Journal November 2010

2
Dez
2010

29. November: Blue Monday

Am Montagmorgen erwarteten wir den Bankmenschen, was die Mutter stets in aufgeregte Geschäftigkeit versetzte. Ich bewundere sie für die Anstrengung und Disziplin, mit der sie das Leben weiterführt. Geldsachen hat immer der Vater erledigt, hat sie ahnungslos gelassen; sie hatte ihre Kreditkarten und Bares, wenn sie danach fragte. Jetzt sieht sie sich als die Verwalterin des Vermögens, meines Vermögens, wie sie gerne betont. Den Banken gegenüber hegt sie tiefes Mißtrauen, irgendwie allen gegenüber, wenn es ums Geld geht. Sie fürchtet eine Inflation, die Steuern empören sie. Auch die 1.300 Euro Mindestlohn, wo sie doch nicht mehr Pension bekomme. Wenn ich dagegen argumentiere – man solle seinen Neid nicht nach unten, sondern wenn schon nach oben richten – nennt sie mich Kommunistin und „Mit dir kann ma nit reden.“

Die Trennung macht sie traurig, auch weil sie dem Schwiegersohn nicht mehr einkleiden kann, weil sie es unnötig findet, sich zu trennen, weil man das nicht hat, aber auch weil sie ihn mag, trotz Gezeter. Seit Jahren mutmaßte sie Beziehungskrisen, wo keine waren, brachte sogar den vater dazu besorgt telefonisch nachzufragen, jetzt bedauert sie mich, ihn, uns. Die Barbara Karlich-Show, die im Fernseher neben uns plätscherte – Scheidung im Alter – erleichterte das Gespräch. Sie sprach über ihre Ehe, gab wie selten seit dem Tod des Vaters Defizite zu. Sie erzählte, wie allein sie sich bei meiner Geburt gefühlt hatte, weil der Vater zu einem Schirennen gefahren war, wie verloren sie miteinander waren und schließlich wieder vom Onkel, der sie als kleines Mädchen mißbraucht hat, jahrelang, dass sie dachte, sie müsse es erdulden der Familie zuliebe, um im Sommer im Gasthaus bei Onkel und Tante sein zu dürfen und denen daheim nicht als zusätzliche Esserin auf der Tasche zu liegen; schon am Fußweg hinein habe er sie ausgezogen, erzählte sie, und dass das Opfer ja umsonst war, wie sie erst vor ein paar Jahren erfahren hatte, weil ihr Vater dem Onkel sogar Geld geliehen hatte. „Der hat mein ganzes Leben zerstört“, sagte sie: „Meine ganze Sexualität“ Und das Opfer war umsonst.

Als ich in Wien landete, fühlte ich mich einsam.Der Mann hatte einen Mistelzweig gekauft und Schokonikoläuse beim Bett und am Schreibtisch deponiert. Zu spät. Warum kommt diese Aufmerksamkeit erst nachdem ich mir die Liebe, die Hoffnung aus der Seele amputiert habe? Aber "Warum" darf man nicht fragen, auf "Warum" gibt es keine Antwort.

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30
Nov
2010

29. November:1.Advent

Am Sonntagmorgen hat die Mutter das Ei weich gekocht und ich durfte selbst bestimmen, wie lange der Tee ziehen soll. Nur kurz gab es Unwillen, als ich das vorbereitete Schwarzbrot gegen das ersehnte Weinbeerweckerl austauschte.

Nachmittags gingen wir dann aufs Grab. Der verschneite Friedhof strahlte großen Frieden aus und meine Mutter erzählte wie stets Grab für Grab die alten Geschichten aus ihrer Heimatstadt. Vom Clown, der erst vor kurzem gestorben war – seitdem waren die Bronzefiguren auf dem Familiengrab durch das hölzerne Begräbniskreuz ersetzt. Sein ganzes Vermögen habe er den „Alleinverzieherinnen“ vererbt, berichtet die Mutter seither jedesmal und freut sich an dem Ausdruck. Seine Tochter klage. Am Grab einer Fleischhauereibesitzersfamilie erzählte sie wieder von der Schulfreundin, die wünschte, dass sie Briefe an sie mit „An die Hausbesitzertochter Marie M.“ adressiere. Dort lag ein Verehrer. Das Grab ihrer Eltern war gepflgt, stellte sie zufrieden fest. Und auch das des Vaters. Die kleinen roten Rosen trugen Schneehauben, Knospen kämpften sich durch Eiskristalle, ein schönes Bild, dachte ich, während es vor meinen Augen verschwamm. Auch dort steht noch das schlichte Begräbniskreuz mit dem Bild, das den Vater lachend zeigt mit Augen voll Schmerz. Sie hatte sich mit dem Bildhauer überworfen und nun einen anderen Grabstein in Auftrag gegeben. Kerzen brannten auf beiden Gräbern. Ihr Bruder vermutete ich, nein wehrte sie ab. Wir zündeten weitere Kerzen an auf Papas Grab, dem der Großeltern, dem der geliebten Tante. Leer wird der Freidhof, stellt sie wie stets fest. Die Leute lassen sich verbrennen. Und: „Haben wir nicht eine schöne Gräberkultur?“

Dann spazierten wir in ihre Heimatstadt, vorbei an den immer gleichen Häusern mit den immer gleichen Geschichten. Ich mag die Häuser, ich mag die Geschichten. Ich habe auch meine eignen. In der Gegend haben die Lieblingscousins ihre Kindheitsjahre verbacht in einem alten Haus mit großem Garten und nicht weit davon hat die langjährige beste Freundin gewohnt, im Kolpingheim war ich auf einem Rockkonzert, einem Filmabend und einer Antiabtreibungsveranstaltung. Und dort war ein Plattengeschäft. Dort ist der Vater in die Schule gegangen. Eine neue Wohnungsanlage steht auf dem Grund jenes katholischen Heimes, wo ich vor Jahren mit der Mutter ihre ungeliebte „bigotte“ Tante besucht hat, Schwester ihres Vaters, die ihre Mutter so schlecht behandelt hat. Eine weiße Mauer schirmt die Eigentumswohnungen gegen die Straße ab. „Die werden sie auch noch beschmieren“, sagt sie. Sie sieht die Makel, noch bevor sie da sind.

Die Stadt ist prächtig geschmückt. Wo noch bei meinem letzten Besuch große Transparente mit Zitaten von Otto Grünmandl – am Rathaus: „Politisch bin ich ein Trottel, aber privat kenn ich mich aus.“ - hingen, glänzten jetzt bunte Lichter, nicht kitschig, eher künstlerisch, männliche und weibliche Vornamen in blauer Schrift, leuchtende Paare, fiel mir ein, und ob es die wirklich gibt – Peter Anna Justin Erika – und was, wenn sie sich trennen. Die Mutter hielt sich fest an meinem Arm, ihre Augen suchten Verwandte, Bekannte und sie erzählte die kleinen Episoden, die ihr Leben jetzt beherrschen. Am Christkindlmarkt tranken wir einen Glühwein und einen Apfelpunsch, später teilten wir uns eine Pizza.

Der „Tatort“ am Abend war ihr zu „braunstichig von den Farben“, sie ging früh schlafen. Ich strich noch ein wenig um die Blogs.

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28
Nov
2010

26., 27. November: Bergheimattage

Um halb neun Uhr früh weckte mich ein Anruf der Mutter, irgendwelche seltsamen Bedenken hatten sie schon seit dem frühen Morgen gequält und sie fühlte sich bemüßigt, sie mir mitzuteilen. Danach konnte ich nicht mehr einschlafen.

Verkatert und müde erledigte ich noch dringliches, packte den Koffer mit Muttergerechter Kleidung – nimm nichts mit, sagte sie wie stets, um dann doch von der Auswahl enttäuscht zu sein. Ein Gespräch mit dem Mann, der in diesen Tagen die Wohnung für sich haben wird, verlief harmonisch, stolz erzählte er von beruflichen Erfolgen und seinem Leben jetzt und kurz hatte ich den Drang ihn zu umarmen.

Am Weg zum Flughafen stellte sich die Anspannung ein, die jede meiner Reisen in die Heimat begleitet, das Wissen, dass ich mein Sein, Selbst und Ego am besten gar nicht erst mitnehme oder zumindest im Keller lasse, wo auch mein Koffer steht, wenn ich im fremden Elternhaus bin. Drei Tage lang würde ich stets ausatmen, kaum widersprechen, einfach nur da sein, ein braves Kind, wie sie es sich früher stets zu Weihnachten und allen Geburtstagen gewünscht hat. Zen oder die Kunst, die Mutter zu lieben. An Frau Walküre musste ich denken, die in diesen Tagen ihre Mutter begräbt und fast schämte ich mich deswegen, weil ein braves Kind das ja nicht darf, an den Tod der Mutter denken….

Schnee wirbelte als der Flieger aufsetzte und die Mutter holte mich mit dem Taxi ab. „Aber heute streiten wir noch nicht“, scherzte sie mit fast drohendem Unterton. Wie eine hypnotische Formel verspricht dieser Satz, dass wir irgendwann streiten werden, streiten müssen. Aber nicht an diesem Abend, an dem ich früh ins Bett gehe, weil ich noch müde bin von der letzten durchfeierten Nacht.

Sie hat sich große Mühe gegeben mit dem Frühstück, auch wenn das Ei viel zu kurz gekocht ist, der Tee zu lange gezogen hat, der Eckerlkäs ganz ausgezogen ist, so dass ich ihn auch zur Gänze essen muss. Vorsichtig brachte ich den Wunsch an, mich um Tee und Ei selbst zu kümmern, das kränkte sie – wie jedes Anzeichen an Eigenständigkeit, an eigenem Willen. Unsere Gespräche sind nicht zuletzt deshalb eine stete Gradwanderung. Geschickt zieht sie alle Register, vermengt Gedankengut aus ihrer Kindheit – 1930 geboren, waren 1938 bis 1945 prägende Jahre – mit Angelesenem und Weisheiten aus den Serien, die ihren Tagesablauf begleiten. Die Heldinnen und Helden aus „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“ und deren Schicksale sind ihr Gedächtnisstütze und Fenster zur Welt. Früher hat sie Handke gelesen und Schallplatten von Pluhar und Heller gespielt. Irgendwann widerspreche ich dann doch, trotz aller guter Vorsätze und dann fällt der Satz: „Mit dir kann ich auch nicht reden."

Wie stets vermisse ich Erinnerungen an meine Kindheit, oft kommen Geschichten von meinen Cousins, von ihren, der Mutter Reisen, aus ihrem der MutterLeben, ich komme kaum vor. An einen Urlaub mit drei Jahren soll ich mich erinnern oder daran, wie der Sohn von Onassis starb, damals war ich acht. Das macht mich stets traurig und wie immer, wenn ich mich mit meinen Erinnerungen anklopfe, verneint sie diese gern mit strengem Kopfschütteln und missbillig heruntergezogenen Mundwinkeln: „Ah geh.“

Irgendwann gab sie zu, dass sie keinen Humor hat, nur jenen bösen, verletzenden, harten. Lachen und Lächeln habe man nicht in ihrer Familie: „Wir haben a nix zum Lachen.“ Mit dem Alter erklärte sie das und entschuldigte sich bei der netten Taxlerin. Das war schon immer so, ergänzte ich leise. Doch sie hörte es und stimmte mir zu. Darauf ist man stolz in ihrer Familie.

Abends dann beim Lieblingscousin, seiner Frau, Prinzessin Mausezahn und dem Gotlkind war das Familienerbe wieder, noch immer präsent. Seit Tagen herrscht Eiseskälte zwischen den Eheleuten, der Cousin hüllt sich in trotziges Schweigen, sein unterdrückter Zorn war fast körperlich spürbar. Ich erinnerte mich an gemeinsame Urlaube, in denen er oft Tage mit mir nicht gesprochen hat. Er leidet selbst sehr an diesem Zorn, dessen Anlass er oft schon vergessen hat. Früher waren es Augenblicke des Ungeliebtfühlens, die das große Schweigen auslösten. Ich hatte ihn etwa im Spiel unter Wasser getunkt und er hätte gedacht, ich wolle ihn töten. Verletzte Kinderseele. Jetzt verletzt er und lacht nicht mehr.

Verlegen saß ich herum, spielte mit den Töchtern, versuchte zwischen den Eheleuten auszugleichen, ihr Schweigen zuzureden. Früher hatte ich stets mit meiner Ehe, unserem Umgang, unserer Beziehung argumentiert, auf Vorbildwirkung gehofft, jetzt bin ich selbst gescheitert. Vielleicht lässt ihn das mit euch umdenken, hoffte das Schwiegercousinchen, während er noch trotzig im Auto schlief. Ich weiß nicht, sagte ich und fühlte mich fast ein wenig schuldig und voll mit Kindergefühlen.

„Bitte tu das euch, dir, deiner Frau, den Kindern nicht an, macht was, lasst euch helfen, kämpft um die Liebe“, hätte ich gerne gesagt, als er mich im Auto nach Hause brachte, statt dessen sprach ich über meine Trennung und was zu tun wäre. Und kann nicht helfen….

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27
Nov
2010

24. November: Großkampftag

Es ist gar nicht einmal so einfach, hier täglich zu berichten, aber wenigstens für den November habe ich es mir vorgenommen.

Am Mittwoch also war im Großraumbüro genug zu tun, es galt – wie jeden Monat, Arbeit abzuschließen. Der Vorabend wirkte noch zwischen uns Frauen, gab unserer Zusammenarbeit ein mehr an Lächeln, Witz und Verschworenheit.

Abends ging ich wieder zur Kampfkunst. Bereits den ganzen Tag hatte ich mich auf den großen Kellerraum und die Bewegung gefreut und trotz kleiner Unzulänglichkeiten in der Koordination, stellte sich rasch bei mir das breite Lächeln der Zufriedenheit ein. Ein leichter Schlag auf meinen Mund ließ den fortgeschrittenen Trainingspartner erschrecken, ich grinste nur noch mehr, ich spürte, dass ich lebe, dass das echt ist. Ich mag das alles.

Am Nachhausweg kreuzte ich einen Christkindlmarkt und kurz hoffte ich wenigstens irgendjemandem zu begegnen, mit dem ich einen Punsch hätte trinken können, denn wie stets nach den eineinhalb Kampfkunststunden war ich glückselig energiegeladen. Doch ich blieb allein.

Spät abends kam der Mann nach Hause. Es fällt ihm noch immer schwer zu verstehen, er hat lange nicht hingesehen, nicht hingehört, das alles nicht wahr genommen, nicht geglaubt. Ich ziehe die Trennung schon seit einem Jahr ernsthaft in Erwägung, hab lang mit mir dagegen gekämpft, für unsere Liebe, hab mir, uns Hilfe geholt und jetzt endlich begriffen und es tat doch noch weh, als ich ihn in der Türe stehen sah. Er würde weinen, sagt er, wenn er könnte. Und „Schade“ sagt er – viel zu oft Schade, nie: „Ich liebe dich.“

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25
Nov
2010

23. November: Bürobürotag

Zum Frühstück briet ich mir Rostbraten, der musste weg. Dann machte ich mich auf ins Büro.

In der U-Bahn traf ich eine, mit der ich vor Jahren zusammengearbeitet habe, eine Frau aus meinem Nähkästchen. Eigentlich Friseurin und das ist kaum zu übersehen, kunstvoll drapiertes und dupiertes Haar, blond mit Akzenten, immer tiptop gestylt auf eine altmodische Art und Weise, Pepitakostümchen, High Heels, manchmal fast skurril damenhaft. Eine schöne Frau in ihren 50ern, eigentlich. Frisch geschieden, erzählte sie mir, jahrelang im Traumpaar unterwegs, sehr zum Neidwesen der jeweils frisch getrennten, frisch geschiedenen Kolleginnen. Sie hat Tränen in den Augen, als sie erzählt von der Anderen im Burgenland, von der sie nichts gewusst hatte. Nein, er wolle nicht zu ihr, er wolle frei sein, habe er ihr erklärt und sie sei aus allen Wolken gefallen. Letzte Woche war die Scheidung. Ihre Ehe war schon lange eingeschlafen, nicht alles gut, aber sie hatte gedacht, das sei der Preis. „Ich wollte immer ein Leben lang verheiratet sein“, sagte sie und ich weinte mit ihr, draußen im Wind zwischen U-Bahn und Arbeitsplatz. Als wir uns umarmten, lachten wir wieder.

Abends war ich dann mit dem Großraumbüroteam trinken. Der Betriebsrat hat einen ausgegeben und ich die Externe durfte dabei sein. Am Schluss waren wir eine Handvoll Frauen, eigentlich Veteraninnen in unserem Job. Als ich vor Jahren dort begann, hatten fast nur Männer das Sagen, altgediente Machos, die dreckige Witze erzählten und beim Betriebsausflug übergriffig wurden, ein leichtes bis schweres Alkoholproblem hatten und eine breite Palette moralischer Unzulänglichkeiten aufwiesen. Nach wie vor lenken die Organisation vor allem Männer, doch da und dort nehmen Frauen wichtige Rollen ein, diese Frauen mit ihrem Witz, ihrer Intelligenz und ihren Fähigkeiten.

Richtigen Büroklatsch haben wir ausgetauscht, Missverständnisse beiseite geräumt und dreckige Witze gerissen. An meiner Seite Eine, die schon damals Verbündete war, sehr nah. Wir hatten die Nacht bevor ihre Tochter gezeugt wurde, zusammen gefeiert. Heute hat das Mädchen seinen ersten Freund, erzählte sie, die selbst noch wie ein Mädchen aussieht. Immer wieder waren wir uns im Lauf der Jahre begegnet, hatten uns verloren und an entscheidenden Kreuzungen wieder getroffen.

Demnächst werde ich kochen im Büro.

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23
Nov
2010

22. November: Werktag

Und wieder durfte das Zirkuspferd in die Manege. Auf einen fleißigen Tag am externen Arbeitsplatz folgte ein Spätnachmittag und Abend im Scheinwerferlicht ebenda.
Schon morgens hatte ich voll Vorfreude das extra für den Anlass gekaufte schwarze Göttinenkleid mit lila Strümpfen und ebensolchen Tuch angezogen und mich hübsch gemacht. Der nachmittägliche Tränenstrom, nachdem der Mann sich wegen der weggeworfenen Rosen telefonisch beklagt hatte, konnte auch rasch wieder zum Stoppen gebracht werden.

Dort draußen im Scheinwerferlicht ist es fein warm, die kleine Turtle friert nicht mehr, alle belastenden Gedanken müssen auf später warten, jetzt gilt es zu mäßigen, steuern, lenken. Erst noch ein wenig unsicher – ein neuer Raum, der Frosch im Hals der schon den ganzen Tag, nein vielmehr die ganzen Tage da war, nein ist - fühlte ich mich wie so oft mit jedem Wort sicherer, mein innerer Pfau stellte sein Greinen ein und schlug bunte Räder, der Applaus und der Blickkontakt mit Vertrauten im Publikum trug mich durch den Abend. Und dann aus – ein letztes Mal klatscht das Publikum, noch ein wenig Lob am Weg zum Buffet und plötzlich schlage ich auf, allein unter Leuten, fremd fühle ich mich und die alten Ängste finden wieder Platz in meinen Gedanken, machen sich breit, die Dämonen flüstern ihre altbekannten Botschaften: Warum grüßt dich die nie? Was hieß dieser Blick? Und der spricht nur mit dir, wenn er was braucht? Du wirst hier ewig fremd bleiben, du gehörst nicht zu ihnen, nur geduldet, die Bürgerstochter.

Fast taumelte ich von einem Grüppchen zum anderen, nirgends vertraut, nirgends zugehörig, nirgends erwartet, unmäßig, steuerlos, ungelenk …Dankbar war ich für die Mitfahrgelegenheit. „Du gehst schon?“ frug jemand aus Höflichkeit, insistierte aber nicht weiter, dass ich blieb, eine Fremde.

Nachts hatte ich genug zu tun, die Dämonen zu verscheuchen.

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22
Nov
2010

21. November: Welttag des Fernsehens

Welttag des Fernsehens und ein besch…eidenes Programm. Zum Ausgleich habe ich „Mad Men“ auf DVD zu Ende gesehen. In der Serie wird so viel geraucht, dass ich das dringende Bedürfnis entwickelte zu lüftenund heftigen Hustenreiz verspürte, ansonsten sehr 1960er –und ich konnte ich dazu weinen. Und irgendwann dann war die letzte Folge vorbei und wieder fiel mich die Trauer an, kroch aus den Kästen und Bildern.

In der Liebe gibt es keine Konjunktive, es gibt kein wenn und wenn das aber überhand nimmt, gibt es die Liebe nicht mehr. So ist es müßig darüber nachzudenken, wann unser Lachen, das mir von so vielen Bildern an den Wänden und im Kopf entgegenstrahlt, verloren gegangen ist, wann der letzte innige Kuss war, wann wir aufgehört haben zuzuhören und hinzusehen, wann uns die Liebe entglitten ist.
Ich hab die Rosen weggeschmissen, nicht den Brautstrauß.

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21
Nov
2010

20. November: Tolstois hunderster Todestag

„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie jedoch ist auf ihre besondere Weise unglücklich." Kaum ein Artikel zum runden Todestag Leo Tolstois, der ohne diesen Satz aus „Anna Karenina“ auskommt, so viele unglückliche Familien.

Ich hatte Zeit, diese Artikel zu lesen, durch die Kanäle zu zappen, im Netz zu surfen. Mit einer Freundin habe ich telefoniert, die es weiß. Wenn ich den Mut hätte, sagte sie und „Ich hab ihn noch nicht.“Unser Telefonat wird kurz unterbrochen, ein anderer Freund, der inder Wochenendwohngemeinschaft Zuflucht gesucht hat, verabschiedet sich von ihr. Seine Freundin hat sich getrennt.

Dazwischen arbeitete ich ein wenig, kochte mir ein Topinambur-Curry. Allein sein üben. In der großen Wohnung voller Erinnerung. Nachts ging ich dann tanzen, machte mich hübsch und lachte und flirtete und tanzte, tanzte, tanzte. Ich trafe eine junge Frau, die ich seit 13 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie hat damals meinen Brautsrauß gefangen. Jetzt habe sie zwei Kinder, erzählte sie mir. Ob der Braustrauß ihr Glück gebracht hatte, frug ich nicht, ich wollte nicht über die Hochzeit reden, nicht über den Mann. Sie hatte mir damals eine Kopie des Straußes anfertigen lassen, er verstaubt in der Wohnung. Um vier Uhr früh ging ich nach Hause, allein und glücklich. Wie schrieb Tolstoi in seinTagebuch: "Das Glück ist mit Müdigkeit und Muskelkater billig erkauft."

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20
Nov
2010

19. November: Kauf- und Kampftag

Tränen schon am Morgen. Es ist das Bewusstwerden das schmerzt, das Hochzeitsbild, geliebte und vernachlässigte Geschenke, das andere Weihnachten, der Adventkalender, den ich bisher jedes Jahr in diesen Tagen mit Kleinigkeiten bestückt habe. In den Geschäften fällt mein Blick gewohnheitsmäßig darauf, ich soll, kann, darf, muss, will sie nicht mehr kaufen. Ich saß den Vormittag über planlos vor dem Computer, unfähig zur Arbeit.

Schließlich verließ ich das Haus, um mir Göttinnenkleidung zu kaufen, ein Schaufenster unterwegs machte mich Lächeln. "Es gibt doch noch glückliche Menschen, schön", sagte ein Vorbeigehender, als sich in dem Moment unsere Blicke begegneten. Ich nickte und wandte den Kopf, damit er die Tränen nicht sieht und hastete weiter.

Und dann fühlte ich mich doch noch glücklich nach Sekt und Weltverbesserungsgesprächen mit einem schwarzen Kleid und einem schwarz-weißen Mantel. Dann zwei Stunden Kampf-Kunst, gefühlt Fortschritte, der Fluss, zielen und schlagen, nicht stehen bleiben, nicht zurückweichen, auf den Gegner zugehen.

Abends einsam.

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19
Nov
2010

18. November: Tag X

Einen Schritt nach dem anderen setzen, auch wenn die Stämme noch so schwanken in den Stromschnellen der Erinnerungen, weiter gehen, denn wenn ich stehen bleibe, rutsche ich ab, werde zwischen die Stämme gezogen und mich noch mehr verletzen oder gar ertrinken. Es tut schon so weh genug, aber längst bin ich über die Mitte des Flußes hinaus und umkehren ist unmöglich. Ich weiß, ich habe den ersten Schritt getan, begonnen überzusetzen und doch fällt es schwer all das zurückzulassen.

Da und dort sehe ich helfende Hände, aber ich muss allein gehen, sonst würde ich das Gleichgewicht verlieren.

Doch, doch ich sehe das Ufer, auch an Nebeltagen.

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Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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