Tanze!
Damals.
Leonce: Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht!
Rosetta: Meine Füße gingen lieber aus der Zeit. (Sie tanzt und singt.)
O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief, tief
Im Boden ruhen.
O meine heißen Wangen, ihr müßt glühen
Im wilden Kosen,
Und möchtet lieber blühen
Zwei weiße Rosen.
O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen,
Und lieber schlieft ihr aus im Dunkeln
Von euren Schmerzen.
Und Rosetta tanzte. Jeden 2. Abend. Einen kurzen Auftritt lang in einem wundervollen Blütenkleid. Sie musste erst lernen auf den High Heels zu gehen. Sie war 18 und groß gewachsen. Knabenhaft und doch rieben sich manchmal während ihres Tanzes ihre Knospen an den Tulpenblättern des Dekolletès. Schulterfrei, große Rosen aufgedruckt – ein schönes Kleid. Sie tanzte, wie es ihr die irische Prima Ballerina beigebracht hatte. Es war ein kurzer Tanz, ein kurzer Auftritt. Dritte Szene, Erster Akt.
Ganz zwei Akte dauerte es noch bis Leonce mit Lena in ein Leben voller Rosen, Veilchen, Orangen und Lorbeeren schritt und Valerio sein Dekret erließ. Manchmal gingen sie in der Pause etwas trinken, die KleindarstellerInnen der kleinen Bühne, manchmal las Rosetta in der Kellergarderobe, wo das Premierengeschenk der Tanzlehrerin, Pantöffelchen, hing. Schlussapplaus, noch einmal, zweimal dreimal hinaus – alle. Auch die Knospen.
An vielen Abenden tänzelte Rosetta dann über den Adolf-Pichler-Platz in die Maria-Theresien-Straße, die Treppen hinunter in die American Bar. Eine Stunde Wartezeit bis zum nächsten Bus, zwei bis zum letzten. Rosettas Füße wollten tanzen in bunten Schuhen, ihre Wangen wollten glühen im wilden Kosen, ihre Augen wollten blitzen im Strahl der Kerzen. Nicht heim ins Elternhaus.
Kerzen standen auch an der Bar und in den dunklen Plüsch-Samt-Nischen. Bilder von Tomi Ungerer hingen dort. Die Tanzfläche war klein, sternförmig und verspiegelt. Eine Glitzerkugel, ja, wahrscheinlich hing dort eine Disco-Kugel. Aber das bemerkte Rosetta nicht, wenn sie dort allein tanzte. Maschine brennt. I can’t get no satisfaction. Keine Angst. Ich spiele Leben. As tears go by. Gloria. Der DJ hatte einen Schnauzer. Es waren die frühen 1980er. Sie war gerne allein da, redete sie sich ein, während sie wartete. Tanzend. Auf den Bus. Auf den, den sie liebte. Oder einen, den sie lieben könnte.
Einmal winkte sie der DJ zu sich. „Du tanzt super“, meinte er: „Vor allem die Texte, die Musik müsste man halt manchmal umschreiben.“ Sie war einfach unmusikalisch. Deswegen war sie nie eine richtige Schauspielerin geworden, glaubt sie noch heute. Dance like nobody’s watching. Oder everybody. Das ist ihr geblieben. Noch immer tanzt sie Texte, als wäre sie allein oder wirbelnder Mittelpunkt auf der Tanzfläche, ob im Planetarium oder im Wohnzimmer. Rosettas Füße tanzen in der Zeit.
Staatsminister Valerio darf ich vor dem Schlussapplaus um euer Dekret bitten: „daß wer sich Schwielen in die Hände schafft unter Kuratel gestellt wird, daß wer sich krank arbeitet kriminalistisch strafbar ist, daß jeder der sich rühmt sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!“
Dieser Text ist mein Beitrag zum - Hurra verlängertem - Projekt *.txt , das fünfzehnte Wort Danke Dominik.
katiza - 10. Nov, 12:26
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