Hannah
Ich schäme mich. Ich schäme mich. Ich schäme mich. „Der Papa ist tot“, hat mir die Mama auf die Mailbox gesagt. Irgendwie hat sie erleichtert geklungen. War sie, war ich ja auch. Ich hatte den Typen gerade aus meiner Wohnung komplimentiert und als erstes mein Handy abgehört. Ja blöd von mir. Tom wird sich ja doch nicht mehr melden. Das ist vielleicht besser so.
Der Papa ist tot. Vor einer Woche war ich das letzte Mal bei ihm. Ich habe mich so aufgeregt, wie er die Leute dort behandelt und habe ihm das auch gesagt. Dann hat er mich raus geschmissen. Und jetzt ist er tot. Irgendwie kann ich das noch gar nicht fassen. Als ich klein war, waren wir manchmal fischen, nur er, ich und Dosenbier. Ich hab es holen dürfen und mir was kaufen. Manchmal hat er von Amerika geschwärmt. Ich hab mir damals vorgenommen, dass ich meine Eltern einmal auf eine Amerikareise einlade.
Ich mochte das Angeln. Er zeigt mir wie man die Fische tötet und ausnimmt. Ich mochte die Zeit mit ihm und wenn er pfiff, wenn wir zum Heurigen gingen. Aber irgendwann nahm er mich nicht mehr mit oder ich wollte nicht mehr mit. Da war ich am Gymnasium. Meine Volksschullehrerin hat das für mich durchgesetzt. Papa war nicht begeistert, das hat ihm viel Geld gekostet. Der Mama hat der Gedanke gefallen. Sie hat immer von den guten Partien geträumt, die ich dort machen könnte. Dass ich Wirtschaftsforscherin werde, hat sie nicht gedacht. Ein zwei Mal war ich im Fernsehen zu Wort gekommen; da war sie recht stolz.
Sonst haben sie sich meistens geschämt, weil ich so anders war, weil sie so wenig von mir wussten, weil ich selten heim kam, weil ich eine Zeit lang Dreads trug, weil ich keine Familie habe. Und keinen Mann. Weil ich eine Flitschen bin, wie der Papa immer wieder gezischt, geflucht, gebrüllt hat. Und keiner eine Flitschn will, heiraten will.
Ich wollte niemanden heimbringen. Ich habe mich geschämt, nicht weil ich aus einer Arbeiterfamilie bin, aber weil ich aus einer solchen bin. Was hätten die den denken sollen vom Papa, der immer mehr gesoffen hat und von der Mama, dem Denkmal der Bitternis, die Hand im Chipssackerl. Beide unpolitisch und österreichisch: ein bissl rassistisch, ein bissl homophob. Das wollte ich Niemandem aus meiner linken, queeren, politisch bewegten, ausgeflippten Partie zumuten, dafür habe ich mich geschämt.
Aus Amerika ist nie was geworden. Sie wollten, glaube ich nicht hin. Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass sie viel für mich getan haben. Vielleicht hätte ich zum Papa gerne „Danke“ gesagt und „Ich hab dich lieb“. Das habe ich zuletzt als kleines Mädchen beim Angeln. Ich hab es ihm ins Ohr geflüstert, als er dort aufgebart lag. Die nette Frau hat mich beobachtet dabei und gelächelt. „Die Toten können uns hören, lang über das Sterben hinaus“, hat sie zu mir gesagt. Ich hoffe das sagt sie nur so. Ich hoffe, er hat mich nicht gehört und nicht gesehen, was ich getan habe, während er gestorben ist.
Gut, dass sich der Tom nicht gemeldet hat, den verdiene ich einfach nicht.
Ich schäme mich.
Ich will doch bloß glücklich sein.
Der Papa ist tot. Vor einer Woche war ich das letzte Mal bei ihm. Ich habe mich so aufgeregt, wie er die Leute dort behandelt und habe ihm das auch gesagt. Dann hat er mich raus geschmissen. Und jetzt ist er tot. Irgendwie kann ich das noch gar nicht fassen. Als ich klein war, waren wir manchmal fischen, nur er, ich und Dosenbier. Ich hab es holen dürfen und mir was kaufen. Manchmal hat er von Amerika geschwärmt. Ich hab mir damals vorgenommen, dass ich meine Eltern einmal auf eine Amerikareise einlade.
Ich mochte das Angeln. Er zeigt mir wie man die Fische tötet und ausnimmt. Ich mochte die Zeit mit ihm und wenn er pfiff, wenn wir zum Heurigen gingen. Aber irgendwann nahm er mich nicht mehr mit oder ich wollte nicht mehr mit. Da war ich am Gymnasium. Meine Volksschullehrerin hat das für mich durchgesetzt. Papa war nicht begeistert, das hat ihm viel Geld gekostet. Der Mama hat der Gedanke gefallen. Sie hat immer von den guten Partien geträumt, die ich dort machen könnte. Dass ich Wirtschaftsforscherin werde, hat sie nicht gedacht. Ein zwei Mal war ich im Fernsehen zu Wort gekommen; da war sie recht stolz.
Sonst haben sie sich meistens geschämt, weil ich so anders war, weil sie so wenig von mir wussten, weil ich selten heim kam, weil ich eine Zeit lang Dreads trug, weil ich keine Familie habe. Und keinen Mann. Weil ich eine Flitschen bin, wie der Papa immer wieder gezischt, geflucht, gebrüllt hat. Und keiner eine Flitschn will, heiraten will.
Ich wollte niemanden heimbringen. Ich habe mich geschämt, nicht weil ich aus einer Arbeiterfamilie bin, aber weil ich aus einer solchen bin. Was hätten die den denken sollen vom Papa, der immer mehr gesoffen hat und von der Mama, dem Denkmal der Bitternis, die Hand im Chipssackerl. Beide unpolitisch und österreichisch: ein bissl rassistisch, ein bissl homophob. Das wollte ich Niemandem aus meiner linken, queeren, politisch bewegten, ausgeflippten Partie zumuten, dafür habe ich mich geschämt.
Aus Amerika ist nie was geworden. Sie wollten, glaube ich nicht hin. Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass sie viel für mich getan haben. Vielleicht hätte ich zum Papa gerne „Danke“ gesagt und „Ich hab dich lieb“. Das habe ich zuletzt als kleines Mädchen beim Angeln. Ich hab es ihm ins Ohr geflüstert, als er dort aufgebart lag. Die nette Frau hat mich beobachtet dabei und gelächelt. „Die Toten können uns hören, lang über das Sterben hinaus“, hat sie zu mir gesagt. Ich hoffe das sagt sie nur so. Ich hoffe, er hat mich nicht gehört und nicht gesehen, was ich getan habe, während er gestorben ist.
Gut, dass sich der Tom nicht gemeldet hat, den verdiene ich einfach nicht.
Ich schäme mich.
Ich will doch bloß glücklich sein.
katiza - 28. Feb, 16:25
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