Tschernobyl
Wir waren ein kleines und ambitionierte Theaterlabor und wollten in einer großen Remise Absurdes zur Aufführung bringen. Verkappte Schauspielerinnen und Schauspieler wie ich, die zum Teil die Zeit bis zur nächsten Aufnahmeprüfung auf der Uni absaßen. Wir mussten einfach Theater spielen.
Jean Tardieu – Die Sonate und die drei Herren oder Wie spricht man Musik? War das Stück für das wir uns entschieden haben. Ich führte Regie. Aus den drei Herren waren drei Frauen geworden. Die sarkastische Mondgöttin aus Deutschland, die eigentlich Clownin werden wollte und musste, die rothaarige Marlene mit bäuerlichem Hintergrund, stets um den intellekt bemüht, heute beim Film und meine schrille Vorarlberger Freundin mit Retro Kleidern, schwarz umrahmten Augen und dramatischen Turbanen, nennen wir sie Audrey. Wir probten in meiner Wohnung in jenem April vor 25 Jahren und ich werde nie vergessen, wie die Clownin aufgelöst vor meiner Türe stand, fast eine halbe Stunde nach dem geplanten Probebeginn und ihren baldigen Tod prophezeite. Sie habe Spinat gegessen, der Tod sei ihr gewiss. Und so saßen wir – Drama-Queens im wahrsten Sinn des Wortes – auf dem abgesägten Bett in meinem Wohnzimmer und beruhigten sie und uns. Ob wir denn noch absurdes Theater spielen könnten angesichts des nahenden Endes der Welt, fragten wir uns, ganz Theaterwissenschaftsstudentinnen. Und dass wir spielen müssten, war uns doch klar. „Und wenn es das letzte ist“, meinte die Clownin. Und dann haben wir geprobt. Und es war die beste Probe jemals.
Am 27. Juni 1986 gegen neun Uhr abends öffneten sich die Hallen großen Tore der Eisenbahnremise mit mächtigen, bleiernen Ton. Von draußen, wo es dämmerte kamen drei Frauen in rotem, grünen und blauen Kleid und stellten sich im Dreieck auf.
Erster Satz: Largo
A: Erinnern Sie sich?
B: Ich erinnere mich zu C: Und Sie? Pause
C: Es begann mit einer großen Fläche.
B: Ja mit einer großen Wasserrfläche.
C: Einer großen Wasserfläche am Abend.
B: Dann war Stille. Pause
Und dann von neuem: es war eine große Fläche. Pause
C: Eine große Wasserfläche am Abend.
A: Ja so begann es mit einer großen Fläche. Pause.
War es undeutlich?
B: Ja, es war undeutlich.
C: Sehr undeutlich.
Nichts war zu erkennen.
B: Überhaupt nichts.
Übrigens gabs nichts zu sehen. Pause.
A: So gabs nichts zu sehen
B zu C: Und warum gabs nichts zu sehen?
C: Weil es nichts zu sehen gab. Pause.
A: Es war eine große Fläche.
B: Eine große undeutliche Fläche.
C: Eine große undeutliche Fläche am Abend.
Und so ging es weiter.
Das war Tschernoby für mich, Frau Frogg..
Jean Tardieu – Die Sonate und die drei Herren oder Wie spricht man Musik? War das Stück für das wir uns entschieden haben. Ich führte Regie. Aus den drei Herren waren drei Frauen geworden. Die sarkastische Mondgöttin aus Deutschland, die eigentlich Clownin werden wollte und musste, die rothaarige Marlene mit bäuerlichem Hintergrund, stets um den intellekt bemüht, heute beim Film und meine schrille Vorarlberger Freundin mit Retro Kleidern, schwarz umrahmten Augen und dramatischen Turbanen, nennen wir sie Audrey. Wir probten in meiner Wohnung in jenem April vor 25 Jahren und ich werde nie vergessen, wie die Clownin aufgelöst vor meiner Türe stand, fast eine halbe Stunde nach dem geplanten Probebeginn und ihren baldigen Tod prophezeite. Sie habe Spinat gegessen, der Tod sei ihr gewiss. Und so saßen wir – Drama-Queens im wahrsten Sinn des Wortes – auf dem abgesägten Bett in meinem Wohnzimmer und beruhigten sie und uns. Ob wir denn noch absurdes Theater spielen könnten angesichts des nahenden Endes der Welt, fragten wir uns, ganz Theaterwissenschaftsstudentinnen. Und dass wir spielen müssten, war uns doch klar. „Und wenn es das letzte ist“, meinte die Clownin. Und dann haben wir geprobt. Und es war die beste Probe jemals.
Am 27. Juni 1986 gegen neun Uhr abends öffneten sich die Hallen großen Tore der Eisenbahnremise mit mächtigen, bleiernen Ton. Von draußen, wo es dämmerte kamen drei Frauen in rotem, grünen und blauen Kleid und stellten sich im Dreieck auf.
Erster Satz: Largo
A: Erinnern Sie sich?
B: Ich erinnere mich zu C: Und Sie? Pause
C: Es begann mit einer großen Fläche.
B: Ja mit einer großen Wasserrfläche.
C: Einer großen Wasserfläche am Abend.
B: Dann war Stille. Pause
Und dann von neuem: es war eine große Fläche. Pause
C: Eine große Wasserfläche am Abend.
A: Ja so begann es mit einer großen Fläche. Pause.
War es undeutlich?
B: Ja, es war undeutlich.
C: Sehr undeutlich.
Nichts war zu erkennen.
B: Überhaupt nichts.
Übrigens gabs nichts zu sehen. Pause.
A: So gabs nichts zu sehen
B zu C: Und warum gabs nichts zu sehen?
C: Weil es nichts zu sehen gab. Pause.
A: Es war eine große Fläche.
B: Eine große undeutliche Fläche.
C: Eine große undeutliche Fläche am Abend.
Und so ging es weiter.
Das war Tschernoby für mich, Frau Frogg..
katiza - 16. Mär, 16:53
1 Kommentar - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1818 mal erzählt
steppenhund - 16. Mär, 21:14
Das war meines
das Eigentliche.
Zum eigentlichen Zeitpunkt hatte ich im gleichen Monat einen Sovjetunionjob angenommen. Und am 2.Mai musste ich wieder hinfahren. Mit meiner Frau machte ich Geheimcodes aus, wie die Strahlenbelastung in Wien verlautbart würde. In Moskau hatte ich nichts zu befürchten. Doch damals dachte ich, dass Kiew zu Moskau ungefähr wie Brunn zu Wien war. Ich hab wohl nie Angst, aber ich hatte Angst, die ich mir nicht eingestehen wollte. Das eigentliche Tschernobyl spielte sich aber erst kurze Zeit darauf ab. Das für mich wesentliche.
Zum eigentlichen Zeitpunkt hatte ich im gleichen Monat einen Sovjetunionjob angenommen. Und am 2.Mai musste ich wieder hinfahren. Mit meiner Frau machte ich Geheimcodes aus, wie die Strahlenbelastung in Wien verlautbart würde. In Moskau hatte ich nichts zu befürchten. Doch damals dachte ich, dass Kiew zu Moskau ungefähr wie Brunn zu Wien war. Ich hab wohl nie Angst, aber ich hatte Angst, die ich mir nicht eingestehen wollte. Das eigentliche Tschernobyl spielte sich aber erst kurze Zeit darauf ab. Das für mich wesentliche.
Trackback URL:
https://katiza.twoday.net/stories/14879313/modTrackback