Gehört sich das?
„Manche Lieder erreichen mich unweigerlich und obwohl ich es nicht will, kann ich gar nicht anders, als sie hinein zunehmen“, entschuldigt sich der Erstgeborene, als Cliff Richard ertönt – auf Deutsch. Wir hören uns die 1960er Jahre des Jahrhundertprojekts an. In einer Fiebernacht hat er sie umgeschnitten und war dem Dreijährigen begegnet, der er einmal war. In seinen Augen sehe ich den kleinen Buben, der „Man gratuliert mir“ und „The Birds & the Bees“ mitsingt und sich wohl damals schon in das Medium Schallplatte verliebt hat.
Stunden und Nächte schneidet er an den 100 Jahren, seit Jahren schon. Sie sind ihm Zwang und Therapie, Lebenswerk und Ziel. Immer wieder kurz vor dem Abschluss, erreichen ihn dann wieder Schallplatten und Tonschnipsel, die eine Neuordnung notwendig machen – manchmal aus tiefster Kindheit. „Eine Art Psychoanalyse per Revox“, mutmaße ich. Denn auch ich liebe die Bänder, die mir großes Kopfkino bescheren und immer neue Erinnerungsschichten frei legen. Die 1960er also, Zeit der Zeugung und Geburt, das kleine Mädchen entdeckt die Welt. Udo Jürgens - muss ja doch sein, auch patriotisch - und die junge Mireille Matthieu. O-Töne lassen vor meinem inneren Auge die mächtigen, alten Radiogeräte meiner Kindheit entstehen. Bei der Großmutter in Wolfsberg stand so eines und darauf ihre Glasmenagerie: Tierfamilien aus Murano-Glas, die ich nicht angreifen durfte, sollte und die doch so verlockend waren. Ich sehe sie und spüre meine Finger auf den kühlen, weißen Tasten des Radioapparats, zwischengeparkt, um sie von den begehrten Figürchen fern zu halten. Die Sonne scheint durchs Fenster herein. Wohnküchen tauchen auf, der fliegende Teppich und die Gesichter von Spielkameraden. Und dann ergreift uns Birgit Nilsson, das Fremde im Vertrauten, immer wieder Klassik in den 100 Jahren, der wir, der Erstgeborene und ich, uns ganz demütig nähern. Dazwischen Gespräche, Dialoge mit Ehrlichkeit, Witz und Sicherheit artverwandter Wesen, stets achtsam geführt, wissend um die Wunden des anderen.
Diese Stunden des gemeinsamen Hörens am gelben Sofa sind mir unendlich kostbar. Sie unterbechen sinnlose Gedankenkreisläufe und lösen Angst, Schmerz und Sehnsucht auf im Klang der 100 Jahre. Mehr als ein Leben gehört uns.
Und wieder Worte.

Stunden und Nächte schneidet er an den 100 Jahren, seit Jahren schon. Sie sind ihm Zwang und Therapie, Lebenswerk und Ziel. Immer wieder kurz vor dem Abschluss, erreichen ihn dann wieder Schallplatten und Tonschnipsel, die eine Neuordnung notwendig machen – manchmal aus tiefster Kindheit. „Eine Art Psychoanalyse per Revox“, mutmaße ich. Denn auch ich liebe die Bänder, die mir großes Kopfkino bescheren und immer neue Erinnerungsschichten frei legen. Die 1960er also, Zeit der Zeugung und Geburt, das kleine Mädchen entdeckt die Welt. Udo Jürgens - muss ja doch sein, auch patriotisch - und die junge Mireille Matthieu. O-Töne lassen vor meinem inneren Auge die mächtigen, alten Radiogeräte meiner Kindheit entstehen. Bei der Großmutter in Wolfsberg stand so eines und darauf ihre Glasmenagerie: Tierfamilien aus Murano-Glas, die ich nicht angreifen durfte, sollte und die doch so verlockend waren. Ich sehe sie und spüre meine Finger auf den kühlen, weißen Tasten des Radioapparats, zwischengeparkt, um sie von den begehrten Figürchen fern zu halten. Die Sonne scheint durchs Fenster herein. Wohnküchen tauchen auf, der fliegende Teppich und die Gesichter von Spielkameraden. Und dann ergreift uns Birgit Nilsson, das Fremde im Vertrauten, immer wieder Klassik in den 100 Jahren, der wir, der Erstgeborene und ich, uns ganz demütig nähern. Dazwischen Gespräche, Dialoge mit Ehrlichkeit, Witz und Sicherheit artverwandter Wesen, stets achtsam geführt, wissend um die Wunden des anderen.
Diese Stunden des gemeinsamen Hörens am gelben Sofa sind mir unendlich kostbar. Sie unterbechen sinnlose Gedankenkreisläufe und lösen Angst, Schmerz und Sehnsucht auf im Klang der 100 Jahre. Mehr als ein Leben gehört uns.
Und wieder Worte.

katiza - 6. Feb, 18:40
16 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1039 mal erzählt
testsiegerin - 6. Feb, 18:56
Ich wusste, dass sie wiederkommen. Und freu mich darüber.
Bitte, verlieren Sie nicht die Hoffnung.
Bitte, verlieren Sie nicht die Hoffnung.
katiza - 7. Feb, 11:02
Nein, nein, auch wenn ich immer wieder alles mögliche verliere, die Hoffnung nicht ... und auch die anderten Dinge finde ich meistens wieder...
steppenhund - 6. Feb, 19:09
Mehr als ein Leben gehört uns
Aber das ist eine Lebeschuld. Wir müssen sie schon selbst leben, sonst gehört uns vielleicht nicht einmal das eine.
Udo Jürgens: 17 Jahr hat mir eigentlich besser gefallen und ich habe ein Bild vor mir, wie ich mit einer Sechzehnjährigen auf der alten Donau segeln war. Die war auch blond und sehr schön.
Mirelle Matthieu: Der Haarschnitt, der im Video gezeigt ist, war das modernste, was es gab. In Raumschiff Orion war das die Frisur der Zukunft.
Birgit Nilsson: unvergesslich für mich in der Tristaneinspielung mit Windgassen unter Böhm. Bei der Tosca-Arie reichen 2 Takte, um mich in das Wohnzimmer meiner Eltern zurück zu versetzen und den Geruch der Widerstandslackierung von Philips-Widerständen in der Nase zu haben.
Aber wie gesagt, man muss die Leben leben.
Aber das ist eine Lebeschuld. Wir müssen sie schon selbst leben, sonst gehört uns vielleicht nicht einmal das eine.
Udo Jürgens: 17 Jahr hat mir eigentlich besser gefallen und ich habe ein Bild vor mir, wie ich mit einer Sechzehnjährigen auf der alten Donau segeln war. Die war auch blond und sehr schön.
Mirelle Matthieu: Der Haarschnitt, der im Video gezeigt ist, war das modernste, was es gab. In Raumschiff Orion war das die Frisur der Zukunft.
Birgit Nilsson: unvergesslich für mich in der Tristaneinspielung mit Windgassen unter Böhm. Bei der Tosca-Arie reichen 2 Takte, um mich in das Wohnzimmer meiner Eltern zurück zu versetzen und den Geruch der Widerstandslackierung von Philips-Widerständen in der Nase zu haben.
Aber wie gesagt, man muss die Leben leben.
katiza - 7. Feb, 11:08
Ich weiß, ich weiß, Herr Steppenhund, das mit dem selber leben und mit der Lebeschuld - Tosca hat es im Wohnzimmer meiner Eltern nie gespielt, nach und nach erschließen mit musikalisch gebildetere Freundinnen und Freunde die Klassik, aber ehrlich gestanden erfreuen mich die ungeführten, vom Lauf der Zeiten willkürlich in unsere Ohren katapultierten Entdeckungen mit dem Erstgeborenen mindestens ebenso - neulich Satie.....
steppenhund - 7. Feb, 12:39
Ja, in den Satie muss ich nicht erst hinein hören. Der ist sozusagen intus, obwohl ich ihn auch erst mit 40 Jahren kennen gelernt habe. Dabei habe ich damals praktisch den gesamten Ravel schon "besessen". (D.h. jedes Stück nach ein paar Takten erkennen können.)
Aber schade - oder vielleicht gerade nicht schade -, wenn Sie jetzt nicht Ö1 gehört haben. Die Aufführung hat soviel Freude verstrahlt.
Aber schade - oder vielleicht gerade nicht schade -, wenn Sie jetzt nicht Ö1 gehört haben. Die Aufführung hat soviel Freude verstrahlt.
katiza - 7. Feb, 13:01
Schon schade wegen der Matinee, ein wenig Freudenstrahlen hätt ich brauchen können - aber zwischen einem Schweinshaxerl im Rohr und der Simulierung von Arbeit blieb kaum Zeit. Als musikalisch und Klavierkundiger, Herr Steppenhund, welchen Satie-Interpreten, welche Interpretin des Klavierwerks würden Sie mir denn ans Herz legen?
steppenhund - 7. Feb, 13:09
letzter Eintrag vorm Abrauschen
Ich werde nachdenken. Im Prinzip ist der Interpret bei Satie egal. Er darf nur nicht romantisieren (meine Anschauung). In dem Fall sind sogar Japanerinnen recht gut. Ja, ich würde einen Franzosen, Französin oder Japanerin vorschlagen. Auf youtube ist z.B. diese Aufnahme recht schön (obwohl gerade die recht romantisch klingt):
http://www.youtube.com/watch?v=PLFVGwGQcB0&feature=PlayList&p=B115535627059CB3&index=0&playnext=1
Da steht auch ziemlich viel Text in der Beschreibung bei.
Aldo Ciccolini ist auch sehr gut vertreten. So würde ich selbst interpretieren:
http://www.youtube.com/watch?v=Lvqoqjwfv-c
http://www.youtube.com/watch?v=PLFVGwGQcB0&feature=PlayList&p=B115535627059CB3&index=0&playnext=1
Da steht auch ziemlich viel Text in der Beschreibung bei.
Aldo Ciccolini ist auch sehr gut vertreten. So würde ich selbst interpretieren:
http://www.youtube.com/watch?v=Lvqoqjwfv-c
steppenhund - 13. Feb, 21:31
Nachtrag: heute habe ich Noten entdeckt, die ich einmal aus dem Internet ausgedruckt habe. Zur Not spiele ich's mir halt selber:)
Anousch O. - 6. Feb, 19:11
Ich habe gerade, dies hier gesucht und gefunden. Eigentümlich! Ich höre mal weiter...
katiza - 7. Feb, 11:10
Hören Sie nicht auf, meine liebe Anousch...
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf. - Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
Und hört im Herzen auf zu sein.
books and more - 7. Feb, 12:03
Ja, die alten Radios und die 'alte' Musik, die einen durch die Zeit transportiert.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen, herzlich, Ihr
Books
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen, herzlich, Ihr
Books
katiza - 7. Feb, 15:49
Das wusste bereits die schöne Adrienne, Herr Direktor Alberti....
walhalladada - 7. Feb, 14:03
Die kathartische Wirkung der Musik ist nicht zu unterschätzen, liebe Katiza! Also, wenn mich Sorgen plagen, hör ich immer welche :-)
katiza - 7. Feb, 15:47
Ich auch und koch ein wenig ....im eigenen, süßen Tränensaft...
Jossele - 9. Feb, 11:17
Mehr als ein Leben gehört uns ...
Teilhaben an Vielem, Hereinholen, Mitgehen.
... und dann doch Selbst sein/werden.
(Es kann gehen, weil Was wir daraus machen ist unseres, und das ist nicht nur die Summe vieler Teile)
Ps.: Ich hoff´, im Jahrhundertprojekt kommt die Callas nicht zu kurz.
Teilhaben an Vielem, Hereinholen, Mitgehen.
... und dann doch Selbst sein/werden.
(Es kann gehen, weil Was wir daraus machen ist unseres, und das ist nicht nur die Summe vieler Teile)
Ps.: Ich hoff´, im Jahrhundertprojekt kommt die Callas nicht zu kurz.
katiza - 9. Feb, 17:04
Trackback URL:
https://katiza.twoday.net/stories/6176372/modTrackback