Maria Stuart harzte Beine
Vor langer, langer Zeit, in einem anderen Leben, als ich glaubte Schauspielerin zu sein, hatte ich eine Freundin. Sie war die Grande Dame an unserem Theater. Gelernte Schauspielerin, Zuckerbäckertochter aus Krems an der Donau, um die Schauspielschule Krauss zu besuchen, musste sie die Unterschrift ihre Vaters fälschen. Um in der Kleinstadt zu überleben, harzte sie Beine. Sie hatte wenig Haare und viel Herz. Ersteres tarnte sie mit Kopftüchern, letzteres mit Wein. Irgendwann hatte sie den schwulen Theaterkritiker geheiratet, um ihrer Tochter einen Vater zu bieten. Die war mit Einem aus besseren Kreisen liiert. Als sie ihn mitbrachte in die Vorstellung, saß die Mutter mit zerrissenen Jeans an der Kassa. Dass er eine Fimose hatte, wussten wir alle, auch wenn wenn wir nicht all wussten, was eine Fimose ist. "Vorhautverengung", klärte sie uns auf und Schadenfreude schwang mit. "Mein armes Kind", sagte sie und empfand doch die Fimose als gerechte Strafe für seine Arroganz und dafür, dass sie die beiden in ihrem Biedermeierbett ertappt hat. "Überall – aber doch nicht in meinem Biedermeierbett, hab ich gesagt. Mit dem."
Sie spielte "Sie" in Turrinis "Rozznjogd", ein Skandal – "Herzerl, da nimmt er die Pillenschachtel und liest Modimido…." – und der Autor war begeistert. Herzerl nannte sie mich, Herzerl nannte sie uns alle, die ganze Theaterfamilie. Von ihr hab ich gelernt, dass man auch bereit sein muss, die Bühne zu putzen, wenn man das Theater wirklich liebt. Oder eben Beine zu harzen – den nackten Faust hat sie geharzt. "A guater Hund rennt nit davon", hat sie mich gelehrt, als ich heulend im Keller ankam, weil mich der Medizinstudent verlassen hat. Und "The show must go on." Gut hab ich gespielt an diesem Abend, hat sie mir versichert. Einen Sommernachmittag haben wir auf dem Balkon meines Elternhauses mit Wein aus dem Keller meines Vaters verbracht – Wein aus der Wachauer Heimat. Viel Wein und Geschichten über Geliebte und deren Geliebte.
Ihr Geliebter war der Pre, ein Medizinstudent, Bummelstudent und irgendwie übertragen von ihrem Mann geerbt, glaub ich. Mit dem Pre war sie in Marokko – "bei den Murln". Wenn sie betrunken war, verrutsche das Kopftuch und gab eine dünne Krone roter Haare preis. Einmal zu Silvester streuten die Kollegen das Gerücht, das kleine Theater plane "Maria Stuart" aufzuführen. Ganz aufgeregt wurde sie, hellhörig, so gerne hätte sie die Maria Stuart gespielt. Irgendwann bin ich nach Wien gegangen, sie wollte mich besuchen, ich sie anrufen, wenn ich nach Innsbruck käme. Der Pre hätte sein Studium beendet, erzählte mir jemand, und sie sei nicht mehr wichtig in seinem Leben. "Maria Stuart" stand noch immer nicht am Spielplan, den mir meine Mutter regelmäßig zusandte. Und dann stand es in der Zeitung. Ich bin zum Begräbnis gefahren. In Paris beim Frühstück mit Freunden war sie vom Sessel gefallen, Gehirnschlag – oder gebrochenes Herz? Eine Gnade von einem Tod, allerdings nur ein Vorhang. Sie wäre so eine gute Maria Stuart gewesen.
Sie spielte "Sie" in Turrinis "Rozznjogd", ein Skandal – "Herzerl, da nimmt er die Pillenschachtel und liest Modimido…." – und der Autor war begeistert. Herzerl nannte sie mich, Herzerl nannte sie uns alle, die ganze Theaterfamilie. Von ihr hab ich gelernt, dass man auch bereit sein muss, die Bühne zu putzen, wenn man das Theater wirklich liebt. Oder eben Beine zu harzen – den nackten Faust hat sie geharzt. "A guater Hund rennt nit davon", hat sie mich gelehrt, als ich heulend im Keller ankam, weil mich der Medizinstudent verlassen hat. Und "The show must go on." Gut hab ich gespielt an diesem Abend, hat sie mir versichert. Einen Sommernachmittag haben wir auf dem Balkon meines Elternhauses mit Wein aus dem Keller meines Vaters verbracht – Wein aus der Wachauer Heimat. Viel Wein und Geschichten über Geliebte und deren Geliebte.
Ihr Geliebter war der Pre, ein Medizinstudent, Bummelstudent und irgendwie übertragen von ihrem Mann geerbt, glaub ich. Mit dem Pre war sie in Marokko – "bei den Murln". Wenn sie betrunken war, verrutsche das Kopftuch und gab eine dünne Krone roter Haare preis. Einmal zu Silvester streuten die Kollegen das Gerücht, das kleine Theater plane "Maria Stuart" aufzuführen. Ganz aufgeregt wurde sie, hellhörig, so gerne hätte sie die Maria Stuart gespielt. Irgendwann bin ich nach Wien gegangen, sie wollte mich besuchen, ich sie anrufen, wenn ich nach Innsbruck käme. Der Pre hätte sein Studium beendet, erzählte mir jemand, und sie sei nicht mehr wichtig in seinem Leben. "Maria Stuart" stand noch immer nicht am Spielplan, den mir meine Mutter regelmäßig zusandte. Und dann stand es in der Zeitung. Ich bin zum Begräbnis gefahren. In Paris beim Frühstück mit Freunden war sie vom Sessel gefallen, Gehirnschlag – oder gebrochenes Herz? Eine Gnade von einem Tod, allerdings nur ein Vorhang. Sie wäre so eine gute Maria Stuart gewesen.
katiza - 22. Aug, 07:59
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