Verstand
„Hallo“, sagt der Bassist. Ich bin überrascht, ihn an der Theke des Vertrauens zu treffen, wünsche ihm Beileid zum gerade erlittenen Verlust. Neben ihm sitzt einer, ebenfalls in Trachtenjopperl und Jeans, Fraktionskollege, christlicher Gewerkschafter, füllig, schwitzend, ein Smartphone in der Hand, eine Bierflasche in Reichweite. Personalvertreter oder Betriebsrat der Gewerkschaft, die einmal meine war. Er schimpft ein wenig über den Verein. Ich bin mit einer Freundin verabredet, bleibe aber kurz bei den beiden sitzen, um dem Bassisten mein Beileid auszudrücken. Der Kollege telefoniert, kurz und laut. Mit einem Bankmenschen. „Ich bin Betriebsrat“, sagt er und dass Frau Soundso nichts zu melden habe. Der Bassist erzählt vom Begräbnis. Er versucht verbindend zu wirken, er fragt den Kollegen, ob er errate, aus welchem Bundesland ich käme. Er errät es nicht, ich löse das Rätsel: Tirol. „Warum haben die Tiroler keinen Geschlechtsverkehr?“, beginnt er einen Witz zu erzählen. „Weils Ihnen beim Fickkkkken die Zähne aussi haut. KKK, ficken, die Zähne.“ Ich verziehe den Mund und schau dem Wirt meines Vertrauens in die Augen. Der Kollege erzählt jetzt eine Anekdote über eine Schulung in Tirol. Die Pointe fehlt. Ich frage mich, wo die Freundin bleibt. Der Bassist sagt: „I fürcht mi vor die Wiener Wahlen.“ Der HaZe macht ihm Sorgen, wie uns allen, bedenklich wiegt er den Kopf. Der Kollege trinkt einen Schluck Bier. Und plötzlich ist es da, das Flüchtlingsthema. Vom Schmutz redet der Kollege, den die Flüchtlinge machen, den Müll, den sie liegen lassen, dass viele Wirtschaftsflüchtlinge dabei sind, 60 haben sie in der Gemeinde, unbegleitete junge Burschen, seine Tochter ist vierzehn, er traut sich nicht, sie zur Bahn gehen zu lassen, wo führt das hin, lauter Männer, die Kleidung liegt herum, wenn es nicht Markenkleidung ist, aber Handys, die Tochter trage Spaghettiträger und kurze Hosen, wenn so ein junger Mann ausgehungert, die kennen das ja nicht, ständig Kämpfe zwischen den Unbegleiteten, die Gutmenschen haben keine Ahnung. Er hört auf keinen meiner Einwände, lässt mich nicht zu Wort kommen, er spult das ganze Programm ab, wie ich es aus den sozialen Medien und Foren kenne. „Dann brauchst du dich ja nicht fürchten vor der Wiener Wahl? Da könnte ja der für dich Richtige gewinnen?“ frage ich schließlich. „Ja“, sagt er.
Ich verstehe.
Ich gehe – lege Raum zwischen mich und den Kollegen.
Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das dreizehnte Wort.
Ich verstehe.
Ich gehe – lege Raum zwischen mich und den Kollegen.
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katiza - 24. Sep, 13:03
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