Renovierung
Wir renovieren die Wohnung. Nach 15 Jahren wird ausgemalt. Das erledigt Herr G., ein alter KPÖ-Funktionär mit einer Leidenschaft für Kuba. Räumen müssen wir selbst. Und so wälzen wir unser Leben durch die hohen, großen Räume, vom Büro ins Wohnzimmer und zurück. Dabei wird aussortiert: Ich trenne mich von Lieblingsschuhen, die nicht mehr repariert werden können, von Pressunterlagen, die keinen mehr interessieren; ich werfe sogar Bücher weg, Musikkassetten mit Interviews, ohne sie ein letztes Mal auf dem einzigen Kassettenrekorder der Wohnung anzuhören (andere behalte ich, wohl wissend, dass ich auch sie wohl nie mehr hören werde, aber…), Filmbänder und Videos, Garantien und Gebrauchsanweisungen für Geräte, die es nicht mehr gibt, sogar Bücher; Hochzeitsanzeigen von längst Getrennten kommen ebenso ins Altpapier wie Geburtsanzeigen von Kindern, die schon zur Schule gehen, Weihnachtsgrüße und Postkarten, auch Partezettel von Menschen, die schon zehn Jahre tot sind, das fällt am schwersten, seltsamerweise, dazwischen Bilder, auf denen ich neben Menschen sitze, die ich noch nie gesehen habe.
Das alles muss zügig gehen, weil ich sonst Mitleid bekomme mit den Dingen, mit CDs, Kassetten, ungeliebten Geschenken, Büchern und alten Schuhen. Schuhe gebe ich in die Humanabox, Taschen, Tonträger und lieb gemeinten Kitsch stelle ich auf den Gang in der Hoffnung, dass sie doch irgendwo weiterleben, vielleicht sogar geliebt werden.
"Befreiend", sagen die Leute, wenn ich ihnen davon erzähle und ich stimme ihnen zu. Bald ist mein Leben wieder wie frisch gestrichen, weiß mit zehn Tropfen Ocker.

Das alles muss zügig gehen, weil ich sonst Mitleid bekomme mit den Dingen, mit CDs, Kassetten, ungeliebten Geschenken, Büchern und alten Schuhen. Schuhe gebe ich in die Humanabox, Taschen, Tonträger und lieb gemeinten Kitsch stelle ich auf den Gang in der Hoffnung, dass sie doch irgendwo weiterleben, vielleicht sogar geliebt werden.
"Befreiend", sagen die Leute, wenn ich ihnen davon erzähle und ich stimme ihnen zu. Bald ist mein Leben wieder wie frisch gestrichen, weiß mit zehn Tropfen Ocker.

katiza - 19. Aug, 07:42
14 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1259 mal erzählt
books and more - 19. Aug, 08:30
Wink des Schicksals
Vielleicht ist Ihr Beitrag, liebe Frau Turtle, genau das Buch, das den Stapel zum Umfallen bringt. Denke nämlich darüber nach, diese Woche selbst ... Das Büro bräuchert einen neuen Anstrich. Weiß. Vielleicht mit ein paar Tropfen Maisgelb. Die Dübellöcher wären ja schon vergipst ...
katiza - 19. Aug, 08:49
Bumm,
und wieder ist ein Bücherstapel eingestürzt... war das schon Ihrer? Oder ist der für wen anderen bestimmt?
books and more - 19. Aug, 08:53
Meiner war's nicht! Und jetzt sollte ich wohl mal wieder ... Die Farbe will schließlich auch bezahlt werden ... Und denken Sie dran: Wer beim ABKLEBEN schludert und meint, er spart Zeit ...
katiza - 19. Aug, 11:56
Das Abkleben erledigt unser Kuba-Kommunist, der schludert nicht.
Überhaupt arbeitet er nach dem Che Guevara Prinzip: "Bleib realistisch, probier das Unmögliche!" - eine wunderbare Einstellung für Renovierungsarbeiten aller Art.
Überhaupt arbeitet er nach dem Che Guevara Prinzip: "Bleib realistisch, probier das Unmögliche!" - eine wunderbare Einstellung für Renovierungsarbeiten aller Art.
ConAlma - 19. Aug, 12:05
Mitleidslos ans Sortieren gehen - wohl notwendig, wenn am Ende Befreiung stehen soll.
Aber wohin mit der Sentimentalität?
Meine dafür vorgesehene Schachtel platzt bald.
Ausaufräumen steht auch bei mir an ....
Aber wohin mit der Sentimentalität?
Meine dafür vorgesehene Schachtel platzt bald.
Ausaufräumen steht auch bei mir an ....
katiza - 19. Aug, 12:28
Liebe Frau Alma,
die echten Sentimentalitäten füllen mehr als eine Schachtel und finden immer wieder ihr Plätzchen jedem Ausräumen zum Trotz - so wie die (wohl rare) Kassette der 74 Tapecollectors, der Band eines längst vergangenenen Geliebten und die eine oder andere exquisite Musikzusammenstellung des Erstgeborenen, ebenfalls auf historischem Tonträger. Die falschen lagerten aber auch noch da oder dort und da war es wahrlich befreiend, sie weg zu werfen. Alles in allem ein wenig Naikan im Naikanfreien-Sommer - Zimmer aufräumen nicht nur im übertragenem Sinn
walhalladada - 19. Aug, 12:18
Umziehen, umziehen, umziehen...Das ist das Geheimrezept, damit es überhaupt erst gar nicht nicht zu solch Sammelsurien des Überflüssigen kommen kann! Ich wohne jetzt bereits im sechsten Jahr am gleichen Ort - solange habe ich es noch nie geschafft und das Resultat...? Wenn ich mich so umschaue, dann sehe ich mich auf dem besten Wege ein 'Messie' zu werden :)
ConAlma - 19. Aug, 12:22
Ist mir in der halben Zeit gelungen ... ;-)
diefrogg - 20. Aug, 11:02
Da würde ich...
aber gerne ein bisschen stöbern! Um für mein Büchergestell irgendeine abgelegte Trouvaille zu ergattern... oder so.
katiza - 20. Aug, 11:44
Oh Frau Frogg,
was wäre ich dankbar, Ihnen das eine oder andere für Ihr Büchergestell anzutragen...ich hätt noch ein paar Lehrbücher für das Gastgewerbe anzubieten (kann wer in der Blogosphäre "Service-Die Grundlagen", "Service - Die Getränke", "Service - die Meisterklasse", "Housekeeping", "Francais per las restauration et l'hotellerie" und Bruno Hinterwirth: "Getränke", "Servierkunde", "Service im Gastgewerbe", "Servieren", "Servieren für Köche "und "Getränke&Menükunde für Restaurantfachleute" - quasi neu - gebrauchen, versende gerne gegen Portoersatz!) und hübsche (aber auch großformatige) Austriaca (tja, der Lohn der Rezensionstätigkeit) aber vielleicht schaffen Sie und Herr T. es in WM-freien Zeiten nach Wien, dann drück ich ihnen "Mystisches Wien" in die Hand...
sumuze - 21. Aug, 16:06
Das Wort 'Partezettel'
lese ich hier zum ersten Male. Ein sehr schön direktes Wort, verglichen mit dem (klein-)deutschen 'Todesanzeige' (das mir sehr witzig vorkommt, sehr deutsch - es muß formell angezeigt werden, was geschieht) oder gar der 'Traueranzeige' (mir eher noch seltsamer anmutend, da es das Wort 'Freudenanzeige' als Gegenstück zur 'Geburtsanzeige' nicht gibt). Partezettel ist einfach und sagt, um was es geht. Wie auch 'death notice' oder 'necrologio'.
Im Übrigen liest sich der Bericht über das Renovieren - besonders in den vom Wegwerfen handelnden Teilen - für mich wie ein wahres Horrorstückchen. Obwohl ich, so glaube ich, schon einmal etwas weggeworfen habe. Ich komme im Moment aber nicht drauf, was es war..
Im Übrigen liest sich der Bericht über das Renovieren - besonders in den vom Wegwerfen handelnden Teilen - für mich wie ein wahres Horrorstückchen. Obwohl ich, so glaube ich, schon einmal etwas weggeworfen habe. Ich komme im Moment aber nicht drauf, was es war..
katiza - 21. Aug, 20:16
Ich mag es auch dieses Wort: Partezettel - und Sterbebildln, letztere sind es in meiner Ursprungsheimat Tirol nach wie vor gang und gäbe. Meine Mutter hat, seit ich denken kann, ihr Wunsch-Sterbebild in der Schreibtischlade - im Falle ihres von ihr stets prognostizierten baldigen Ablebens sofort einsetzbar. Die Photoshop-Künste des Schwiegersohns haben ihr übrigens in Hinblick darauf große Hoffnungen gemacht.
Im Übrigen ist das auch für mich ein Horrorstückchen und Wegwerfen bereitet mir in den meisten Fällen fast körperliche, auf alle Fälle seelische Schmerzen.
books and more - 22. Aug, 20:50
Schöner Link, liebe Katiza, auf die Partezettel und Bildln! Das erinnert mich an den Friedhof des Südtiroler Bergdorfs, wo ich viele Sommerferien verbracht habe und oft auf dem Friedhof spazieren war. Mauer, Zypressen, Grillen zwischen unbekannten Wiesenblumen. Und eben Gräber mit fotografiegeschmückten Kreuzen oder Grabsteinen - mir bis dahin völlig unbekannt. Je älter ich werde, desto mehr gefällt mir das. Ein wirklich persönliches Angedenken. Denn darum geht es doch, oder? Ein möglichst persönliches, dieses konkrete eine Leben dieser Person würdigendes Angedenken ...
EDIT: Warum sonst Einzelgräber? Warum sonst nicht ein großer leerer Kiesgarten mit EINEM Felsen oder sonstwas in der Mitte? Oder ein Kiesgarten ohne alles. Kreismuster drin oder whatever.
EDIT: Warum sonst Einzelgräber? Warum sonst nicht ein großer leerer Kiesgarten mit EINEM Felsen oder sonstwas in der Mitte? Oder ein Kiesgarten ohne alles. Kreismuster drin oder whatever.
katiza - 23. Aug, 13:14
Oh ja,
meine Mutter weiß auch genau, wo sie liegen möcht: Nicht im Dorf, wo sie lebt, sondern lieber am Friedhof ihrer Ursprungsheimat: "In R. kenn ich ja niemanden..." Andererseits hat sie auch während der Urlaube meiner Kindheit den einene oder anderen Berg- oder Meeresfriedhof als ideal auserkoren. Auch Südtiroler Friedhöfe (Kaltern z.B.) wären infrage gekommen, wären "die Walschen nit nur so falsch."
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