Papierene Freunde
Jetzt stehen sie wieder da, Rücken an Rücken, an ihrem alten, neuen Platz. Manche waren schon vorher Nachbarn, andere haben erst jetzt einen Platz gefunden. Jahrelang waren sie Lückenbüßer. Dieses Schicksal hat gar nicht selten die besten von ihnen getroffen, denn nur sie habe ich immer wieder zu mir geholt, um sie dann, nachdem ich sie anderen vorgestellt hatte oder nachdem sie meine Frage beantwortet hatten, wieder irgendwo hin zu räumen.
Einige sind mir gestern völlig neu begegnet. Wiederum andere waren mir fast völlig entfallen und gaben doch schon im flüchtigen Durchblättern Erinnerungen an vergessen Geglaubtes Raum. Manche sind Stellvertreter, für die aus deren Händen ich sie bekommen oder deren Worte das Verlangen nach ihnen genährt haben. Wenige enthalten Widmungen von Menschen, die mir komplett entfallen sind. Fast zwei Meter stehen für eine Epoche, ich werd sie wohl nur mehr selten öffnen, aber weggeben kann ich sie nicht. Das hieße irgendwie, Jahre verlieren.
Und doch wanderte das eine oder andere auf einen Stapel im Vorraum – ausgemustert, weggelegt, um den Platz für die geliebten zu erhalten. Nicht nur die, die doppelt vorhanden waren, auch manch attraktive und heitere Urlaubsbegleitung oder Zeugen einer anderen Epoche, die mir von ihren Autoren persönlich ans Herz gelegt wurden, Zeugnisse von Reisen mit Außerirdischen oder Geschichten einer tragischen Kindheit, besonders schweren Herzens auch ein, zwei Bücher, die ich bei dem netten exiljugoslawischen Buchhändler, der bis vor drei Jahren einen Laden in unserer Gasse hatte, abgekauft und doch nie gelesen habe und das eine oder andere, das ich selbst einst aus einem Leihbüchereiverkauf oder einem Altpapiercontainer gerettet habe. Sie müssen gehen damit die anderen bleiben können.
Bei der morgendlichen Lektüre steigt Angst in mir hoch, weil kaum mehr Platz für neue Bücher ist, wenn ich nicht bereit bin, mich von weiteren alten zu trennen. Vielleicht fühl ich mich auch deswegen hier so wohl, in der Welt frei gelassener Buchstaben, nicht eingesperrt zwischen Buchdeckeln und doch immer greifbar. Aber Bücher riechen.

"Was du alles weißt! Du hast schon viel gelesen."
"Ja, ich lese immer. Der Vater nimmt mir die Bücher weg. Ich möchte in eine chinesische Schule. Da lernt man vierzigtausend Buchstaben. Die gehen gar nicht in ein Buch."
Elias Canetti "Die Blendung" Auflage 181. – 187. Tausend: Oktober 1985, wiederentdeckt gestern
Einige sind mir gestern völlig neu begegnet. Wiederum andere waren mir fast völlig entfallen und gaben doch schon im flüchtigen Durchblättern Erinnerungen an vergessen Geglaubtes Raum. Manche sind Stellvertreter, für die aus deren Händen ich sie bekommen oder deren Worte das Verlangen nach ihnen genährt haben. Wenige enthalten Widmungen von Menschen, die mir komplett entfallen sind. Fast zwei Meter stehen für eine Epoche, ich werd sie wohl nur mehr selten öffnen, aber weggeben kann ich sie nicht. Das hieße irgendwie, Jahre verlieren.
Und doch wanderte das eine oder andere auf einen Stapel im Vorraum – ausgemustert, weggelegt, um den Platz für die geliebten zu erhalten. Nicht nur die, die doppelt vorhanden waren, auch manch attraktive und heitere Urlaubsbegleitung oder Zeugen einer anderen Epoche, die mir von ihren Autoren persönlich ans Herz gelegt wurden, Zeugnisse von Reisen mit Außerirdischen oder Geschichten einer tragischen Kindheit, besonders schweren Herzens auch ein, zwei Bücher, die ich bei dem netten exiljugoslawischen Buchhändler, der bis vor drei Jahren einen Laden in unserer Gasse hatte, abgekauft und doch nie gelesen habe und das eine oder andere, das ich selbst einst aus einem Leihbüchereiverkauf oder einem Altpapiercontainer gerettet habe. Sie müssen gehen damit die anderen bleiben können.
Bei der morgendlichen Lektüre steigt Angst in mir hoch, weil kaum mehr Platz für neue Bücher ist, wenn ich nicht bereit bin, mich von weiteren alten zu trennen. Vielleicht fühl ich mich auch deswegen hier so wohl, in der Welt frei gelassener Buchstaben, nicht eingesperrt zwischen Buchdeckeln und doch immer greifbar. Aber Bücher riechen.

"Was du alles weißt! Du hast schon viel gelesen."
"Ja, ich lese immer. Der Vater nimmt mir die Bücher weg. Ich möchte in eine chinesische Schule. Da lernt man vierzigtausend Buchstaben. Die gehen gar nicht in ein Buch."
Elias Canetti "Die Blendung" Auflage 181. – 187. Tausend: Oktober 1985, wiederentdeckt gestern
katiza - 13. Sep, 09:35
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