Urlaubszeit: Zeitreisen
Ich hab mich nicht gleich erkannt. Auch später kaum. "Glaube, Liebe, Hoffnung" im Schulhof", sagt der Deutschprofessor. "Sind alle was worden", antworte ich. Und dann schau ich mich um – in den Augen der Professoren und MitschülerInnen, in den Gängen der Schule und finde nur wenige Spuren von mir. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier wohl gelebt aber kaum geliebt habe. Fremd bin ich mir, sind sie mir. Ich greife zur Kamera und setze sie zwischen mich und diese Welt. Das ganz lange Objektiv, das mich zwingt Distanz zu wahren und doch immer in die Tiefe geht.

Klick Klick Klick – so hole ich sie her zu mir und fange sie ein. Auf den Bildern finde ich die Gesichter der Heranwachsenden wieder. Mich sehe ich nicht – ich bin das Auge und muss so kaum Ohr sein, mein Mund muss nur sparsam Auskunft geben, selten Vermutetes bestätigen. Ich erzähle nichts vom Erstgeborenen, nichts vom großzügigen Freund, den Lebensmenschen, wenig von Arbeit, nichts vom Leben. Ja, ich bin noch immer glücklich verheiratet. Nein, ich hab keine Kinder. Ja, das wollte ich immer so.
Klick Klick Klick. Viele fehlen und die mir am nächsten sind, sind unscharf. Die Schulfreundin mit der ich einst den ersten Joint geraucht hatte am Grab von Jim Morrison in Paris. Heute hat sie vier Kinder und eine Karriere. Eine tolle Frau ist sie geworden - groß und gerade war sie schon immer - und doch möcht ich ihr Leben nicht leben.
Die andere Freundin aus der Ärztefamilie ist in jene Wohnung zurückgezogen, in der wir einst unsere Maturareise geplant hatten. Im Turmzimmer, unter uns das Musikzimmer, daneben das Wohnzimmer mit Regalen voller edlem Glas. Vaters Sammlung. "Als meine Familie zerfallen ist", sagt sie und für einen Augenblick ist mir, als wären die Regale mit all den kostbaren Fläschchen und Gläsern zu einem bunten Scherbehaufen zerbrochen. Ich erinnere mich an Neidgefühle, weil sie gemeinsam Hausmusik machten, gemeinsam ins Theater und ins Programmkino gingen, während bei uns Zuhause mein Kinderglück schon zersplittert war.
Und dann hatte ihr Vater eine Freundin, die Schwester bekam Magersucht, die Mutter besuchte ein Trommelseminar und sie kam mit Hundehalsband zum Maturaball. Jetzt hat sie zwei Kinder mit dem Schauspielerfreund und die alte Wohnung ihrer Eltern. "Ich sehe deine Eltern manchmal. Sie sehen so nett miteinander aus trotz allem", erklärt sie mir lächelnd. "Wie zwei Rottweiler, die sich ineinander verbissen haben und jetzt nicht mehr loskommen voneinander" würde ich ihr gerne sagen, aber der Deutschprofessor sitzt daneben und so sag ich nichts. Sie versteht trotzdem: "Es sieht zumindest so aus." Dann gehe ich. Die Eltern warten voll Sehnsucht.
Am nächsten Morgen verbeißen sich die Kampfhunde ineinander. Das alte Ritual, die alten Vorwürfe, ich kann den Text mitsprechen, wie bei einem Film, den man schon fast zu oft gesehen hat, tue es in Gedanken auch, das macht es leichter. Dann spaziere ich mit dem Vater durch den Heimatort. Noch mehr Zeitreise. Dort wo früher mein Fahrrad ein feuriger Rappe war und ich selbst Piratenkönigin, wo ich Maiskolben stahl und Waldtschick qualmte, wo ich später heimlich rauchte und unheimlich weinte, ist jetzt ein kleiner Park mit Ententeich und Gewürzgarten. Die Pestkapelle, die einst fast verborgen wohlig-gruselige Schauer bei mir auslöste liegt adrett herausgeputzt an einem kleinen Wegchen. Das Kartoffelfeld, auf dem ich mich einst mit dem General der Buben geprügelt hat – obwohl oder weil ich ihn insgeheim liebte – ist einer Wohnsiedlung gewichen. Vielleicht lebt er ja jetzt dort.
Es ist das erste mal, dass ich mit meinem Vater durch den Heimatdorf gehe. Das erste Mal seit meiner Erstkommunion war ich mit ihm in der alten Kirche, in der ich damals den Wunsch gefasst hatte, Märtyrerin zu werden. Dann ein Aperol-Spritz im neuen Forum. Ist der Mann dort drüben mit den beiden Kindern vielleicht der kleine Franzl von einst? Oder lächelt er nur weil ich lächle?

"Du riechst nach deinem Elternhaus", sagte der Liebste, als ich endlich wieder im vierten Stock ankomme. Der Zug voll Fans hatte Verspätung gehabt. Deutsche Autos in unserer Gasse. Ein letztes Mal jubelt die Fanzone in Hörweite.
Spanien ist Europameister. Ole!
Es hat funktioniert.
Eigenes leben
Wie sich Kommunionsfotos doch gleichen können, auch wenn ein paar Jahre dazwischen liegen!
Mir blieb von der Maturaklasse eine liebe Freundin - nein, sie wuchs mir erst danach; 's lag wohl an den gewählten Lebenswegen. Und ausgerechnet in Innsbruck ....
Oh ja...
Ach Frau Frogg,
Gut erzählt, Frau Katíza. Ja, wir haben nur unser Leben, oder besser: Wir HABEN UNSER Leben! Ohne "nur". Keines ist besser als das andere, obwohl auch ich immer wieder um mich blicken mag, wem es vielleicht besser gehen könnte - nein. Es IST GUT. Jeder Augenblick. Morgen lerne ich wieder dazu :-))
Falsch, Herr Nixcik,
'Näher', sagen Sie...! Dann riskiere ich noch einen Versuch und sage: Ganz vorne, das mittige Mädchen, das sind Sie!
Oder doch nicht? Die neben ihr links? Auch nicht?
Na, dann die ganz in der Mitte, die neben dem braven Buben mit der Fliege.
Es gibt eigentlich gar keine Anhaltspunkte, stelle ich jetzt fest; doch ab und zu muss auch das Raten ins Blinde wagen, oder? Gruesse von Audrii
Liebe Audrii,
das Raten muss sich wohl immer ein bissl ins Blinde wagen - auch wenn ich nur allzu gerne im Mittelpunkt stehe, bin ich in diesem Fall Keine der von Ihnen Vermuteten. Und nach rechts beuge ich mich nur ungern. Ich wäre natürlich neugierig, was Sie - und auch die anderen Ratenden - in diesem Fall zu ihren Vermutungen inspiriert hat. Also wie Sie raten, wenn Sie raten? Aus dem Bauch heraus? Aus meinen Worten schließend? Mit Ihrer Phantasie vergleichend?Haben Sie ein Bild von denene, die Sie gerne lesen?
Ich schon:
Herr Direktor Alberti hat ja seinen Zylinder dankenswerter Weise erst vor kurzem abgenommen und auch Frl. Anousch hat uns ihr Los offenbart; Frau Gaga geizt mit Bildern nicht, von Ihnen kennen wir aber nur Fragmente. Und auch mich kennen Sie zum Glück nur als Puzzle vom Kopf bis zum Fuß mit Zwischenstopp.
Aber ob all das durch Ihren Kopf geht, wenn Sie raten, kann ich nur raten...
Natuerlich suche ich zu jeder Stimme ein Bild. Wenn die Stimme sich aber nur schriftlich aeussert, kann ich mir die Stimme dazu nur einbilden. Daher ist eigentlich alles nur hoechst vage und den eigenen Erfahrungen und den Schluessen daraus zuzuschreiben.
Aber: es ergibt sich bald so etwas wie ein Charakterbild. Wenn Sie die Eintraege in einem Blog genau lesen und die einzelnen Informationen miteinander in Verbindung bringen, wird sich dieses auch immer mehr vervoellstaendigen, ohne dass es moeglich waere, diese Person – wuerde sie in einer konkreten Situation erscheinen – auch erkennen zu koennen.
Es ist ein Maskenspiel, das durch die Veroeffentlichung visueller Fragmente neuen Stoff bekommen kann, wie Sie es gerade praktizieren. Aber solange Sies nicht Hrn. Bux gleichtun – dessen Bild uebrigens sehr meinen Vorstellungen von ihm entspricht, werden Sie hinter dem von Ihnen aufgespannten Vorhang bleiben. Ich finde das schoen! Liebe Gruesse von Audrii
PS: Trotzdem wuerde ich – zum Beispiel – gern wissen, ob Ihr "Katiza" etwas mit Suedafrika zu tun hat.
Liebe Audrii,
auch ich finde das sehr schön und überaus reizvoll, das Spiel mit Fragementen hinter dem aufgespannten Vorhang - es ist wie ein Zerrspiegel, der einem manchmal Aspekte von einem selbst zeigt, die bisher verborgen lagen...und nein, Katiza hat mich ein stürzender Stern getauft und der Teufel hat's abgesegnet. Es war mir stets eine Art nom de guerre für Wortgefechte. Mit Katiza Cebekhulu hat das, glaub ich, nichts zu tun. Den Stern kann ich nicht mehr fragen, sein Licht ist erloschen...
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