Zeitreise oder wie ich den G-Punkt wieder gefunden habe
„Die Pogues habe ich bei der Turtle in der Küche kennen gelernt“, sagt Fratello Mio zum Höhepunkt des Geburtstagskonzerts, das ihm sein Freund der Punk widmet. Ein feines Süppchen. „Dort sind wir auch in der Nacht unserer Matura gesessen und haben 80prozentigen Rum getrunken.“
Nur mehr 80prozentiger Rum – für Feuerzangenbowle angeschafft – stand im Regal und im Ghettoblaster drehten sich die Pogues und Jonathan Richman. Hinter dem Lichthof wohnte ein Schauspieler, damals noch nicht Serienheld im Helicopter. Manchmal saß er mit der Turtle in dieser Küche und aß ihren Apfelstrudel. Die Wohnung lag nicht weit entfernt von dem Lokal im Souterrain mit dem eigenartigen Namen, wo das Wohnzimmer der Mock Turtle war. Leben an der Bar, Leben in der Nacht, Leben nicht zu Hause und doch daheim. Vom Stammgast avancierte die Turtle ins Team und kehrte schließlich zum Stammgastdasein zurück. Und dann?
„Wir kennen uns sicher von früher“, meint die hübsche junge Frau an der Bar mit blauschwarzem Haar, die mit dem Geburtstagskind in der Schule war. „Ich war schon ewig nicht mehr da.“ „Irgendwann ist man raus gewachsen“, sind wir uns einig. „Du warst früher auch im G-Punkt?“ fragt der Regisseur heiterer Filmchen, in deren einer ich eine Gastrolle übernehmen durfte. „Hinter der Bar war eine meiner besten Bühnen…“ Dann kennen wir uns von früher…“Wann ist früher?“ „Vor zehn Jahren?““Dann kennen wir uns von jetzt.“
Vielleicht war es in jener Maturanacht, als der Veterinärstudent mit dem zweifarbigen Bart auf meinem Wäschegestell zusammengebrochen ist, vielleicht in einer anderen.Die Wohnung der Mock Turtle und die Küche im Speziellen war Endstation einiger Nächte oder immer wieder Endstation dieser einzigen langen Nacht aus der die Jahre damals zu bestehen scheinen. Im Lichthof graute der Morgen. Sicher es gab auch Tage an der Uni, Theateraufführungen, Vorträge, Kino, Konzerte, Unmengen kluger Bücher, und Stundenlange Diskussionen. Aber es gab auch diese einzige Nacht im Souterrain. If you close the door. Sperrstundmusik.
Mein bäriger Freund ist gekommen, Harley-Fahrer im stets gleichen schwarzen Lederoutfit mit Kinderseele. Wir stoßen an und ich spüre seine brummige Herzlichkeit wie einst. Und auch seine Sorge.
Oft hat er Turtle gerettet vor aufsässigen Gästen, aufdringlichen Affen, zu viel Alkohol oder ihr selbst. Ich glaube er hat die Mock Turtle auf eine sehr schöne Art geliebt. Und an der Bar saßen die Haustiere: Der Trafikant mit dem Wiener Schmäh, der immer wie ein Trafikant aussah. Die hager-schöne einsame Ärztin. Die dralle, lachende Blondine. Der stets traurig-jammernde Smeagol. Der coole Engländer. Der sensible Maler. Der Ritter von der traurigen Gestalt. D’Artagnan. Die Ratte. Der zynische Journalist. Friends and Lovers. Der Märchenprinz und seine Schöne. Das Gucki und die erste und die zweite große Liebe. Die Obelixbesitzer. Und die wunderbare Wirtin, meine Freundin und der fröhliche Wirt meines Vertrauens.
„Tequila Slammer wie damals!“ Es war tatsächlich meine Idee. Das Wäschereischild, das auf die Vorbesitzer des Souterrains hinweist, hängt noch immer über der Küchentür. Darunter das Wandgemälde, auch die dunklen Kredenzen, es ist alles wie immer. Auf der Klotüre am Damenklo steht noch immer „Meine Großmutter hat immer gesagt, es is egal, wie a Mann aussieht, a Mann muss es sein.“ Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Die Zeiten verschwimmen. Aber das mag auch am Schnaps liegen.
Und dann der Herr Lizzy. Stets war er der erste Gast und einer der letzten. Er hatte ein Clown-Gesicht und liebte es Wortgefechte mit mir vom Zaun zu brechen. Er konnte einiges vertragen. Nicht vom Leben aber an Alkohol. Bis zu den Abend, als ihm Insekten über Arme und Körper und Bar krabbelten. Noch in der Nacht brachte ihn der Wirt auf die Baumgartner Höhe. Als er wieder kam, trank er regelmäßig Tee in der Turtl'schen Küche, um nicht im Hummel in Versuchung geführt zu werden. Im G-Punkt passte man auf. Und alle tranken ein wenig weniger. Und machten gemeinsam alkoholfreie Monate. Aber ohne Schnaps war das Knofeln halb so lustig. Der Herr Lizzy hat dann irgendwann wieder zu trinken begonnen und ist gestorben.
Liebe und Drama. Ganz große Liebe und ganz großes Drama. Und spielen, Knofeln, Theater, mit den Herzen. In der Wohnung der Mock Turtle stand im einzigen Zimmer ein knarrendes Messingbett, ein Bett wie aus einem französischen Film. Am Fußende ein rotes Telefon mit Anrufbeantworter. An der Wand ein Teppich. Sie wohnte Parterre in einer Seitengasse und saß oft der breiten Fensterbank zu lesen und zu lernen. Einmal ist ihr so ein Jugendfreund zufällig wieder begegnet, der neugierig den Ringelsocken betrachtete, der da aus dem Fenster ragte und erstaunt am anderen Ende das vertraute Gesicht entdeckte. Die Nacht endet im G-Punkt. Mit dem Moser war sie dort. Alle schleppte sie hin. Und nicht alle waren willkommen, manche wurden von den Haustieren gnadenlos verbissen. Den Mann mochten sie.
„Ich hab‘s gehört“ sagt der Fraggle und nickt verlegen. Ich sage meinen üblichen Text. „Ihr wart ein einmaliges Paar und eure Hochzeit…““Jetzt will er sicher erst recht nicht heiraten“, sagt seine Freundin
„Nein - es war gut“, versichere ich: „Aber es war.“
Und dann tanze ich weiter und lache und flirte und alles ist wie es immer war. Schön. Nur der Weg nach Hause ist länger.
Nur mehr 80prozentiger Rum – für Feuerzangenbowle angeschafft – stand im Regal und im Ghettoblaster drehten sich die Pogues und Jonathan Richman. Hinter dem Lichthof wohnte ein Schauspieler, damals noch nicht Serienheld im Helicopter. Manchmal saß er mit der Turtle in dieser Küche und aß ihren Apfelstrudel. Die Wohnung lag nicht weit entfernt von dem Lokal im Souterrain mit dem eigenartigen Namen, wo das Wohnzimmer der Mock Turtle war. Leben an der Bar, Leben in der Nacht, Leben nicht zu Hause und doch daheim. Vom Stammgast avancierte die Turtle ins Team und kehrte schließlich zum Stammgastdasein zurück. Und dann?
„Wir kennen uns sicher von früher“, meint die hübsche junge Frau an der Bar mit blauschwarzem Haar, die mit dem Geburtstagskind in der Schule war. „Ich war schon ewig nicht mehr da.“ „Irgendwann ist man raus gewachsen“, sind wir uns einig. „Du warst früher auch im G-Punkt?“ fragt der Regisseur heiterer Filmchen, in deren einer ich eine Gastrolle übernehmen durfte. „Hinter der Bar war eine meiner besten Bühnen…“ Dann kennen wir uns von früher…“Wann ist früher?“ „Vor zehn Jahren?““Dann kennen wir uns von jetzt.“
Vielleicht war es in jener Maturanacht, als der Veterinärstudent mit dem zweifarbigen Bart auf meinem Wäschegestell zusammengebrochen ist, vielleicht in einer anderen.Die Wohnung der Mock Turtle und die Küche im Speziellen war Endstation einiger Nächte oder immer wieder Endstation dieser einzigen langen Nacht aus der die Jahre damals zu bestehen scheinen. Im Lichthof graute der Morgen. Sicher es gab auch Tage an der Uni, Theateraufführungen, Vorträge, Kino, Konzerte, Unmengen kluger Bücher, und Stundenlange Diskussionen. Aber es gab auch diese einzige Nacht im Souterrain. If you close the door. Sperrstundmusik.
Mein bäriger Freund ist gekommen, Harley-Fahrer im stets gleichen schwarzen Lederoutfit mit Kinderseele. Wir stoßen an und ich spüre seine brummige Herzlichkeit wie einst. Und auch seine Sorge.
Oft hat er Turtle gerettet vor aufsässigen Gästen, aufdringlichen Affen, zu viel Alkohol oder ihr selbst. Ich glaube er hat die Mock Turtle auf eine sehr schöne Art geliebt. Und an der Bar saßen die Haustiere: Der Trafikant mit dem Wiener Schmäh, der immer wie ein Trafikant aussah. Die hager-schöne einsame Ärztin. Die dralle, lachende Blondine. Der stets traurig-jammernde Smeagol. Der coole Engländer. Der sensible Maler. Der Ritter von der traurigen Gestalt. D’Artagnan. Die Ratte. Der zynische Journalist. Friends and Lovers. Der Märchenprinz und seine Schöne. Das Gucki und die erste und die zweite große Liebe. Die Obelixbesitzer. Und die wunderbare Wirtin, meine Freundin und der fröhliche Wirt meines Vertrauens.
„Tequila Slammer wie damals!“ Es war tatsächlich meine Idee. Das Wäschereischild, das auf die Vorbesitzer des Souterrains hinweist, hängt noch immer über der Küchentür. Darunter das Wandgemälde, auch die dunklen Kredenzen, es ist alles wie immer. Auf der Klotüre am Damenklo steht noch immer „Meine Großmutter hat immer gesagt, es is egal, wie a Mann aussieht, a Mann muss es sein.“ Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Die Zeiten verschwimmen. Aber das mag auch am Schnaps liegen.
Und dann der Herr Lizzy. Stets war er der erste Gast und einer der letzten. Er hatte ein Clown-Gesicht und liebte es Wortgefechte mit mir vom Zaun zu brechen. Er konnte einiges vertragen. Nicht vom Leben aber an Alkohol. Bis zu den Abend, als ihm Insekten über Arme und Körper und Bar krabbelten. Noch in der Nacht brachte ihn der Wirt auf die Baumgartner Höhe. Als er wieder kam, trank er regelmäßig Tee in der Turtl'schen Küche, um nicht im Hummel in Versuchung geführt zu werden. Im G-Punkt passte man auf. Und alle tranken ein wenig weniger. Und machten gemeinsam alkoholfreie Monate. Aber ohne Schnaps war das Knofeln halb so lustig. Der Herr Lizzy hat dann irgendwann wieder zu trinken begonnen und ist gestorben.
Liebe und Drama. Ganz große Liebe und ganz großes Drama. Und spielen, Knofeln, Theater, mit den Herzen. In der Wohnung der Mock Turtle stand im einzigen Zimmer ein knarrendes Messingbett, ein Bett wie aus einem französischen Film. Am Fußende ein rotes Telefon mit Anrufbeantworter. An der Wand ein Teppich. Sie wohnte Parterre in einer Seitengasse und saß oft der breiten Fensterbank zu lesen und zu lernen. Einmal ist ihr so ein Jugendfreund zufällig wieder begegnet, der neugierig den Ringelsocken betrachtete, der da aus dem Fenster ragte und erstaunt am anderen Ende das vertraute Gesicht entdeckte. Die Nacht endet im G-Punkt. Mit dem Moser war sie dort. Alle schleppte sie hin. Und nicht alle waren willkommen, manche wurden von den Haustieren gnadenlos verbissen. Den Mann mochten sie.
„Ich hab‘s gehört“ sagt der Fraggle und nickt verlegen. Ich sage meinen üblichen Text. „Ihr wart ein einmaliges Paar und eure Hochzeit…““Jetzt will er sicher erst recht nicht heiraten“, sagt seine Freundin
„Nein - es war gut“, versichere ich: „Aber es war.“
Und dann tanze ich weiter und lache und flirte und alles ist wie es immer war. Schön. Nur der Weg nach Hause ist länger.
katiza - 8. Mär, 22:18
9 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1865 mal erzählt
ConAlma - 8. Mär, 23:27
schön hast das erzählt.
katiza - 9. Mär, 14:14
Schön habe ich das erlebt, Frau Alma.
steppenhund - 9. Mär, 08:55
"Oft hat er Turtle gerettet vor aufsässigen Gästen, aufdringlichen Affen, zu viel Alkohol oder mir selbst. Ich glaube er hat die Mock Turtle auf eine sehr schöne Art geliebt. Und an der Bar saßen die Haustiere: Der Trafikant mit dem Wiener Schmäh, der immer wie ein Trafikant aussah. Die hager-schöne einsame Ärztin. Die dralle, lachende Blondine. Der stets traurig-jammernde Smeagol. Der coole Engländer. Der sensible Maler. Der Ritter von der traurigen Gestalt. D’Artagnan. Die Ratte. Der zynische Journalist. Friends and Lovers. Der Märchenprinz und seine Schöne. Das Gucki und die erste und die zweite große Liebe. Die Obelixbesitzer. Und die wunderbare Wirtin, meine Freundin und der fröhliche Wirt meines Vertrauens."
Das erinnert mich ein bisschen an Jörg Mauthe, an die Vielgeliebte und ihre unterschiedlichsten Freunde.
Als echter Egozentriker frage ich mich natürlich, wie ich da wohl beschreiben würde:)
Egal, wie laut es ist, die Musik, die ich an solchen Plätzen höre, ist:
http://www.youtube.com/watch?v=PuFwt66Vr6U
Und ich habe absichtlich diese verhustete Aufnahme gewählt, erstens weil ich Richter und seine Interpretation so mag und zweitens, weil mir der Kommentar so gut gefallen hat:
Such a poor guy, who admired Richter so much, though got coughing problems, still saved his money by not going to a doctor so he could have enough money to buy a ticket of Richter's concert.
Das erinnert mich ein bisschen an Jörg Mauthe, an die Vielgeliebte und ihre unterschiedlichsten Freunde.
Als echter Egozentriker frage ich mich natürlich, wie ich da wohl beschreiben würde:)
Egal, wie laut es ist, die Musik, die ich an solchen Plätzen höre, ist:
http://www.youtube.com/watch?v=PuFwt66Vr6U
Und ich habe absichtlich diese verhustete Aufnahme gewählt, erstens weil ich Richter und seine Interpretation so mag und zweitens, weil mir der Kommentar so gut gefallen hat:
Such a poor guy, who admired Richter so much, though got coughing problems, still saved his money by not going to a doctor so he could have enough money to buy a ticket of Richter's concert.
katiza - 9. Mär, 14:08
Ich frage mich auch, wie ich Sie beschrieben hätte, wären Sie damals als Haustier an der Bar gesessen, Herr Steppenhund. Für jetzt im Augenblick und als Dank für den schönen Link und die faszinierende Begründung nenne ich Sie Pianoman, Mr. Bösendorfer!
steppenhund - 10. Mär, 01:01
Mit dem Lied habe ich tatsächlich Assoziationsmöglichkeiten. Obwohl ich mir das eher nur wünschen kann, denn die Möglichkeit, unbekannte Menschen mit so einer Art von Spiel in eine andere Welt zu versetzen, habe ich nicht. Aber es gibt auch noch ein anderes Stück, dass sich in dem Kontext unmittelbar aufdrängt: http://www.youtube.com/watch?v=cuUDopD3y9E . Das ist ebenso ein Lieblingsstück von mir wie der Pianoman. Ich kannte übrigens die Einspielung und sie ist meine favorisierte.
MadProfessor - 9. Mär, 11:41
Schöne Zeitreise: Danke, dass ich sie lesen durfte ...
Manchmal gleiten die Zeiten auch durcheinander bzw. verschwimmen ineinander,
das macht nichts, denn Zeit ist relativ.
Time ain't nothing
Manchmal gleiten die Zeiten auch durcheinander bzw. verschwimmen ineinander,
das macht nichts, denn Zeit ist relativ.
Time ain't nothing
katiza - 9. Mär, 14:01
Oh, ich hab Sie gerne mitgenommen, Herr MadProf, Sie müssen wissen: Time is on my side....
Anousch - 18. Mär, 15:04
Es ist so schön mit dir durch deine Erinnerungen zu spazieren. Immer wieder, danke!
katiza - 22. Feb, 15:42
Wenn ich schon geahnt hätte
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe dich, mein Mann.
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