20
Sep
2007

Mops (1)

Tränen schossen in Erikas Augen. Dabei hatte sie vor 30 Minuten noch herzlich gelacht und vor drei Stunden den Mann, der für diese Achterbahn der Empathie verantwortlich war, noch nicht einmal gekannt. Sie genoss den Abend, die Vertraulichkeit, die sich so schnell zwischen ihr und Andreas eingestellt hatte. So als wäre es nicht der erste, sondern der vorläufig letzte einer Reihe von Abenden bei gutem Wein in seiner ebenso gemütliche wie schicken Küche. Aus dem CD-Player versprach Rufus Wainwright "Nothing's gonna change my world" und ihre Welt veränderte sich. Schon seit Wochen war sie neugierig auf den schönen Mann, der neu ins Haus gezogen war. Man grüßte sich gegenseitig, lächelte sogar manchmal, aber mehr hatte sich bisher nicht ergeben. "Jetzt zieht also auch noch eine Tunte bei uns ein," hatte Rudolf gemurmelt und sie hatte sich – wie so oft – über seine Intoleranz und seine Vorurteile geärgert. Gut, Andreas war homosexuell, das wusste sie mittlerweile auch, aber dieses sprachliche Verächtlichmachen. Ohne Tristan hätte Erika den neuen Nachbarn jedenfalls nie kennen gelernt. Der Lift war noch gar nicht los gefahren, da hatten Tristan und Marcel schon Freundschaft geschlossen. Andreas schwarzer Mops hatte das Herz ihres Hundeverrückten Achtjährigen im Sturm erobert. Und so hatte sie ihren Sohn in den letzten Stunden nur dann zu Gesicht bekommen, wenn er atemlos in die Küche stürmte, um zu berichten, was sein neuer Freund eben gerade wieder getan hatte. Rudolf mochte keine Hunde – er war allergisch und hielt auch prinzipiell wenig von Haustieren in der Stadt. Selbst Tristans virtuelle Hundezucht auf dem elektronischen Spielgerät war ihm irgendwie suspekt: "Ist das nicht rosa Mädchenkram?", formulierte er seine Besorgnis ihr gegenüber. Ihm wäre es wohl lieber gewesen, wenn der Bub ein Hit&Run-Spiel gespielt hätte. "Du machst eine Sissi aus meinem Sohn", sagte Rudolf und sie hasste ihn für die Anglizismen.
Andreas schenkte Weißburgunder nach. "Vom Tement, Südsteiermark. Wein und Marcel, das ist mir geblieben von dem Mann, dem ich mein halbes Leben geopfert habe – oder zumindest die zwölf schönsten Jahre…." Er stieß mit ihr an: "Schwamm drüber, Schätzchen, was essen wir jetzt?" Erst jetzt wurde Erika bewusst, dass es bald Acht war und sie ihre Haushalts- und Mutterpflichten komplett vernachlässigt hat. "Ich muss nach Hause", stammelte sie und rief ihren Sohn: "Tri." "Ach, was. Ihr bleibt hier und wir lassen uns was kommen." "Oh, ja", Tristan hatte eben die Küche betreten. Die Aussicht weiter mit dem Mops spielen zu dürfen und dazu noch geliefertes Essen zu bekommen, begeisterte ihn. Rudolf würde das gar nicht passen, dessen war sich Erika bewusst. Er legte viel Wert auf Disziplin und gesunde Ernährung und wäre strikt dagegen, dass sein Sohn erst gegen Neun, satt vom Fast Food ins Bett käme. Und er hatte Recht. Sie waren schon lange genug beim neuen Nachbarn herumgesessen. Nüchtern war sie auch nicht mehr: "Tut mir leid Andreas, wir müssen wirklich gehen." Tristans Gesicht verfinsterte sich, Andreas lächelte sie weiter an: "Und der Wein." "Auch deswegen. Zu viel" "Aber, Marcel", der Bub verfiel in den jammernd-protestierenden Ton, den sie nur schwer ertrug. "Du darfst sicher wieder einmal mit ihm spielen", erklärte sie und warf Andreas einen Hilfe suchenden Blick zu. "Warum kommt ihr nicht morgen zum Abendessen, ihr zwei? Wir könnten uns was auf dem Teppanyaki-Grill brutzeln", sprang Andreas ein: "Ich esse so ungern allein und Marcel freut sich auch, wenn Tri mit ihm spielt." "Bitte – Mama." "Wenn es keine Umstände macht, gerne", sagte sie und meinte es ernst. Dieser Mann war einfach perfekt – fast.
(Fortsetzung folgt)
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