:34
Puh, ja, ...
da stellt sich die Schwermut von selber ein beim Lesen. Ferragosto. Zum Glück ists etwas kühler geworden! Toller Text.
wortmischer - 26. Aug, 13:00
Für mich eine der besten Geschichten im *.txt-Projekt. Vielen Dank. Genau meine Kragenweite.
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