Kur Schatten
Wie wundervoll die Kurnotizen der toll3sten Ba - jeden Morgen warte ich darauf. Irgendwann dazwischen träumen wir von Kurprogrammen zu dritt. Immerhin hat auch die toll3ste Be Erfahrungen mit Kurdu gesammelt. Ich nicht. Ich habe zwar einige Artikel darüber geschrieben und redigiert, welch wichtige Errungenschaft die Kur im Speziellen und das Gesundheitswesen im Allgemeinen für die arbeitenden Massen sind, aber von Ein(bis zwei) Personen Unternehmen war da nicht die Rede. In Kurdingen sieht es für uns Amici der SVA schattig aus. Ja, sicher, vielleicht hätte die Ärztin meines Vertrauens das gebacken bekommen, aber wann hätte ich gehen sollen? Urlaub war immer dann, wenn die Kinder der arbeitenden Massen um mich Ferien hatten. Kur hätte wohl meine Job gefährdet.
Kur ist was für Weicheier, dachte ich – ziemlich neidig. Kur ist nichts für Weicheier, lese ich täglich nach, und auch andere Eier sollten sich hüten. Von Eiern verstehen wir was, wir Toll3sten, die haben wir, Stockweise sozusagen. „Kur kann ich nicht“, sagte ich den Mit3sten: „Kur kenn ich nicht…“ Und doch bin ich jetzt auf Kur. Entziehungskur. Eltern-Entziehungskur, Kindheitsentziehungskur, Familien-Entziehungskur. Kalter Entzug, in der Küche bei offenem Fenster, Substitute zur Hand. Morgens der gefrorene Truthahn, fett und ironischerweise gänsehäutig auf meiner Brust. Die Tauben gurren, der Hass auf ihren Liebesgesang hat die Mutter und den Nachbarn vereint. In einer Schublade liegen „Piraten“ sie zu verjagen. Ein lauter Knall und es ist still im Garten. Ein Schuss.
Morgens schüttle ich den Truthahn von meiner Brust und beginne mit einem sportlichen Treppenlauf in den Keller, Sauna aufheizen, noch eine Viertelstunde, dann kann ich duschen. Frühstück gibt es bei den Nachbarn, Eier nicht nur Sonntags, jeden zweiten Tag, weil ich mich auch im Essensentzug übe. Weg damit, mit dem Gepäck, das auf den lädierten Nacken drückt.
Fotos sortieren – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins…Plastiksackerl. Nicht schlecht, nur ohne Menschen, Landschaften. Mein Vater hat schöne Fotos gemacht. Auf manchen – denen, die sie nicht erwischt und zerrissen hat, - lächelt meine Mutter im Vordergrund. Erst jetzt bemerke ich die Ähnlichkeiten zwischen uns. Sie wohl auch, wie sich hin und wieder aus der Ordnung der Bilder erahnen lässt. Je länger ich sortiere in drei mächtige Kisten, umso mehr entsorge ich. Nur die ganz alten Bilder, bei denen ich die Photographierten nur erahnen kann, verschone ich, selbst wenn sie nur Landschaften zeigen oder die Seufzerbrücke.
Meine Maturazeugnisse und die des Vaters ähneln sich, beide haben wir viel geschrieben, auch viel Wissen verraten und blieben doch zu sehr im Ungefähren. Urkunden, Beileidsschreiben, Postkarten. Eine Königin, eine Prinzessin, Präsidenten und Weltmeister. Ein Astronaut in meinem Kinderzimmer. Die elegante Mutter, der charmante Vater, die schöne Familie und die andere mit weniger Bildern, nicht weniger schön. Und ich zwischen Angst und Sehnsucht, Entzug, Phantomschmerzen, Seelenweh.
Dazwischen Besuch bei der Freundin, auch sie räumt auf, entrümpelt, gemeinsam mit den Kindern. Ich nippe an einem Glas herrlichen Weins und lausche unter dem Blitzen ihrer Augen ihren Schlachtplänen. Wir tauschen Rotes und Gedanken, sie bereitet mir ein Essen zu, das ihr helfen soll, die Untiere im Zaum zu halten, mir hilft es gegen die Kälte der Familie. Alles erscheint relativ an diesem Abend, in dieser Vollmondnacht. Alles ist relativ. Alles ist. Alles.
Und doch dreht sich Frau Lot am nächsten Tag wieder um. Ich blättere durch die Gesichter, der Kinder, die wir waren. Manchmal halte ich inne, wenn die Filme in meinem Kopf zu laufen beginnen. Manche Namen tauchen abrupt auf, auf anderen Photographien sehe ich mich neben Leuten, die ich nie zuvor gesehen habe. Die Kleider erkenne ich meistens, auch wenn sie längst vergessen schienen. Mir der Werte-Predigerin stellt sich die Wertfrage.
Was sind die Werte der Eltern wert? Was die Pelzmäntel, Teppiche, Bilder, Briefmarken- und Münzsammlungen, Möbel, das alte Haus. Dinge die sie gehegt und gepflegt haben, übernommen auch, die Aussteuern der Großmütter mit Monogrammen, die Initialen der Frau blieben auf Bettwäsche und Servietten erhalten. Erspart, ertrotzt, erlitten, um letztendlich. Ja, um was? Soll ich diese Schätze der Altvorderen, nie genutzt in 100 Jahren und mehr, entsorgen, verschachern, behalten? I don’t wanna go to rehab, no, no ,no.
Eine Wein_kur ist es, auch wenn die meisten Weine im Keller, dem Vater aufgeschwatzt, nicht mehr trinkbar sind, wahrscheinlich, weil Wein ja immer auch ein wenig was von Schrödingers Katze hat. Man weiß es nicht. Was weiß man schon? Mein Erbe besteht auch aus Grußkarten, Postkarten, Anerkennungsschreiben und der vagen Vermutung, dass sich meine Eltern doch geliebt haben, manchmal, von Zeit zu Zeit.
Und mitten drin der Ururgroßvater, seinen toten Sohn trauernd im Arm. 1875. Ein Wirt, ein stolzer Mann, ein schöner toter Knabe im Spitzengewand. Familiengeschichte. Uralter Schmerz mischt sich mit neuem, Blutsbande bluten aus. Aus kleinen Rissen werden hässliche Wunden, wenn man das Gebot: „Kripf nicht.“ missachtet. Nicht hinschauen, nicht kratzen, nicht reiben. Und schon ist es passiert: Das Blut rinnt, macht hässliche Flecken, verschmutzt. „Hab ich es dir nicht gesagt?“ „Ja, Mama, hast du. Und ich habe dir nicht geglaubt. Und du hast recht behalten.“ Und so haben die Wunden keine Chance zu heilen, es bleiben die Narben. Über Generationen.
Nur zaghaft entsorge ich die Bilder derer, die sie und mich gekränkt haben. Auch sie oder mich. Und dann immer heftiger. „Did anyone call the DRAMA LLAMA?“ Dann schon lieber gleich amputieren – ist das noch der Wundbrand, bereits die Säge oder sind es schon Phantomschmerzen. Prinzessin Mäusezahn trug dem 1. Offizier die Luftschlösser nach. Danke. Und niemand mehr muss danke sagen.
Ich sage es gerne, weil es das warme Gefühl verankert einer Tasse Kaffee am Sterbebett, eines nachbarlichen Frühstücks, eines gekehrten Gartens, einer Packung Papiertaschentücher, geteilter Erinnerungen, einer Kinderzeichnung, einer Postkarte, eines Briefes, eines Photos mit Widmung. Danke für Reisesouvenirs und Stoffelefanten, für Bücher und Schneemannbauen, für Planschbecken und Wappelen, für Koffer und Burgen, eine Wiege und mehrere Madonnen – für Wertvolles und Werte und für die Menschen, die ich von meinen Eltern geerbt habe.
Und Danke jenen, die mich begleiten, mit mir teilen, lachen, weinen und mir ihre Liebe als Pflaster auf die Wunden kleben, die die Blutsbande mir geschlagen hat. Und dem 1. Offizier, der das Steuer behutsam in die Hand nimmt, wenn mir die Gischt zu hart ins Gesicht spritzt.
Kur ist was für Weicheier, dachte ich – ziemlich neidig. Kur ist nichts für Weicheier, lese ich täglich nach, und auch andere Eier sollten sich hüten. Von Eiern verstehen wir was, wir Toll3sten, die haben wir, Stockweise sozusagen. „Kur kann ich nicht“, sagte ich den Mit3sten: „Kur kenn ich nicht…“ Und doch bin ich jetzt auf Kur. Entziehungskur. Eltern-Entziehungskur, Kindheitsentziehungskur, Familien-Entziehungskur. Kalter Entzug, in der Küche bei offenem Fenster, Substitute zur Hand. Morgens der gefrorene Truthahn, fett und ironischerweise gänsehäutig auf meiner Brust. Die Tauben gurren, der Hass auf ihren Liebesgesang hat die Mutter und den Nachbarn vereint. In einer Schublade liegen „Piraten“ sie zu verjagen. Ein lauter Knall und es ist still im Garten. Ein Schuss.
Morgens schüttle ich den Truthahn von meiner Brust und beginne mit einem sportlichen Treppenlauf in den Keller, Sauna aufheizen, noch eine Viertelstunde, dann kann ich duschen. Frühstück gibt es bei den Nachbarn, Eier nicht nur Sonntags, jeden zweiten Tag, weil ich mich auch im Essensentzug übe. Weg damit, mit dem Gepäck, das auf den lädierten Nacken drückt.
Fotos sortieren – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins…Plastiksackerl. Nicht schlecht, nur ohne Menschen, Landschaften. Mein Vater hat schöne Fotos gemacht. Auf manchen – denen, die sie nicht erwischt und zerrissen hat, - lächelt meine Mutter im Vordergrund. Erst jetzt bemerke ich die Ähnlichkeiten zwischen uns. Sie wohl auch, wie sich hin und wieder aus der Ordnung der Bilder erahnen lässt. Je länger ich sortiere in drei mächtige Kisten, umso mehr entsorge ich. Nur die ganz alten Bilder, bei denen ich die Photographierten nur erahnen kann, verschone ich, selbst wenn sie nur Landschaften zeigen oder die Seufzerbrücke.
Meine Maturazeugnisse und die des Vaters ähneln sich, beide haben wir viel geschrieben, auch viel Wissen verraten und blieben doch zu sehr im Ungefähren. Urkunden, Beileidsschreiben, Postkarten. Eine Königin, eine Prinzessin, Präsidenten und Weltmeister. Ein Astronaut in meinem Kinderzimmer. Die elegante Mutter, der charmante Vater, die schöne Familie und die andere mit weniger Bildern, nicht weniger schön. Und ich zwischen Angst und Sehnsucht, Entzug, Phantomschmerzen, Seelenweh.
Dazwischen Besuch bei der Freundin, auch sie räumt auf, entrümpelt, gemeinsam mit den Kindern. Ich nippe an einem Glas herrlichen Weins und lausche unter dem Blitzen ihrer Augen ihren Schlachtplänen. Wir tauschen Rotes und Gedanken, sie bereitet mir ein Essen zu, das ihr helfen soll, die Untiere im Zaum zu halten, mir hilft es gegen die Kälte der Familie. Alles erscheint relativ an diesem Abend, in dieser Vollmondnacht. Alles ist relativ. Alles ist. Alles.
Und doch dreht sich Frau Lot am nächsten Tag wieder um. Ich blättere durch die Gesichter, der Kinder, die wir waren. Manchmal halte ich inne, wenn die Filme in meinem Kopf zu laufen beginnen. Manche Namen tauchen abrupt auf, auf anderen Photographien sehe ich mich neben Leuten, die ich nie zuvor gesehen habe. Die Kleider erkenne ich meistens, auch wenn sie längst vergessen schienen. Mir der Werte-Predigerin stellt sich die Wertfrage.
Was sind die Werte der Eltern wert? Was die Pelzmäntel, Teppiche, Bilder, Briefmarken- und Münzsammlungen, Möbel, das alte Haus. Dinge die sie gehegt und gepflegt haben, übernommen auch, die Aussteuern der Großmütter mit Monogrammen, die Initialen der Frau blieben auf Bettwäsche und Servietten erhalten. Erspart, ertrotzt, erlitten, um letztendlich. Ja, um was? Soll ich diese Schätze der Altvorderen, nie genutzt in 100 Jahren und mehr, entsorgen, verschachern, behalten? I don’t wanna go to rehab, no, no ,no.
Eine Wein_kur ist es, auch wenn die meisten Weine im Keller, dem Vater aufgeschwatzt, nicht mehr trinkbar sind, wahrscheinlich, weil Wein ja immer auch ein wenig was von Schrödingers Katze hat. Man weiß es nicht. Was weiß man schon? Mein Erbe besteht auch aus Grußkarten, Postkarten, Anerkennungsschreiben und der vagen Vermutung, dass sich meine Eltern doch geliebt haben, manchmal, von Zeit zu Zeit.
Und mitten drin der Ururgroßvater, seinen toten Sohn trauernd im Arm. 1875. Ein Wirt, ein stolzer Mann, ein schöner toter Knabe im Spitzengewand. Familiengeschichte. Uralter Schmerz mischt sich mit neuem, Blutsbande bluten aus. Aus kleinen Rissen werden hässliche Wunden, wenn man das Gebot: „Kripf nicht.“ missachtet. Nicht hinschauen, nicht kratzen, nicht reiben. Und schon ist es passiert: Das Blut rinnt, macht hässliche Flecken, verschmutzt. „Hab ich es dir nicht gesagt?“ „Ja, Mama, hast du. Und ich habe dir nicht geglaubt. Und du hast recht behalten.“ Und so haben die Wunden keine Chance zu heilen, es bleiben die Narben. Über Generationen.
Nur zaghaft entsorge ich die Bilder derer, die sie und mich gekränkt haben. Auch sie oder mich. Und dann immer heftiger. „Did anyone call the DRAMA LLAMA?“ Dann schon lieber gleich amputieren – ist das noch der Wundbrand, bereits die Säge oder sind es schon Phantomschmerzen. Prinzessin Mäusezahn trug dem 1. Offizier die Luftschlösser nach. Danke. Und niemand mehr muss danke sagen.
Ich sage es gerne, weil es das warme Gefühl verankert einer Tasse Kaffee am Sterbebett, eines nachbarlichen Frühstücks, eines gekehrten Gartens, einer Packung Papiertaschentücher, geteilter Erinnerungen, einer Kinderzeichnung, einer Postkarte, eines Briefes, eines Photos mit Widmung. Danke für Reisesouvenirs und Stoffelefanten, für Bücher und Schneemannbauen, für Planschbecken und Wappelen, für Koffer und Burgen, eine Wiege und mehrere Madonnen – für Wertvolles und Werte und für die Menschen, die ich von meinen Eltern geerbt habe.
Und Danke jenen, die mich begleiten, mit mir teilen, lachen, weinen und mir ihre Liebe als Pflaster auf die Wunden kleben, die die Blutsbande mir geschlagen hat. Und dem 1. Offizier, der das Steuer behutsam in die Hand nimmt, wenn mir die Gischt zu hart ins Gesicht spritzt.
katiza - 11. Jun, 11:56
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
1088 mal erzählt
rosmarin - 12. Jun, 12:26
ach Sie wunderbares Piratenweib....
ich danke für Ihre gefühlswilden Zeilen und für das Mitschauen auf Ihre Bilder....
und denke so oft an Sie....
lg ro
ich danke für Ihre gefühlswilden Zeilen und für das Mitschauen auf Ihre Bilder....
und denke so oft an Sie....
lg ro
schneck08 - 15. Jun, 22:21
"Es bleiben die Narben, über Generationen." Denke, die Narben sind ok, es sind ja keine Wunden mehr. Und es ist ja auch schön, wenn sich die Dinge spürbar forttragen. Das verbindet, jedenfalls mich, auch oft angenehm mit dem, woher ich komme, und denen, von denen ich komme. Daraus lässt sich Neues formen. Viel Kraft wünsche ich, und so schön beschrieben von Dir, liebe Seemannsbraut!
testsiegerin - 2. Jul, 19:56
Ich sollte öfter auf twoday lesen. Hab dieses Juwel erst jetzt entdeckt. Danke dafür.
Glückliche Menschen unterscheidet von weniger glücklichen vor allem, dass sie Dankbarkeit fühlen und zeigen können.
Auf unsere Kurtournee freu ich mich schon jetzt!
Glückliche Menschen unterscheidet von weniger glücklichen vor allem, dass sie Dankbarkeit fühlen und zeigen können.
Auf unsere Kurtournee freu ich mich schon jetzt!
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