Der Kuss
Und plötzlich steht da dieses Paar und küsst sich. Mitten am Tag. Mitten am Stadionparkplatz, öffentlich und doch verborgen. Ich sehe sie schon von weitem, sie sind leichter von der Seite aus zu sehen, aus der ich herbeihumple. Jeder Schritt tut weh. Irgendwann nächtens habe ich mir eine Zehe blau gehauen, die Zeigezehe links und so gehe ich unter Schmerzen meines Weges. Auf die Küssenden zu, an ihnen vorbei. Ich habe somit Zeit, sie zu beobachten, ohne sie anstarren zu müssen, auch wenn sie das nicht bemerkten würden, so versunken sind sie ineinander. Und selbst, wenn sie ihre Lippen zwischendurch voneinander lösen, nur um ein wenig zu Schnäbeln, kleine Schlucke von der Seele des, der anderen zu trinken, nehmen sie wohl nichts wahr, außer diese Lippen und ihre warmen, hungrigen Zungen, den Atem des, der Anderen und die Sehnsucht eins zu werden. Warum sie ausgerechnet hier küssen, am verlassenen Parkplatz, wundere ich mich, eine heimliche Affäre vielleicht, ein überraschendes Wiedertreffen - kein Rendezvous, nicht hier unter der U-Bahn, angesichts des Stadions, nein kein Rendezvous. Ich bin froh, dass sie mich nicht bemerken, meine neugierigen, neidigen Blicke. Will auch, rollt sich meine Zunge im eigenen Mund, und meine Lippen schnappen ins Nichts. Der Mann fasst nach, zieht die Frau noch näher an sich, zwischendurch ein Blick in die Augen und dann weiterküssen, niemals aufhören. Ich weiß genau wie sich das anfühlt. Darum dreh ich mich noch einmal nach den Beiden um, bevor ich die U-Bahn Station betrete. Sie haben nicht aufgehört zu küssen. Wir schon. Darum weine ich ein wenig. Oder auch bloß, weil mir die Zehe so weh tut.


katiza - 5. Mai, 14:31
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