8
Okt
2010
1
Okt
2010
U2 und Helden
Er muss es gespürt haben, ein hübscher Bursche, dunkelhäutig, ein sympathisches offenes Gesicht.
„Ich arbeite für dich“, schreit er mich plötzlich an: „Du lebst von meinem Geld.“
Ich nehme die Kopfhörer aus den Ohren und schau ihm in die Augen.
„Ich arbeite für dich, damit du leben kannst.“ Ich nicke; ich wundere mich nicht, sehe nur seine Augen und fühle seinen Schmerz.
„Weißt du wie verbittert du aussiehst?“ fragt er mich und ich weiß es.
„Zwei mal hab ich dir das Leben gerettet…“
Er meint nicht mich, er meint eine andere, wird mir erst jetzt wirklich klar und da löst er den Blick, macht sich bereit zum Aussteigen.
„Ohne mich wärst du krepiert“, er dreht sich noch einmal um: „Adrenalin haben sie dir gespritzt…“
Dann verschwindet er ohne sich umzudrehen in der aussteigenden Menge.
Alle starren mich an. Schräg gegenüber sitzt ein junger Mann in grauer Arbeitsmontur, der hebt den Kopf: „I hab zerst dacht, der geht mi an. Dem hätt i…wenn der ihnen was tan hätt, i wär sofort aufgsprungen. Der war auf Drogen.“
"Ich hab ihm in die Augen gesehen“, sage ich, dann setze ich die Kopfhörer wieder auf. Da ist nichts, was wir tun könnten….
21
Sep
2010
.Dort
Ich war heute wieder an jenem Ort. Als die Mock Turtle klein war, hat sie dort gespielt. Dort waren ihr Piratenschiff und ihr Indianerlager, dort hat sich ihr Fahrrad in einen wilden Rappen verwandelt. Mit ihren Freunden G. und R. rauchte die kleine Turtle Waldtschick und briet gestohlenen Türken – wie man den Mais in der Heimat nennt - über dem Lagerfeuer. Mit der zauberhaften Amelie und ihren Brüdern erlebte sie Abenteuer in erdachten Welten. Im Brunnen unter dem Marterl beobachteten die Kinder wie sich Löwenzahnstiele kringelten. Über jenes Feld neben dem großen Obstgarten waren der Vater, als er ein kleiner Bub war, seine Mutter, die große Nenn-Tante und Frau Mariann zum Bunker gelaufen. Bombenalarm, die Tante verlor die Tasche und der kleine Bub sammelte alles wieder ein. Oft hab ich mir das vorgestellt und dann manchmal Angst gehabt, wenn Flugzeuge übers Haus flogen, dass wieder ein Krieg käme und man dort hinüber laufen müsste. Ich war im Winter dort rodeln und im Sommer hab ich Drachen steigen lassen, einen ganz besonderen, einen Drachenflieger, der hat sich ausgeklinkt und ist langsam zu Boden gesegelt.
Heute ist alles anders. Der Park ist schön, ein kleiner See, ein Trinkwasserbrunnen, Bänke, Bäume, Schaukeln, ein Fußballplatz, ein Eisstockplatz… die kleine Hütte, dort. Viele Menschen in diesen Abendstunden. Sie sind fröhlich, ich traurig.
Nach Hause gehe ich auf meinem alten Schulweg. Ist die junge Frau, die vor mir geht und wie ich traurig durch den Park streunt aus demselben Grund hier wie ich? Ich wische den Gedanken weg und wähle den Weg durchs Waldele. Tägliche Verweilstation am Heimweg von der Schule, ein kleiner Bach am Rand ist längst in Beton gezwängt. Damals veranstalteten wir dort Rindenschiffregatten. Die Rinde stammte von den Bäumen, die noch immer dort stehen. Ich drückte mich an sie wie damals beim Versteckelex und kurz fühlte es sich an wie einst. Und dann sah ich die kleine Turtle, die die rote Schultasche mehr hinter sich her schleifte als trug, die Haare hochgesteckt im Gogl und doch in Auflösung begriffen; sie lutscht an einer Haarsträhne, schmutzige Finger und ein Lächeln. Den Weg bergab läuft sie fast; viele neue Häuser bemerke ich. Dann die Kurve, in der einst die schreckliche Bluttat geschehen war; nach einer Messerstecherei war tagelang ein dunkler Fleck auf der Straße zu sehen, die kleine Turtle hielt jedes Mal an dieser Stelle den Atem an, ich tue es noch immer. Die letzten 200 Meter. Links die kleine Schneiderei, die Mutter ließ oft schneidern, eher selten dort. Die kleine Turtle spielte dann mit dem kleinen Ballon, mit dem man die Länge markieren konnte, sammelte Stecknadeln auf und Stoffreste. Gegenüber die Arbeitersiedlung, wo die Freundin aufwuchs. Heute schmücken balinesische Wimpel die winzigen Balkone, unter denen die kleine Turtle sich versteckt hat. Und dann mein Elternhaus.
Ich war an jenem Ort. Papa..
Heimkommen?
19
Sep
2010
Sonntag Morgen Seufzer
und so einsam.
Tausend Worte im Kopf
und so sprachlos.
Ein Bett hier wie dort
und keine Heimat.
7
Sep
2010
Herbst-Blues
„Hast du bitte die Eva gesehen? Das gibt es doch nicht!“
Wie er es hasste, wenn sich diese widerlichen Menschen um ihn scharten.
„Geh hast a Feuer?“
Der Kopf surrte ihm von ihren hohlen Gesprächen.
„Und dann sagt er doch glatt zu mir, dass der Job schon vergeben ist.“
Ob er auf sie herabblickte?
„Ich brauch noch ein paar Tage Urlaub im Herbst, sonst halt ich das nicht aus…“
Selbstverständlich, blickte er auf sie herab.
„Du schaust übrigens ganz toll aus, das muss ich dir einfach sagen.“
Sie wollten von ihm beschirmt werden, sie suchten seine Wärme, waren die Nutznießer seiner Energie.
„Ich mach ja jetzt Bikram-Yoga, heiße Sache.“
Und zum Dank nebelten sie ihn ein, bliesen ihren Rauch wie ihre leeren Worthülsen aus.
„Ich liebe diesen Mann, sagte ich das bereits.“
Er schwieg, er lachte auch nicht über ihre Witze.
„Bist du auf facebook?“
Manchmal fühlte er sich ebenso hohl wie sie.
„Wenn ich dir sage: Nagelneu!“
Und doch unter Strom.
„Du, 120 Euro, vier Gänge – schreckt mich gar nicht.“
Fast immer hatte er den Eindruck auf bleiernen Füßen zu stehen.
„Und dann erklärt er mir, dass er das längst gewusst hat.“
Vielleicht war es ja sein Fehler.
„Ich lass vor der Kuh doch nicht so weit die Hosen runter.“
Weil er an all das nie geglaubt hatte.
„Ich weiß nicht, was die Leut haben…“
Aber wer konnte schon ahnen, dass man als Heizpilz wiedergeboren werden kann…
verdammt schlechtes Karma.
31
Aug
2010
14 Jahre
Mit 14 Jahren wusste ich Bescheid; über alles; das Gute und das Schlechte; Wahrheit und Lüge; lieben und leben; schwarz und weiß.
Mit 14 Jahren war ich voll Sehnsucht; nach Liebe und Sex; Freiheit und Gerechtigkeit, Leben und Freundschaft; wissen und verstehen.
Mit 14 Jahren schrieb über die Leere, die Einsamkeit, den Krieg, Männer, Frauen, Kinder, meine Mutter, meinen Vater, die Zukunft und den Tod.
Gestern vor 14 Jahren habe ich geheiratet – kein Wunder, dass sich unsere Ehe manchmal lebt wie ein Teenager.
Mit 14 schrieb ich in mein Tagebuch: „Wir leben in einer Welt, die die Vernunft anbetet und predigt und eines Tages gliedern sie uns ein und wir werden endlich, endlich vernünftig. Warum gibt’s da kein Gesetz jeder der bei der Vollendung seines 14 Lebensjahres ist, hat bis auf Widerruf (durch Vernunftspersonen) vernünftig zu sein.“
Und misstraue immer noch der Vernunft!
25
Aug
2010
Carmen-Story
Und dann dieses wunderbare Stilleben: Am Ende einer Steigung sitzt eine alte Frau auf einem Schattenbankerl, zu ihren Füßen Katzen. „Fotografier das“, weise ich den Liebsten an, der den Fotoapparat schussbereit um den Hals hängen hat. Später merke ich, dass die Frau in der lila Kittelschürze wahrscheinlich so alt wie ich ist und mit dem Handy telefoniert.
Wort für Wort dringt das Gift über ihr Ohr in ihre Seele ein. Carmen hatte sich vor die Türe geflüchtet als der Anruf kam, Jose zelebriert seine Siesta lang ausgestreckt im gemeinsamen Ehebett. Er war spät nach Hause gekommen. Drei bis vier Mal die Woche spielt er Gitarre in einer der Flamenco-Zambras. Früher hatte sie dazu getanzt aber das war lange her, fünf Kinder und ein Leben. Heute zieht er allein los und sie weiß, dass er nicht allein bleibt. Carmen fühlt sich alt und müde. Und jedes Wort, das ihre Freundin Ana ins Telefon zischte, machte sie noch älter und müder. Wut, Verzweiflung, Einsamkeit treiben ihr die Tränen in die Augen.
Ausgerechnet jetzt schwitzten Touristen den Hügel herauf, ein langhaariger Typ mit Fotoapparat, eine Frau, wie blöd musste man sein, um in der Mittagshitze durch die Gegend zu spazieren? Carmen hofft, dass sie vorbeigehen, aber die fremde Frau mit dem roten Rucksack nimmt auf der Bank neben dem Brunnen in der prallen Sonne Platz und der Langhaarige fotografiert sie. Carmen will weg.
Kurz begegnen sich unsere Augen – die Frau in der Kittelschürze weint. „Setz dich dahin“, sagt der Liebste und leicht genervt leiste ich seiner Aufforderung Folge, hatte ich mich doch so oft beklagt, dass er mich so selten fotografiere. So halte ich also still, schau schön, während die Frau ins Haus gegenüber eilt. Warum sie wohl weint? Die Katzen weinen auch. Ein junger Mann mit nacktem Oberkörper kommt mit der Schubkarre vorbei, er lächelt mich an. Der Liebste steigt weiter nach oben in Richtung Kirche. Die Hitze ist unerträglich. Auf dem kleinene Brunnen steht ein Satz, den ich nicht verstehe, von dem ich aber weiß, dass er schön ist.
Fremd fühl ich mich, als Eindringling. Auch dort oben gebe es Höhlen, neuere, frisch gegrabene, berichtet der Liebste, Aussteiger wohnten dort. Ich soll sie mir ansehen. Ich will nicht weiter stören, dränge darauf weiter zu gehen, das Museum zu suchen. Wir gehen an dem Haus vorbei, in dem Carmen verschwunden ist. „Esta mujer, esta mujer, esta mujer..“, höre ich sie drinnen schreien, Jose wird wohl jetzt wach sein.
16
Aug
2010
Villa Verdi(e)n(t)
Es schüttet, als wir ankommen und das türkise Zimmer beziehen, Seeblick haben Gianni und Tom für uns reserviert. Wir haben hier einmal Silvester gefeiert, vor keine Ahnung wie vielen Jahren, mit Freunden und Bekannten, auch solchen, die nicht nur uns bekannt sind, Medienmenschen, Szeneleuten. Und doch war es fein und besonders und hat den Wunsch keimen lassen, wiederzukommen.
Das erste Bier hole ich unten an der Bar, direkt bei Gianni, dem zarteren der beiden Hausherren und melde uns gleich fürs Abendessen an. Das Auge freut sich über all die vertrauten Bilder, die kitschig schön gestalteten Winkel und Ecken der alten Villa. Hier ein Buddhagesicht, dort eine Kleiderpuppe mit Pelzjäckchen. Eine Diskokugel zaubert bunte Lichter in den Vorraum, Kerzen erhellen die Tische. Schöne Menschen sieht man hier. Kein Fernseher weit und breit, nur Bücher und Zeitschriften überall, stapelweise in den Gängen auf den Zimmern. Als wir oben mit dem Bier anstoßen klingt von unten „Somewhere over the rainbow“ durchs geöffnete Fenster. Passt.
Die Bobos machen Urlaub hier, die schönen, jungen, hetero- und homosexuell, paarweise, mit Kindern und Hunden. Zwei alte Damen aus Ungarn ebenfalls. Den großen Tisch teilen wir mit Einheimischen, vertrauten Kärntner Singsang im Ohr, Vorurteile im Kopf. Nordslowenien.
Im kühlen klaren See schwimmend denke ich an meinen Vater. Er hat Wasser geliebt, ist so gerne geschwommen. Das Wasser hat ihn wohl leicht gemacht, die dünne Haut sanft umspült und das Schwimmen hat ihm das Atmen erleichtert. „Er hätte so gerne noch einmal ein Vollbad genommen“, hat die Mutter irgendwann erzählt.
Heute dann Massage. Evas wissende Hände erreichen schnell den Schmerzpunkt - „zwischen Herz und Kopf ist ein Knoten“, sagt sie und spricht von Liebe und Loslassen. „Ich lasse los“, sage ich, stoße die Worte aus, wie die Atemzüge und merke doch, wie ich etwas zurückhalte im Gewirr der Gedanken Eva arbeitet es aus meine Körper, manchmal hält sie inne und atmet für mich aus, lässt für mich los, ich spüre, wie sie spürt. Es ist gut, tut gut.
Auf dem Kleid, das ich trage steht: Danke mir geht’s gut!
In meinen Augen auch.