Lebens-Wert

14
Aug
2020

Pfiad di, Wolf

Bitte Nini, keine Lyrik.

Das hast du mir geschrieben damals, Wolf, als Elisabeth gestorben ist. Ich hatte Rilkes Schlussstück – mein Mantra zu Tod und Sterben - zitiert. „Der Tod ist groß.“ Zwei Tage vorher hattest du mich angerufen: „Nini, du kennst di aus mit dem Tod, Elisabeth stirbt“. So hat unsere Freundschaft begonnen. Wir kannten uns aus dem Grätzel, dem PoC, der Bar. Wir mussten uns nicht verabreden, wir trafen uns so. Und redeten, erzählten. Wir mochten uns. Wir waren im selben Alter, eben langsam auch Alter. Mit gelebten Leben. Manchmal hat mich dein Raucherhusten vom 4. Stock ins Cafe gerufen. Wir hatten gute Gespräche, auch damals schon. Auch über den Tod. Und nachher mehr.

Reden, reden konntest du, konnten wir. Du warst interessiert. Du warst immer interessiert. An so vielen Dingen. An Wissen, an Handwerk, an Leben. Ein Genussmensch. Mit Tiefgang. Du wusstest – so schien es mir zumindest – was du essen, trinken, rauchen, reden, tun wolltest. Und weshalb genau das jetzt und wie. Ein guter Wolf warst du, kein einsamer, schon ein Rudeltier. Mit Narben und manchmal hatschend, knurrend und heulend hast du dein Revier durchstreift hast, dein Wissen geteilt. Und welche Wissensschätze. All das, was du für dich erforscht hast. Ewig Lernender. Und Lehrender. In jener Zufallsakademie, dem Grätzel.

Ich sitze hier auf Terrassien, wo du dich auch Zuhause gefühlt hast. Wo du damals auf unsere Wohnung aufgepasst hast und sie auf dich. Wo wir an Hausfreunde-Abenden gemeinsam gekocht, gegessen und geredet haben. Viele der Menschen und Geschichten, die damals bei uns waren sind mir in den letzten Tagen wieder begegnet. Ich habe viel von dir gelernt. Übers Kochen, übers Leben, übers Trauern. Auch über die Wut, die Teil deines Lebens war und den Schmerz, den du von klein auf kanntest.

Wie schön war es, als du und Andrea ein Paar wurden. So viel Liebe, Leben, Freude. Zweisamkeit wieder. Ein warmes Feuer. Ein Herd, auf dem du kochen konntest, ihr kochen konntet. Zutaten, Wissen und Handwerk kombinieren, wie in allen Dingen deines Lebens. Und das Ergebnis teilen. Mit deinem echten Gentleman-Style hast du meinen Mann bei den Hochzeitsvorbereitungen begleitet. Ihm die Hosenträger geschneidert. Deine Freude bei unserer Hochzeit werden wir wohl nie vergessen.

Der Lock-Down hat uns noch einmal näher aneinander rücken lassen. Du hast mir einen Marschtornister genäht, der mich durchs Leben begleiten wird. Alles was ich brauche, hat darin Platz. Wohl gedacht, maßgeschneidert. Ostern haben wir gefeiert und den 1. Mai in unserer Neigungsgruppe Campari. Viel gelacht, geblödelt, philosophiert. Es war eine gute Zeit.
„Seltsame Leut ziehen seltsame Leut an, deswegen sind wir wohl befreundet“, das war wohl einer der letzten Sätze, den du zu mir gesagt hast. Gut ist es, dankbar bin ich dafür, dass ich wir befreundet waren, sind.

„Wer wird mich jetzt füttern?“ hat Andrea mich am Abend nachher gefragt. Ja. Wer wird uns jetzt füttern? Mit seinem Wissen, seinen Erfahrungen, seinen Ideen, seinen Widersprüchen, seinem Interesse, seiner Neugier? Der Wolf hat das Rudel verlassen. Ich werde seinen Ruf vermissen. Ich heul ihm nach.

Keine Lyrik, Wolf, ich weiß schon. Du warst nicht Lyrik, dein Leben war ein Roman. Und doch ein Zitat von Viktor Frankl, das mir in den Tagen nach deinem Tod zugefallen ist. „Der “Roman“, den einer gelebt hat, ist noch immer eine unvergleichlich größere schöpferische Leistung als der, den jemand geschrieben hat.“

Du hast uns gefüttert, das bleibt, du bleibst, wann immer wir an dich denken.

Wie sagtest du
F*ck!

RIP Wolf Andreykow und lebe weiter in unseren Herzen.

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18
Jul
2017

Der Tod und das Grätzl: Adieu Elisabeth!

Eine Freundin ist gestorben. Und ich weiß nicht einmal, ob ich sie Freundin nennen kann, darf, soll. 1.100 Freunde habe ich auf Facebook, manche würde ich auch im wirklichen Leben so bezeichnen. Sie gehörte nicht dazu, sie war nicht auf Facebook. Ich hatte keine Telefonnummer von ihr und keine E-Mailadresse. Ich weiß nur ungefähr, wo sie wohnte. Wir waren in einem ähnlichen Alter. Dass sie heuer 50 geworden wäre, habe ich erst nach, durch ihren Tod erfahren.

Wir haben uns auf der Gasse kennengelernt, im Grätzl, meinem physischen Lebensmittelpunkt. Irgendwann redeten wir ein wenig, wenn wir uns im PoC oder im 28 trafen. Zuletzt vor etwa zwei Wochen, auf der Alserstraße im Baustellenlärm. Vielleicht hat Wolf damals am Anfang das Gespräch eröffnet. Es waren immer Wolf und Elisabeth, manchmal Wolf wartet auf Elisabeth, seltener Elisabeth wartet auf Wolf. Vertraut war das und gut anzusehen und mitzuspüren, während der 1. Offizier und ich gerade erst die Segel setzten. Von meinem Fenster im 4. Stock aus konnte ich sehen, wenn die Beiden auf dem kleinen Bankerl vor dem PoC saß, Kaffee, Zigarettchen, Fahrräder. Manchmal beeilte ich mich dann, um unten mit ihnen noch einen Kaffee zu trinken, während oben der Brotteig ging. Im Lauf der Jahre – etwa sechs - führten wir mehr, oft gute Gespräche, manchmal über Rezepte, Lokalempfehlungen, immer öfter Persönliches. In der Zeit des langen Abschieds meiner Mutter war ich froh, wenn ich bei meinen Heimatbesuchen Elisabeth und Wolf in unserem Kaffeehaus traf. Wir sprachen über viel, vielleicht sprach auch mehr ich als sie – wie es meine Art ist. Elisabeth Huemer war fein – ganz und gar nicht in der Art von foin, sondern fein im Sinn von gut, von angenehmer Gegenwart, im Sinn von zart und doch nicht zerbrechlich. Ein feiner Mensch. Ich kam mir vor allem Anfangs oft zu viel zu laut vor in ihrer Gegenwart - ich glaub sie mochte mich trotzdem, vielleicht auch ein bisschen deswegen. Fein war es neben ihr zu sitzen, klug und überlegt ihre Worte mit feiner sicherer Sprache und Stimme.

„Ich habe eine Freundin, ich kenne eine Frau, die unterrichtet auf einem islamischen Gymnasium Biologie“, erzähte ich manchmal fast stolz. NaturwissenschafterInnen imponieren mir, im religiösen Kontext erschien mir das besonders spannend. Sie lehrte aber mehr, lehrte wohl auch Leben, sie kochte mit den jungen Menschen, sie erzählte von einem Musical, sie berichtete mit leuchtenden Augen von Aktionen und vorwissenschaftlichen Arbeiten. Ich bewunderte sie, wenn sie von ihren SchülerInnen sprach, voll Anerkennung und Klarsicht. Sie war eine jener LehrerInnen, die Leben verändern, glaube ich, behutsam, respektvoll, achtsam, fördernd. Das ahnte ich, wissen konnte ich das nicht. Manche der Postings unter ihrer Todesnachricht auf Facebook bestätigen das. Sie bedeutete vielen Menschen sehr viel.

Einmal waren wir Essen zu Sechst, ein-, zweimal waren sie beim Salon. Sie und der Wolf, gut in ihrer Wirsamkeit. Nie haben wir uns allein getroffen. Sie hat uns geholfen die Küche auszuräumen. Den Gewürzkoffer, auch der Feinheit ihrer Sinne wegen. Eine, die zupackte, in die Pedale trat. Ich seh das Rotkäppchen T-Shirt, den grauen Haarhelm und immer wieder das Lächeln und die Augen. Und dieses Lächeln. Und diese Stimme.

Biologie ist die Lehre vom Leben. Der Tod gehört dazu. Eine Lektion, die wir immer wieder lernen müssen. Und wenn wir in diesen Tagen in unserer Gasse in unserem Grätzel einander in die Augen sehen, dann teilen wir diese Erkenntnis in Schmerz und Trost. Biologie und Umweltkunde, Elisabeths rascher, plötzlicher Tod lehrt mich – und andere – zu leben, zu lieben. Jetzt und so lange wir sind.

RIP Elisabeth Huemer und lebe weiter in unseren Herzen.

Elisabeth
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20
Jan
2015

Nachtrag: Das Fest des Lebens

Es war mir ein Fest, es ward mir bereitet, ich habe es mir gewünscht und habe um so viel mehr bekommen, als ich erträumt hätte, hätte ich das gewagt….
Irgendwann spätestens im letzten Jahre habe ich mir abgewöhnt mir Manches zu wünschen, zu fürchten, in dieser oder jener Farbe auszumalen. Stattdessen tu ich das meinige dazu und lass es geschehen, gewiss, dass es gut sein wird.

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Und so war keine Furcht, nur die reine Vorfreude, die mein Herz rasen und meine Knie wackeln ließ, als mich meine beiden Adjudantinnen für den Start in den Abend abholten. Schon seit Wochen war diese vom 1. Offizier und nunmehrigen Vizekönig geschürt worden. Oft ließ er sich erst spät an Deck blicken, weil in der einen oder anderen Hafenkneipe was ausbaldovert worden war. Und dann die Erlösung: Das Komitee, er mir mit, unterm Sternenhimmel an mich geschmiegt, habe alles erledigt. Nicht so viele Partyspiele aber doch nicht zu leicht das Ganze dem Geburtstagskind gemacht. Wie gewünscht ein Fest mit Beiträgen in digitalen und analogen Grüppchen wurden ein Buffet aus selbst gemachten erstellt mit scharfen Chilli von der Krimiautorin, Hummelbrot, Aufstrichen, Tiramisu vom Exkollegen, Toll2ste Leckereien, Wickinger Or*o Flushis und sooooo viel mehr.

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Ich versendete Einladungen, hielt meine Neugier im Zaum und kaufte mir mit Löwenmut ein neues Kleid. Nicht zu alt und nicht zu jung. Und doch noch drei Mal umziehen, hin und her probieren und schließlich eine Lösung finden für den Weiberbauch und die schlaffen Ärmchen und Tanzschuhe, natürlich Tanzschuhe, bequem und fest. Fertig, es klingelt. Und jetzt standen sie da, zwei der drei Komiteedamen, die quirrlige Lioness, mein Kind und die ruhigere Rieglerin, Seelenschwestern, jede auf ihre Art, so schöne Menschinnen. Mit Seifenblasen nahmen sie mich in Empfang und führten mich zum Essen aus. Zu früh drängte ich zum Aufbruch, da wurde noch hektisch telefoniert und Zeit geschunden, beim Marsch über den regnerischen Brunnenmarkt und angekommen, der Geburstagschor gleich beim Eingang zur Feststätte.

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Thank you for the music – der Erstgeborene, Herr Doppel-T und überhaupt die kostbarsten Herren der überaus kostbaren Freitagsgesellschaft haben ihre Schatzkisten mit- und die Meute zum Tanzen gebracht – Soul-Sugar allerfeinster Güte. Doch zur in Erdöl gepressten Liebe der Singles kam noch mehr, eine formidable Live Band: The Kleesh, mit einem Best Off der Lieder meiner Jugend.

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Es war mir ein Fest mit Friends and Lovers, mit so vielen Menschen, mit denen ich schon gefeiert, geredet, gelacht, geweint, gelernt, geliebt, geschlafen, gewacht, getrunken, gegessen, geraucht, getanzt, gearbeitet, gesungen, gestritten, gekämpft, gefragt, geurlaubt, gehofft und gelebt habe.

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Euch allen Dank für dieses Fest und diese wunder-vollen 50 Jahre…..
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31
Aug
2014

Mama, meine Mama.

Auf ewig möchte ich das kleine Kind in den Armen halten, dessen zerbrochene Seele in dir ein Leben lang geweint hat. Das kleine Lottele mit der viel zu großen Verantwortung. Geboren in schwierige Zeiten im Elternleben, im Land. Wie schlimm muss es gewesen sein, als der kleine Bruder neben dir an Diphterie starb. Als du dieselbe Krankheit hattest. Erblindet und deine schwangere Mutter zwischen Geschäft und krankem Kind. Wie einsam musst du gewesen sein. Ein zweites Kind kam, wieder ein Bub. Vom Verstorbenen erbte er den Namen.

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Als kleines Mädchen schon kamst du im Sommer zur geliebten Tante ins Kurbad. Zum Onkel, der deine Kinderseele verletzt, zerbrochen hat. Dein Leben lang hattest du diese große Sehnsucht nach Liebe, wolltest funktionieren, es allen recht machen, aber vor allem gelobt und geliebt werden, Mama, du hast es gut gemacht, du hast dich immer klein gefühlt und warst doch groß im Leben. Ein Kind war dir fast zu wenig und so hast du uns alle bemuttert, deine Geschwister, deine Neffen und Nichten und deren Liebste, meine Vater, deinen Mann, mich, die Nachbarn, die Taxifahrerinnen, die Gärtner, das Pflegepersonal und die Ärztinnen und Ärzte. Du hattest ein großes Herz und warst Schrittmacherin für viele von uns.

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Ich weiß noch, als ich bei unseren Spaziergängen als kleines Mädchen hinter dir hergelaufen bin, so wie jetzt – ich komme später nach, ich bleib noch. Bis zum Schluss wolltest du immer wieder die Schuhe anziehen und aufstehen. Immer wieder hast du uns alle verblüfft mit deiner geistigen Klarheit, deinem Wissen und deiner starken Präsenz. Oh ja, du hattest Stil und Contenance, Coolness mit Würde – und Wahnsinn. Einmal hast du den Wunsch geäußert, zum Abschied mit einem Fremden ans Meer zu reisen, ihr hättet euch gegenseitig eure Lebensgeschichte erzählt und irgendwann hättest du aufgehört, Medikamente zu nehmen. So war es dann halt nicht, statt des fremden jungen Mannes war ich bei dir und mein junger Mann, statt zum Meer sind wir aufs Mieminger Plateau gefahren.

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Mama du hast säckeweise Bücher für mich nach Hause geschleppt und im Zuge der 1. Fastfoodwelle den Rumer Burger für uns erfunden. Deine Familie ging dir über alles, wenn man dir zuhörte war deine Familie eine Art gebenedeites Volk, besonders tüchtige, fleißige (und auch) schöne Menschen. Du warst so stolz auf deine Eltern, der Vater mit all seinen Ängsten, ein ehrenwerter Handwerker, die Mutter fleißig und aufopfernd, Kritik an den Eltern machte dich wütend, du warst stolz auf deine Vorfahren, deine Geschwister: den angesehenen Sparkassendirektor, den schönen und so tüchtigen Handwerker, die kleine Schwester, die du bekritteltest, wie unter Schwestern üblich, deren Söhne du stahlst, auf deren Attraktivität und Berufstätigkeit du aber immer stolz warst. Es war dir wichtig, dass deine Geschwister Kappen aufsetzten und geachtet werden.

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Aber erst die Neffen und Nichten: Du warst die verständnisvolle Tante, die immer den Lieblingskuchen buk und sie alle in ihren Loslösungsversuchen begleitete. Du hast Therapien bezahlt und Reisen gesponsert – meine Therapie übrigens nicht, die hab ich mir selbst geleistet. „Wegen mir?“ wolltest du wissen, als ich dir das damals erzählt habe, weil ich dir immer alles fast alles erzählt habe. „Wegen mir“ habe ich geantwortet. Das konntest du nicht glauben. Beides war richtig und ich bin froh und dankbar, dass ich mich wegen dir und wegen mir auf die Suche gemacht habe, diesen meinen Weg gegangen bin.

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Loslassen konntest du ein Leben nicht, nicht die Vergangenheit mit all ihrer Wunden, dein Zorn wütete bis zum Schluss auch noch gegen jene, die längst wieder zu Staub geworden sind. Du konntest die Geschichte deiner Familie nicht loslassen, nicht deine eigene, nicht mich, nicht all die anderen Kinder, den Schmerz, die Wut, das Leben. Dann hast du dich und andere verletzt. Wie dein Vater dich als Geisel verprügelt hat, weil er eifersüchtig war, so hast du gerne verbal die Lieben deiner Lieben verprügelt, wenn du sie treffen wolltest. Du konntest sehr hart zu dir und anderen sein, am härtesten zu mir, die ich dir das nächste war. Stetig die Liebe erprobend, ermessend. Du hast zur Schere gegriffen.

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Alle sind gekommen, wieder, um sich zu verabschieden und es war noch nie so ernst. Seltsame Stunden an deinem Bett, noch einmal warten, dein Wunsch aufzustehen, zu gehen, vielleicht zuhause zu sterben. Das gute Nachthemd, die Haare, „Gschaftloch“, hast du mich geschimpft , als ich versuchte, dich zu unterstützen. „Ich bin stolz auf dich“, hast du später gesagt, am selben Tag oder irgendwann. Keine Ahnung, ob du letztendlich froh warst, dass ich da war an deinem letzten Tag – ich war es. Ich wusste auch stets, dass du nicht gehen können wirst, so lange ich im Raum bin. Danke.

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Danke auch, dass du beim Bestattungsinstitut so klar deinen Willen fest gelegt hast. Ich hoffe, der Abschied war in deinem Sinne. Für mich war alles richtig und ich bin diejenige, die übrig bleibt.

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Ich hatte wundervolle Eltern.
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16
Dez
2013

Homestory

Nun also allein im Haus. Einsam vielleicht wie so oft hier … aber allein. Ich tue Verbotenes. Das sit einfach, weil hier fast alles verboten ist. Der Koffer lagert im Schlafzimmer, die Jacke hängt am Treppenpfosten – aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Morgen werde ich die Treppe wischen. Heute habe ich gelogen, habe mit dem Geliebtesten verbotenste Dinge getan. Am Wohnzimmersofa gesessen, ohne Decke und Schlimmeres. Alles knarrt, die Mutter omnipresent. Und dann die starke kleine Frau im Krankenhaus, an Schläuchen, schwach, und doch flirtend, über Körperflüssigkeiten in Beuteln scherzen, Voller Stolz und Würde; meine Mutter.

Ich liebe sie. Ich bin stolz auf die Energie mit der sie kleine Narben einfordert, auf die Freundlichkeit, die sie dem Personal entgegenbringt – meine Tochter kämpft für euch, sie ist stolz auf mich, die Umsicht, mit der sie regiert, die Organisiertheit ihrer Welt. Endlich Frieden und wir anerkennen uns, spät aber rechtzeitig. Der 1. Offizier, mein Ritter der Stäbe, steht mir bei wie mir noch nie jemand beigestanden und egal, woher die Winde blasen, das werde ich ihm ewig danken. Auch dass er, wiewohl nicht hier, weil in meinem Auftrag unser Leben lebend durch die Räume geistert; in so vielem begnadet, auch darin.

Bilder gibt es keine, Worte müssen reichen.
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3
Nov
2013

Alle Heiligen, alle Seelen

Friedhöfe mochte ich, so glaube ich zumindest, schon immer. Die Ruhe hat mich fasziniert und seit ich lesen kann, die Buchstaben auf den Grabsteinen, die Namen, Lebensalter und frommen Wünsche, die Bilder auf manchen von ihnen. Unser Friedhof liegt in der Geburtsstadt der Mutter, ihre Eltern liegen dort und jener viel zu früh verstorbene Bruder, dessen Namen derjenige geerbt hat, der schon im Leib der Großmutter heranwuchs, als sie ihren ersten Sohn zu Grabe trug. Oft habe ich sie gehört, die Geschichte vom Heinerle und immer hat es mich gegruselt, dass Onkel Heini neben mir stand, geboren im Sterbejahr des anderen.

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Immer schon war dieses Grab mit Efeu überwachsen. Dahinter ragt der Bettelwurf hervor, ein Familienhausberg, den die Mutter nie bestiegen hat, auch nicht der Exmann, wie jahrelang versprochen, geplant. Ich mag Allerheiligen, irgendwie auch schon immer mit Ausnahme von ein paar Jahren der Rebellion, aber auch da waren es vor allem die Heuchelei in Pelzmäntel gekleidet, die ich ablehnte, nicht den Friedhofsbesuch an und für sich. Denn der bedeutete neben Kerzen, Gräbern und dem fast gespenstigen Mantra des Rosenkranzes auch noch Familienzeit. Nachdem uns das Friedhofstor zwischen Pelzen und dunklem Loden ausgespuckt hatte, fuhren wir alle zusammen – auch wenn wir vorher an verschiedenen Gräbern gestanden waren, gemeinsam ins Wirtshaus. Nicht ohne vorher beim Süßigkeitenstand am Friedhofsvorplatz Kastanien, Schaumrollen und türkischen Honig erbeutet zu haben.

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Ein Eisenofen stand in der alten Holzveranda und es gab Köstlichkeiten, wie Schinkenkäsetoast, Pommes Frites und Saftl. – Gasthausessen mit viel Ketchup, das erst gegen Väter und Onkel verteidigt werden musste und ihnen später gnädig überlassen wurde. Dann nämlich, wenn es draußen dunkel wurde und wir mit Taschenlampen bewaffnet durch Felder und Obstgärten jagten, trotz des guten Feiertagsgewandes. Morgens mussten wir es anziehen, sorgsam ausgewählt von den Müttern, schön und ordentlich und doch auch ein wenig praktisch. Abends, wenn Schuhe verdreckt, Strumpfhosen schmutzig, Mützen verloren und die Ordnung aus den Fugen geraten war, wurde meist nicht mehr geschimpft, auch weil alle froh waren, wenn wir endlich im Auto einschliefen.

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An all das erinnere ich mich, während ich am Grab des Vater stehe, Mama aufrecht an meiner Seite, den eleganten Stock in der Hand, stolz und ein bisschen bitter.. Nie würde sie sich an einem Grabstein anlehnen oder sich gar setzen. Vielleicht kommt es mir nur so vor, aber die Zeremonie scheint kürzer geworden, der Pfarrer zitiert Kafka. Die Geschichte von der Maus. Seit fünf Jahren stehe ich an Papas Grab und gedenke meiner Toten, heute ist auch Eugenie bei mir und die, die um sie trauern. Weniger Menschen sind am Friedhof, weniger Gräber auch, kaum Pelzmäntel. Kurz flüstert mir die Mutter Anweisungen für ihr Begräbnis zu.

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Den Süßwarenstand gibt es nicht mehr und auch den Eisenofen, das Wirtshaus schon noch, die Holzveranda, diskret renoviert. Wir Erwachsenen essen Kiechl, die Kinder Toast und Pommes, bevor sie in den Feldern und Obstgärten verschwinden. Am Tisch bleiben wir, die verwandten Bergmenschen und ich und ich fühle mich fremd zwischen all den raschen Urteilen, den Prinzipien der Überzeugung genau zu wissen, was richtig oder falsch, wer gut oder böse. Ich stehle ein Stück Toast von einem Teller, trinke zu viel, verteidige mich und werde von Granatsplittern der Bosheit getroffen, verletzt. Mein Vater fehlt. Nicht nur mir, sondern den meisten hier am Tisch, habe ich den Eindruck. Mit ruhiger Stimme brachte er stets humrovolle Milde in die Strenge. Und sie lauschten ihm und ich war stolz.

Am Friedhof habe ich auf sein Grab gestarrt, die Rosen, die sich durchkämpfen, das fehlende Kreuz, wiewohl er der Gläubigste von uns Dreien war, . Erst am nächsten Tag treffe ich ihn, dort wo wir uns immer begegnen.

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Und dann daheim – am Vorderdeck, wissend, dass ich geliebt werde. So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
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21
Sep
2013

Papa

Fünf Jahre sind es schon und auch wenn mir jener Morgen, an dem sich alles verändert hat wie gerade gestern vorkommt, scheint er gleichzeitig ein Leben weit weg. Mein Leben, das sich so verändert hat. Manche dieser Änderungen hätten dich wahrscheinlich belastet, Änderungen waren nicht so deines, du bist deinen Weg lieber gerade gegangen. Ich weiß nicht, ob ich mein Leben verändert hätte, wenn alles gleich geblieben wäre. Ich weiß nur: so wie es ist, ist es gut und es fühlt sich richtig an.

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Und auch wenn ich mir gerne einrede, dass du all das siehst und weißt, dass du mich wie eine Art Schutzengel begleitest, glaube ich nicht wirklich daran, nur daran, dass du in mir lebst, so lange ich lebe, dass ich versuche so zu leben, wie du mir das Leben vorgelebt hast, kategorischer Imperativ und so. Und so wünsche ich mir – wohl wissend wie absurd diese Wünsche sind – manchmal, dass du bei uns am Tisch sitzt oder hier im Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich würde dir gerne den 1. Offizier vorstellen und kann mir gut vorstellen, dass und wie ihr miteinander auskommt, zwei ruhige große Männer, vorsichtig, zurückhaltend, nachdenklich, beide sanft, beide Zuhörer, vielleicht hättet ihr, hätten wir gemeinsam gerätselt. Du würdest ihn mögen.

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Und dass Mama und ich so friedlich und behutsam miteinander umgehen, hättest du wohl gerne erlebt. Unsere großen Dramen haben dich noch mehr gequält als uns. Welche Freude hättest du mit Mimi und wie stolz wärst du auf deine Frau. Ich bin stolz und glücklich deine Tochter zu sein, ich danke dir für alles, was du mir mitgegeben hast, am allermeisten für die Werte, die du mich zu leben gelehrt hast, für deinen Gerechtigkeitssinn, deine Aufrichtigkeit und deine Liebe und deinen Respekt für die Menschen. Ach, Papsch - ich könnte mir keinen großartigeren Vater vorstellen.

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5
Jul
2013

Terra Euphorica oder Hommage an Anousch O.

„Prototypen können so rührend sein“, schrieb Anousch Mueller einst und regte mich damit zu einem meiner Lieblingstexte an. In jenen Tagen hatten wir im Netz Freundschaft geschlossen, anonyme Bloggerinnenfreundschaft – ich kommentiere bei dir, du bei mir und das per Sie. Wir waren wohl alle verliebt in die Zeppelinkapitänin, Herr Schneck, Dr. Schein und all die anderen oder viele von uns oder zumindest ich…Begeistert las ich die Texte der geheimnisvollen Herrin von Terra Euphorica. „100 Tage online. Die auf Widerruf gebloggete Zeit.“ etwa unter dem Titel: „Gemeinsam einsam“. Ingeborg Bachmann wird sichtbar am Horizont.

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Und dann der Prototypensatz und das Zeppelinbild und die Erinnerungsschätze, die dadurch gehoben wurden, gelesen, entdeckt, erst zwei Monate nach ihrem Posting. Das musste ich berichten, ihr berichten, der fremden schönen Bloggerin, der Apfelpflückerin. „Und schreiben Sie die Geschichte! Darauf freut sich: Ihre Lieblingsleserin, Anousch“ Das tat ich. Und sie mochte den Text. Anousch war immer ein wenig Francoise Hardy für mich, ob ihr die Chansons und Schlager der Französin, mit denen ich meine an sie gerichteten Worte nur allzu gerne untermalte, wirklich je gefielen, weiß ich nicht.

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Wir wurden bleiben Freundinnen und Silvester 2009/2010 war Anousch die erste Bloggerin, der ich im wirklichen Leben begegnet bin, unsere Hände verschränkten sich und wir haben nie mehr ganz losgelassen. Vieles hat sich verändert, das ist geblieben.

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Großartig hat sie gelesen, die Nicht-Schauspielerin unter so vielen Schreibenden, Spielenden nur Lesende, gestern beim Bachmannpreis, den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2013 in Klagenfurt: Bilder der ersterbenden Liebe gemalt in Falunrot und Schmerztönen. Die Frauen am Tisch im Garten des ORF-Zentrums – in dem ich vor vielen Jahren als Studentin angeekelt war von der Arroganz des Intendanten – die Büchermenschen waren hingerissen und Blicke bestätigten die Worte der Autorin: „Vorsicht war seine Zärtlichkeit.“ Die Männer in der Jury reagierten verletzt, unmutig und ein wenig ungeduldig wie der Mann in der Erzählung. Sie machten sich an Details fest vom Segeln. „Wie immer, wenn er sprach, war es, als zitierte er Wörter und Wendungen, die er irgendwann in einem langen Repetitorium auswendig gelernt haben musste. Doch mir wurden seine Worte fremd.“ Männer wie Leo.

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Anders die Männer der Autorin, der geliebte Nerd, der bezaubernde Sohn, der mit dem ersten Roman in ihr herangewachsen und gereift ist. Gemeinsam warteten wir auf sie. Die Worte hatten ihr weh getan, das sollten sie wohl auch. Doch sie betrafen nicht die Geschichte – den „souveränsten Text bisher“ – sondern anderes, persönliches, mir schien als hätte ihr Text bei ihnen Altes wach werden lassen. „Es hatte sich eingeschlichen, zunächst nur als leichtes Kribbeln, das allmählich in ein Jucken und schließlich in ein Brennen überging.“ Wie ein Herpesvirus liegen manche Schmerzen in unseren Seelen und können allein durch die Beschreibung wieder erweckt werden.

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„Ich aber hatte ihn besiegt, indem ich ihn niederschwieg.“
Und sich, indem sie las. Anousch Muellers Roman Brandstatt erscheint am 15. Juli. Sie ist immer hin. Und ja, ich weiß es, glaube es, „die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ und Fontane hätte sie erfunden.Ich bin immer (noch) hin (und weg).
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12
Jun
2013

Logbuch: No one here get’s out alive

Es ist Sommer am Vorderdech, doch der Wind pfeift uns um die Ohren. Kein feindseliger Wind, sondern einer, der unsere Segel füllt und uns da und dorthin treibt. Der 1. Offizier hat wieder auf der „Hurricane Katrina“ angeheuert und ich mache Zeitungen fertig und lass das Zirkuspferd raus – bei toll3sten Auftritten und Podiumsdiskussionen zwischen klugen Ökonomen – die Ökonomin war erkrankt. Ich hätte sie gerne dabei gehabt – auch des Feminismus wegen. Da und dort gibt es Scharmützel zu schlagen aber daran merkt man, dass man lebt und doch segle ich so glücklich dahin, nehme mir Zeit, mein Schiff auf den Doc(k)s durchchecken zu lassen und bin mit den Ergebnissen ganz zufrieden. Sicher die alten Taue und Masten ächzen da und dort, aber ich habe ihnen doch einiges zugemutet. Wichtig ist, dass ich fröhlich auf den Wellen schaukle wie nie zuvor.

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Älter werden wir alle und manche gehen. Ray Manzarek z.B.. Aber wie sagte schon der so heiß verehrte Jimmy „No one here get’s out alive“. Sicher, ich hab es zur Kenntnis genommen, seufzend, another one gone. Und dann bin ich bei der Elfenhäuslerin und bei Herrn Glumm wieder und wieder darüber gestolpert.

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Es war ein Sommer wie heute, als ich das Buch, gekauft am Flug nach Calgary -, dem ersten nach Übersee, allein, den Vater begleitend, auf den Knien zu ihren Füßen saß. Hinten außen, wie wir den Bungalow in unserem Garten nennen. Sie lag auf der Liege und ich übersetzte, begeistert, verliebt. Ich erzählte ihr von dem Genie, meinem Idol. Auf dem Plattenspieler lag American Prayer; wie eben, dieselbe Platte.

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Später in diesem Jahr verblüffte sie einen jungen Inder auf einer Zugreise mit ihrem Wissen über den Mythos des Rockstars. Er wollte ihr nicht mehr von der Seite weichen, erzählte sie stolz. Ja, es war Jim Morrison, der für mich alles überstrahlte, weil ich das Wort stets über die Musik stellte. Wohl, weil ich mit Wörtern besser umgehen, sie besser hören kann. So war Ray Manzarek für mich eine biographische Figur. Ich glaube, ich habe ihn sogar einmal in Wien spielen gesehen, oder auf einem Festival, oder auch nicht. Schade, dass ich das nicht mehr weiß, Schön, dass es diese Musik noch immer fertig bringt, mich durch Zeit und Raum zu katapultieren, dass sie Erinnerungen und Gedanken freisetzt. RIP Ray Manzarek u&thank you for the music.

Soulkitchen ist auch mein Lieblingssong.

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Ja, zum Bloggen finde ich wieder Zeit undLust, vielleicht, weil ich bemerke, wie viele unverdrossen dran bleiben, vielleicht weil auch Neue dazugekommen sind. Doch das Leben hat Vorrang mit seinem Füllhorn voll reichhaltiger Geschenke, Beute der Liebe, die wir unter Deck verstauen und mit vollem Herzen weitergeben. Und immer wieder sterneneklare Nacht am Voderdeck.

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Soviel Glück ist mir beschieden!
Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
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9
Jun
2013

Lieber Papa,

heute hättest du Geburtstag. Und Vatertag ist auch. Ich vermisse dich so sehr.

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Eben sprichst du mit mir. Ich kopiere alte Filme und mit schlechtem Gewissen blicke ich auf mein unvollendetes Portrait von dir. Edition Lebens-Wert. Du warst wahrscheinlich enttäuscht, dass ich das – wie so vieles - nicht fertig gemacht habe. Konsequent, wie du deinen Weg gegangen bist.

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Deine erste Erinnerung: Eine Nazibombe vor der elterlichen Wohnung plaziert, ein netter Polizist, der sich später als Nazi entpuppte. Du sitzt im Garten, die Sonne scheint und hinter dir ist „die Frau“.Du lachst, als du meine Worte wiederholst: „Eigentlich ein Böser.“. Viel zu spät verbringe ich heute den Vatertag mit ddir Papa. Nach Prag bist du gereist als kleiner Junge, ganz allein mit der Mutter und hast einen Riesen gesehen. 1938 seid ihr in unser Haus gezogen, du bist mit der Straßenbahn in die Volksschule gefahren. Die gute alten Vierer. Dort habt ihr euch auch kennengelernt. Als kleines Mädchen bn ich an der Mutter ihrer Hand, den Teddybären im Arm damit in die Stadt gefahren. Ein Schnaubärtiger Schaffner und drohte dem Bären ein Loch ins Ohr zu knipsen. Lachen zwischen Furcht und Erleichterung. Und später saßen wir auf den Holzbänken einen Sack mit Büchern auf den Knien, sechs Stück, mehr gab die Bibliothekarin nicht her. „Die Brüder Löwenherz“ und „Jim Knopf“, die „Geschichte des Tiroler Freiheitskampfs“ und Auguste Lechner. Aber das ist meine Geschichte und erst kam deine, Papalatschi. Erzähl weiter.

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In der Nacht der Machtübernahme durch die Nazis haben sie Opa verhaftet und weggebracht „meinen Vater“ sagst du. Und „das war ein Rieseneinschnitt“. Und dann erzählst du wie es war, als ihr verdunkeln musstet und dabei nicht an die Herzchen in den Jalousien gedacht habt. Du malst ein Herz in die Luft. „Wir haben nicht bedacht, dass durch die Herzchen ein kleiner Lichtschimmer hinausgeht. Und dann ist der Herr Blockwart von der NSDAP gekommen, ein sehr strenger Herr, und hat uns sehr gerügt, dass wir der Verdunkelung hier nicht vollkommen nachkommen.“ Ich liebe deine Sprache, Papa, die wohl gewogenen Worte, ein wenig antiquiert und doch rein und klar. „Die waren ja ungeheuer wichtig, wichtig gemacht... Das war eine unangenehme Bespitzelung.“

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Vaterlos bist du aufgewachsen, der Vater hatte Gauverbot, kam nur einmal im Monat und es gab Telefontermine beim „Altwirt“. Als der große Bruder als Praktikant in den Allgäu ging, wart ihr allein, deine Mutter und du. „Die Mutter war ja nach den Nürnberger Gesetzes... war sie ja ...Halbjüdin“, sagst du und zögerst vor dem letzten Wort. Und setzt gleich wieder an: „Obwohl sie katholisch getauft war. Auch ihr Vater katholisch getauft war. Ihre Mutter war bis zu ihrer Eheschließung mosaisch. Und nach den Nürnberger Gesetzen galt das las Volljude von der Konzession. Das ist plötzlich herausgekommen. Wir haben ja nichts gewusst davon.“ Einen Stern hätte die Großmutter tragen müssen und auf ihrem Ausweis prangte ein großes J. Mich hat sie das Vaterunser gelehrt. Die Nachbarn, die meisten, hätten sich sehr, sehr gut benommen, versicherst du.

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Du warst „natürlich“ bei der HJ in unserem Heimatdorf. „Einer, der in die Oberschule gegangen ist, der eine höhere Erziehung genossen hat.“ Die HJ-Führung hat dich daher immer wieder zu „Gedichtaufsagen, Schaukämpfen, Boxen und dergleichen herangezogen“ erzählst du. Das „Zirkuspferd“ hab ich von dir; damals – auch - Überlebensstrategie. „Die haben mich sehr gerne mögen, weil ich verwendbar war“. Ach, Papa, das kenne ich. Zwei Tage haben sie dich untersucht, gestestet, Körperlich und geistige, den Schädel vermessen, „Und sie konnten also kein jüdisches Erbgut entdecken“, lachst du.

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Später, nachdem die ersten Bomben gefallen sind, wurden schon die Buben mit Aufgaben betraut. Du warst Schriftführer bei Musterungen, erklärst du. Und dann erzählst du dein größtes „Abenteuer“, ich kenne die Geschichte, sie hat mich als Kind sehr beeindruckt. Du wurdest aus der Schule geholt, hast einen „Sonderausweis“ bekommen und wurdest mit einem Rucksack zu Messerschmitt nach Gera geschickt. Mit gerade vierzehn. Immer wieder flogen Bomben, die Fahrt war lang und wurde häufig unterbrochen. Ein Flugzeug fliegt über den Garten.Du erzählst von der Frau, die sich als aus dem Orden vertriebene Klosterschwester entpuppte. In Halle an der Saale hat sie dir ein Quartier verschafft. „In Gera hat die Stadt gebrannt, in der Nacht war ein Fliegerangriff. Ich bin dann mit meinem Rucksack in das Werk und wurde interessanterweise wie ein Held Ich bin dann mit meinem Rucksack in das Werk und wurde interessanterweise wie ein Held empfangen.Es hat geheißen, es kommt wer und holt das ab und bringt es in die Ostmark und dort wird das verwendet.“, erzählst du und ich frage mich, wem du die Geschichte erzählt hast. Wahrscheinlich auch dir selbst in schlaflosen Nächten. „Und dann hat man mich – kann ich mich erinnern – in der Betriebsküche verköstigt. Und das war nicht nach meinem Geschmack, was wir da bekommen haben Grütze und rote Beete. Aber sie waren so lieb.“ Du hast es komisch gefunden, dass die noch fest an den Endsieg geglaubt haben, während man im heimatlichen Tirol schon gesagt hat: „Das geht nimmer lang.“ Mit schweren Musterstücken im Rucksack wurdest du nach Hause geschickt. Die Reise gestaltete sich nicht viel anders als die Hinreise. „Wie durch ein Wunder“, hat der Schnellzug in Heimat letztendlich fast vor unserer Haustüre gehalten.nach siebzehn Stunden Schlaf hast du dann am nächsten Tag deinen Auftrag vollendet. Stolz lächelt mich ein Vierzehnjähriger an, eben der Hölle entronnen sieht er das wahre Wunder im Schnellzug, der in nach Hause bringt. Ja Papa, das ist schön so. Wann hast du aufgehört an Wunder zu glauben?

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Du unterbrichst, wenn ich die Kamera verstelle, ganz Profi. Du hast viele Interviews gegeben, ein öffentliches Leben geführt, automatisch nimmst du Rücksicht, auf die hinter der Kamera. Du nennst die Daten der Bombenangriffe auf Innsbruck ohne Zögern im Fluss der Erzählung und sprichst wie gedruckt. Nur an meinen Fragen ist zu erkennen, dass hier ein Vater mit der Tochter spricht.

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Ich frage nach, wie es war, als deine Mutter ins Lager Reichenau gebracht wurde. „Warst du da ganz allein hier? „Ich war dreimal ganz allein hier. Zweimal ist sie in die Reichenau gekommen und wir konnten nur mit größeter Mühe die Abschiebung in ein VernichtungsKZ vermeiden.“ Der Vater hatte einen Nachsichtakt erreicht. “Zweimal ist sie in die Reichenau gekommen und wir konnten nur mit größter Mühe die Abschiebung verhindern.“ Du hast sie besuchen können. „Das war sehr, sehr schwer. Und dann kurz vor dem Ende des Krieges, vor dem Zusammenbruch hat man uns mitgeteilt, es ist Und dann kurz vor dem Ende des Krieges, vor dem Zusammenbruch hat man uns mitgeteilt, es ist gefährlich, die Nazis nehmen all diese Personen, sei es jetzt rassisch oder politisch belastet als Geiseln oder bringen sie um – was ja auch tatsächlich so geschehen ist.“ Es gelang dir als Teenager, die Mutter über Freunde der Familie in einem Lazarett zu verstecken. Ein Nachbar, der bei der Post war und im widerstand hatte geholfen. Als du per Auto wieder zurück bist, haben dich Wehrmachtsdeserteuer mitgenommen. Zwei hast du übernachten lassen und ihnen dann alte Anzüge deines Vaters gegeben. Du schilderst nüchtern, berichtest mehr. Geschichten, die ich nicht kenne, druckreif. Mein Vater der Held.

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Als dann die Amerikaner kamen hast du für sie gedolmetscht. Bei der Übergabe von FLAK-Stellungen. „Da hat keine Mensch englisch verstanden interessanterweise“, schiebst du ein, deine eigene Rolle relativierend.Wieder übertönt ein Flugzeug deine Worte. „Dadurch habe ich dann die amerikanische Verpflegung erhalten.“ Du zeigst die Schachtelgröße mit den Händen und freust dich. Stolz erzählst du, wie du helfen konntest, vermitteln zwischen den Amerikanern und den Nachbarn. „Charly“ haben sie dich genannt, die Regenbogendivision, vier Wochen waren sie da,

Über Vermittlung von Pater Heinrich Suso Braun gabst du Englischunterricht für Kinder. Bei einem Radausflug mit dem Pater, hält ein Auto, ein Mann steigt aus „Und es war der Vati.“

Ab 1946 warst du dann bei den Franziskanern in Hall. Du lobst sie als „welterfahren durchs Exil und keineswegs das, was man sich von einer Klosterschule erwarten würde. Im Gegenteil die waren viel aufgeschlossener als die Lehrer, die wir früher gehabt haben.“. Lachend erzählst du von Pater Martin Viktor: “Wie aus dem Bilderbuch, wohl beleibt und mit einem riesigen weißen Lockenkopf, der war immer die Güte selber.“ Er war dein Physikprofessor, der immer dann böse wurde, wenn sie ihm die Haare wieder geschnitten haben und wenn er besonders gut aufgelegt war, hat er Gitarre gespielt.

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Fragen tun sich auf, neue, damals versäumte. Fragen, die du mir nicht mehr beantworten kannst. Wie auch die größte nicht. Aber längst habe ich gelernt, dass es nicht auf alles eine Antwort geben muss. Ich gehe weiter ins Leben. Und es würde dir gefallen, wie ich es lebe. Du würdest ihn mögen meinen ersten Offizier, der mit dir manches gemeinsam hat, die dünne Haut, die gewogenene Worte oder die Liebe zum "Um-die-Ecke-denken". Ich denke oft an dich, beim Rätseln, Scrabbeln, - z.B. gerade neulich Schnecken - Essen,- z.B. Champagner - Trinken, wenn ich ein neues Restaurant entdecke, wo es gute Innereien gibt, wenn ich eines besuche, in dem wir gemeinsam waren, wenn ich einem Bettler Geld gebe, wenn ich nicht schwarz fahre, wenn ich in einer Kirche eine Kerze entzünde, wenn ich hier bin, wenn ich dort bin. Ich lebe mein Leben nach dem kategorischen Imperativ, wie du es mir vorgelebt hast und voller Liebe, Mut und Kraft, wie es mich dein Tod gelehrt hat.

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Ich halte den Konjunktiv II für eine nur selten in Gedankenwirbeln gut angebrachte grammatikalische Form. Und doch: Könntest du sehen, wie gut Mama alles meistert und wie gut wir miteinander zurecht kommen; könntest du mit dem 1. Offizier sprechen; könnte ich dich umarmen, heute an deinem Geburtstag, dem Vatertag. Danke, Papalatschi, für alles.

04-04-13-1

Ich liebe dich.
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Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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