Zum Glück
Das Glück ist mir hold. Wir verbringen immer mehr Zeit miteinander - zum Glück. Es wohnt bei mir, hat es sich gemütlich eingerichtet, lichtdurchströmt. Es hat Bilder aufgehängt, es hat Möbel mitgebracht und Bücher, viele Bücher. Auch Schallplatten. Alles trägt auch die Spuren der alten WG. Lange hatte das Glück dort das hintere Zimmer: klein, aber mit dem Fenster mit der wundervollsten Aussicht, still, ein wenig abgelegen, versteckt fast, höchstens Platz für Zwei zur selben Zeit, übernachten war schon schwieriger.
Einst war es ein Kinderzimmer, erfüllt von Träumen und Geschichten, Versteck und Höhle. Das Glück lag dort auf dem Bett mit den Büchern und dem Radio. Das Glück war stolz auf den Pokal, den es auf dem Rücken der Pferde ersprungen hatte, das höchste der Erde. Und manchmal tollte es über die Felder und erkundete Wälder, Bäche und Ameisen. Zuhause verlor es sich in Teppichmustern und Schallplatten, in Lyrik und Romanen, die es mit dem Unglück geschwisterlich teilte. Draußen vor der Türe, die das Glück nicht absperren konnte, war die Welt, die Räume gehörten den Eltern, ihrem Glück, ihrem Unglück, ihrer Angst, ihrer Sehnsucht, ihrer Wohngemeinschaft.
Später zog das Glück ins Erdgeschoss, es schlief und schlief bei im Messingbett. Das Glück tanzte allein und zu zweien zu lauter Musik, vertiefte sich in Lyrics und Literatur, Theater und Tequila. Oh ja, das Glück trinkt, manchmal säuft es geradezu und das Glück kifft und stellt alles Mögliche an. Nachts streunte es durch die Stadt, es teilte mit Fremden - zum Glück ist es immer gut gegangen. Vielleicht war es wegen der Angst. Die hatte damals das größte Zimmer in der WG, wollte man zum Glück, kam man nicht an ihr vorbei. Die Unsicherheit lungerte in der Küche herum, immer ein Gläschen bereit. Und die Traurigkeit, der schwarze Hund, der durch die Räume schlich, seinen brünftigen Gestank verbreitet und Erinnerungen annagte. Manchmal hatte das Glück das Gefühl nicht mehr gehört zu werden, nicht gesehen zu werden. Es leistet seinen Beitrag, schwang sich immer wieder auf, nur um von den anderen überstimmt zu werden.
Es war selten daheim, viel unterwegs und immer auf der Suche nach Verbündeten; es war hungrig, es wollte sich teilen und das gelang ihm immer besser. Am Liebsten zu mehrt, so dass es die alte Angst in der Ecke vergaß oder erst spät bemerkte. Das Glück feierte: die Liebe, das Leben, es reiste, bestieg Vulkane, schaute Steine. Und es arbeitete, an sich, mit anderen, für andere. Es schwieg, blickte in die Vergangenheit, wechselte Perspektiven, hörte zu, sah zu, spürte und kam mehr und mehr im Augenblick an. Und die Tränen waren wie Vergrößerungsgläser. Es wurde selbst bewusster, selbst erfahrener. Verlangte mehr Platz, trat für seine Anliegen ein.
Die anderen in der WG begannen zu kämpfen, das Unglück verlangte seinen angestammten Platz zurück und warf der Angst vor, ihm keine Hilfe mehr zu sein. Es lud den Zweifel ein und die Einsamkeit, den Zorn, die Wut. Sie feierten wilde, selbstzerstörerische Parties, der Schmerz grölend mittendrin. Der Tod ging vorbei und geliebte Menschen, mit denen das Glück am Tisch gesessen war, die es genährt, willkommen geheißen hatten, gingen mit ihm. „Man spürt selten, was Glück ist, aber man weiß meistens, was Glück war“, schrieb Françoise Sagan. Das Glück zog sich zurück in seinen Schildkrötenpanzer, aber selbst dort musste es sich die Ohren zuhalten und Namuamidabu singen.
Und irgendwann habe ich das Glück wieder ernst genommen, habe aufgehört auf den Panzer zu klopfen, es zu rufen, zu fluchen, zu betteln. Irgendwann bin ich endlich still geworden, hab das Glück eingepackt und mich mit ihm in die Sonne gesetzt. Auch da habe ich es immer wieder übertreiben, hab es zu viel herumgeschleppt, es versucht plappernd aus seinem Versteck zu locken, es wild umtanzt. Nach und nach hat es immer öfter und weiter seinen Kopf herausgesteckt, seine Beinchen, das kecke Schwänzchen. Und länger und länger blieb es heraußen, selbst, wenn es regnete oder die Luft verraucht war. Eines Abends kamen wir heim und lüfteten.
Es war nicht leicht, die Fenster klemmten. Das Glück ist keine große Hilfe beim Großputz. Es vertieft sich in Kleinigkeiten, an denen es hängt, die es glaubt zum Leben zu brauchen und doch fünf Minuten später wieder vergessen hat. Nie bleibt es an einem Platz, wenn es ums Aufräumen geht, ganz abgesehen davon, dass es meistens soundso erst Stunden, Tage später kommt. Aber irgendwann einmal war es geschafft und das Glück sprang beim einen Fenster hinaus und flog beim anderen wieder herein. Gottseidank wollte die Wut – wie so oft – nicht wirklich mitarbeiten und so hat nur der Schmerz ein paar Gläser zerbrochen. Wo war die Angst, damals?
„Das Glück is a Vogerl“, heißt es im Wienerlied und es fliegt mit mir, mit uns. Es pfeift uns Liebeslieder am Vorderdeck und anderswo. Es flattert durch den Salon und folgt uns nach Süden und Norden, mal Adler, mal Uhu, mal Gassenspatz, mal Papagei, mal Kakapo. Und weil der alte Schildkrötenpanzer ihm beim Fliegen ständig im Weg war, hat es ihn oben auf den Schrank geräumt, wahrscheinlich passte es gar nicht mehr rein, so fett war es geworden. Letztes Jahr war es auch bei mir, der Gänsemagd, das Glück. Es hat mit dem Tod der Angst und der Sehnsucht, mit meiner Mutter, mit mir, mein Elternhaus bewohnt. Es hat mir die geheimen Orte von einst gezeigt, die Freude an Kleinigkeiten. An den Wochenenden ist es aufgeblüht. Es hat mich nicht verlassen, auch nicht am Ende.
Zum Beispiel gestern. Da traf ich, trafen wir, das Glück erst auf der Jesuitenwiese, 16 Kinder und eine Mutter im Schlepptau, mitgenommen aus einem Asylheim in der Nähe unseres Grätzels. Drei vier verschiedene Nationen, die Kommunikation, ja selbst das Namen merken im internationalen Sprachengewirr schier unmöglich. Nur lachen, lachen können wir von Anfang an gemeinsam. Ein bisschen Glück wollen wir den Kindern schenken, Bälle und Naschereien und Spiele und Menschen, die sich mit ihnen freuen. Viele sind hier, weil sie die Hetze in den sozialen Medien satt haben und wissen, dass nur Handeln vor der Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit, die sie wie mich angesichts der brutalen Wortgefechte bedrängt, rettet. Drei Stunden Nachmittag, ein paar Namen habe ich mir doch gemerkt und wieder einmal begriffen, wie viel Glück ich habe, auch dass ich helfen darf und kann. Und dann noch Freitag, im Wohnzimmer des Glücks, der Chapel of Soul, beim Erstgeborenen mit in „Erdöl gegossener Liebe.“ Das Glück ist mir wahrlich hold.
So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das zehnte Wort
Einst war es ein Kinderzimmer, erfüllt von Träumen und Geschichten, Versteck und Höhle. Das Glück lag dort auf dem Bett mit den Büchern und dem Radio. Das Glück war stolz auf den Pokal, den es auf dem Rücken der Pferde ersprungen hatte, das höchste der Erde. Und manchmal tollte es über die Felder und erkundete Wälder, Bäche und Ameisen. Zuhause verlor es sich in Teppichmustern und Schallplatten, in Lyrik und Romanen, die es mit dem Unglück geschwisterlich teilte. Draußen vor der Türe, die das Glück nicht absperren konnte, war die Welt, die Räume gehörten den Eltern, ihrem Glück, ihrem Unglück, ihrer Angst, ihrer Sehnsucht, ihrer Wohngemeinschaft.
Später zog das Glück ins Erdgeschoss, es schlief und schlief bei im Messingbett. Das Glück tanzte allein und zu zweien zu lauter Musik, vertiefte sich in Lyrics und Literatur, Theater und Tequila. Oh ja, das Glück trinkt, manchmal säuft es geradezu und das Glück kifft und stellt alles Mögliche an. Nachts streunte es durch die Stadt, es teilte mit Fremden - zum Glück ist es immer gut gegangen. Vielleicht war es wegen der Angst. Die hatte damals das größte Zimmer in der WG, wollte man zum Glück, kam man nicht an ihr vorbei. Die Unsicherheit lungerte in der Küche herum, immer ein Gläschen bereit. Und die Traurigkeit, der schwarze Hund, der durch die Räume schlich, seinen brünftigen Gestank verbreitet und Erinnerungen annagte. Manchmal hatte das Glück das Gefühl nicht mehr gehört zu werden, nicht gesehen zu werden. Es leistet seinen Beitrag, schwang sich immer wieder auf, nur um von den anderen überstimmt zu werden.
Es war selten daheim, viel unterwegs und immer auf der Suche nach Verbündeten; es war hungrig, es wollte sich teilen und das gelang ihm immer besser. Am Liebsten zu mehrt, so dass es die alte Angst in der Ecke vergaß oder erst spät bemerkte. Das Glück feierte: die Liebe, das Leben, es reiste, bestieg Vulkane, schaute Steine. Und es arbeitete, an sich, mit anderen, für andere. Es schwieg, blickte in die Vergangenheit, wechselte Perspektiven, hörte zu, sah zu, spürte und kam mehr und mehr im Augenblick an. Und die Tränen waren wie Vergrößerungsgläser. Es wurde selbst bewusster, selbst erfahrener. Verlangte mehr Platz, trat für seine Anliegen ein.
Die anderen in der WG begannen zu kämpfen, das Unglück verlangte seinen angestammten Platz zurück und warf der Angst vor, ihm keine Hilfe mehr zu sein. Es lud den Zweifel ein und die Einsamkeit, den Zorn, die Wut. Sie feierten wilde, selbstzerstörerische Parties, der Schmerz grölend mittendrin. Der Tod ging vorbei und geliebte Menschen, mit denen das Glück am Tisch gesessen war, die es genährt, willkommen geheißen hatten, gingen mit ihm. „Man spürt selten, was Glück ist, aber man weiß meistens, was Glück war“, schrieb Françoise Sagan. Das Glück zog sich zurück in seinen Schildkrötenpanzer, aber selbst dort musste es sich die Ohren zuhalten und Namuamidabu singen.
Und irgendwann habe ich das Glück wieder ernst genommen, habe aufgehört auf den Panzer zu klopfen, es zu rufen, zu fluchen, zu betteln. Irgendwann bin ich endlich still geworden, hab das Glück eingepackt und mich mit ihm in die Sonne gesetzt. Auch da habe ich es immer wieder übertreiben, hab es zu viel herumgeschleppt, es versucht plappernd aus seinem Versteck zu locken, es wild umtanzt. Nach und nach hat es immer öfter und weiter seinen Kopf herausgesteckt, seine Beinchen, das kecke Schwänzchen. Und länger und länger blieb es heraußen, selbst, wenn es regnete oder die Luft verraucht war. Eines Abends kamen wir heim und lüfteten.
Es war nicht leicht, die Fenster klemmten. Das Glück ist keine große Hilfe beim Großputz. Es vertieft sich in Kleinigkeiten, an denen es hängt, die es glaubt zum Leben zu brauchen und doch fünf Minuten später wieder vergessen hat. Nie bleibt es an einem Platz, wenn es ums Aufräumen geht, ganz abgesehen davon, dass es meistens soundso erst Stunden, Tage später kommt. Aber irgendwann einmal war es geschafft und das Glück sprang beim einen Fenster hinaus und flog beim anderen wieder herein. Gottseidank wollte die Wut – wie so oft – nicht wirklich mitarbeiten und so hat nur der Schmerz ein paar Gläser zerbrochen. Wo war die Angst, damals?
„Das Glück is a Vogerl“, heißt es im Wienerlied und es fliegt mit mir, mit uns. Es pfeift uns Liebeslieder am Vorderdeck und anderswo. Es flattert durch den Salon und folgt uns nach Süden und Norden, mal Adler, mal Uhu, mal Gassenspatz, mal Papagei, mal Kakapo. Und weil der alte Schildkrötenpanzer ihm beim Fliegen ständig im Weg war, hat es ihn oben auf den Schrank geräumt, wahrscheinlich passte es gar nicht mehr rein, so fett war es geworden. Letztes Jahr war es auch bei mir, der Gänsemagd, das Glück. Es hat mit dem Tod der Angst und der Sehnsucht, mit meiner Mutter, mit mir, mein Elternhaus bewohnt. Es hat mir die geheimen Orte von einst gezeigt, die Freude an Kleinigkeiten. An den Wochenenden ist es aufgeblüht. Es hat mich nicht verlassen, auch nicht am Ende.
Zum Beispiel gestern. Da traf ich, trafen wir, das Glück erst auf der Jesuitenwiese, 16 Kinder und eine Mutter im Schlepptau, mitgenommen aus einem Asylheim in der Nähe unseres Grätzels. Drei vier verschiedene Nationen, die Kommunikation, ja selbst das Namen merken im internationalen Sprachengewirr schier unmöglich. Nur lachen, lachen können wir von Anfang an gemeinsam. Ein bisschen Glück wollen wir den Kindern schenken, Bälle und Naschereien und Spiele und Menschen, die sich mit ihnen freuen. Viele sind hier, weil sie die Hetze in den sozialen Medien satt haben und wissen, dass nur Handeln vor der Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit, die sie wie mich angesichts der brutalen Wortgefechte bedrängt, rettet. Drei Stunden Nachmittag, ein paar Namen habe ich mir doch gemerkt und wieder einmal begriffen, wie viel Glück ich habe, auch dass ich helfen darf und kann. Und dann noch Freitag, im Wohnzimmer des Glücks, der Chapel of Soul, beim Erstgeborenen mit in „Erdöl gegossener Liebe.“ Das Glück ist mir wahrlich hold.
So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das zehnte Wort
katiza - 27. Jul, 17:00
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1553 mal erzählt
la-mamma - 27. Jul, 21:12
ich glaub ja, dass glück irgendwie glück anzieht. das muss einfach so sein!
katiza - 29. Jul, 12:21
Manchmal muss man nur die Sonne reinlassen...
diefrogg - 30. Jul, 13:04
Sehr schöner Text!
Ich finde mich da im Abschnitt über die Angst in der WG wieder. Merkwürdig, bei wie vielen von uns sie wohnte, und wie wenig wir darüber gesprochen haben. Und gut, dass die meisten von uns mit der Zeit viel mehr Platz für das Glück hatten!
katiza - 30. Jul, 17:10
Vielen Dank, liebe Fröschin. Ja, die Angst, das alte Luder - egal wie sehr ich (und andere, wie Hansi Lang) dagegen angesungen haben, sie ist ständig herum geschlichen, stand Tag und Nacht plötzlich im Raum. Ich hielt sie für mein Grundgefühl, die feige Sau. Sie begegnet mir nur mehr dann und wann, meist wenn sie um Andere herum schleicht, solche, die ich liebe, solche, die mich verletzen.
Manchmal macht sie mich wütend, dann hält mich zum Glück das Glück zurück. Meistens.
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