Reisegepäck

7
Aug
2007

Der König vom Lido Emanuele

Manuels Reich umfasst 86 Parasole und 172 Liegen, seine Krone ist eine blaue Jeansmütze, sein Hermelin ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift "Salvataggio". Seine Königin ist eine Prinzessin in Hotpants und sein Königreich liegt in Letojanni. "Lido Emanuele" heißt es und diesen Sommer hat er dort das Sagen. Er entscheidet, ob die Touristen die blauen Hotelliegen oder die orangen Pensionsliegen besiedeln, er schreibt Platz und Reihe vor und er wird von den ziehenden, schwarzen Sonnenbrillen-, und Schmuckverkäufern ebenso respektvoll begrüßt wie von den Massagen anbietenden Asiatinnen und Asiaten oder dem Inder, der Henna-Tatoos auf die Urlauberinnenhaut zaubert. Sie alle erkennen Manuels Herrschaft an. Nur sein Onkel, der ohrfeigt ihn manchmal – in aller Öffentlichkeit vor den Augen von Prinzessin Pipa und denen der Sonnenbadenden. Manuel hasst das, aber sein Onkel hat ihm den Job verschafft und so muss er die Demütigung hinnehmen, wie auch die Demütigungen von Agathe – der Mutter seiner Prinzessin. Zu gerne würde er ihr beweisen, dass er nicht nur ein kleiner Salvataggio ist, sondern ein richtiger Ritter - keine Marionette, wie sie in den teatro di pupi vor den Augen von Touristen und Kindern, die schöne Angelica retten.

Schön ist sie auch, Agathe, die sich lieber Aga nennt, schön wie wohl auch ihre heilige Namenspatronin war, die der römische Statthalter Quintianius so gerne geheiratet hätte. Eben jene Agathe von Catania, die die Avancen des fremden Herrschers abgelehnt hat, obwohl wenn er sie in ein Bordell gesteckt hat und ihr schließlich ihr schönen Brüste abschneiden lies. Ganz so stolz war Aga nicht und so wurde sie viel zu früh schwanger mit Claudia, zwei Jahre später folgte Pipa, aber auch sie vermochte die Ehe der Eltern nicht zu retten. Vielleicht, wenn es ein Sohn gewesen wäre….
Einer wie Mauro vielleicht oder einer wie Alfio, mit dem sie sich das Rosentattoo auf den Knöchel stechen ließ, Alfio, der Jesus am Kreuze zwischen seine Schultern tätowiert hatte. Oder einer wie Enzo, der Fußballer aus der "Bauunternehmerfamilie", der Claudia den Hof machte. Claudia machte das schon richtig, fleißig war das Mädchen, lustig und doch energisch und an jedem Finger hätte sie zehn haben können. Aber Pipa machte ihr Sorgen. Letztes Jahr war sie noch ein Kind gewesen und heuer könnte sie schon eines bekommen. Stolz und Sorge mischten sich in Agas Gefühlen, wenn sie am Lido in der ersten Reihe lag und der Tochter nachschaute, wie sie auf ein Eis mit Manuel verschwand. Wenn es bloß ein Eis wäre…oder ein anderer, ein bisschen älter, ein bisschen mehr als der verschwitzte Blondschopf mit dem Käppi.

Das war schon eine Frau: Agathe mit ihrem tiefen satten Lachen, fand Manuel, nur dass sie viel zu oft über ihn lachte. Dabei tat er doch alles, um ihr zu beweisen, dass er wirklich, was zu sagen hatte am Lido Emanuele. Die dicke alte Britin, die ihre Brüste immer entblößte, verbannte er in die letzte Reihe, dorthin wo die Bimbi spielten. Bei denen war es wenigstens nicht lange her, dass sie so etwas gesehen hatten. Agathe war das nicht zuzumuten. Und er ersparte ihr auch den grimmigen Russen mit seinen milchfarbenen, gut gebaute Töchtern oder Weibern, sollte der ruhig auf Englisch fluchen und zetern mit seinem rollenden RRRRRRRRRRR. Das deutsche Pärchen, das ihn und Pipa gestern beobachtet hatte – auch die Ohrfeige – und hämisch gelacht hatte, musste ebenfalls verschwinden, mochte der langhaarige Typ auch noch so oft "Fuck" fluchen. Heute war ihm das egal, heute legte er Aga, Pipa und den Freunden das Meer zu Füssen – in der ersten Reihe.

Abends lag er mit Pipa auf Agas Liege, von der Promenade tönte Techno und der Mond schien viel zu hell. Er küsste sie. Sie schmeckte nach Gelato, Limone und Fragola. Er fühlte ihren festen Busen und langsam arbeitet sich seine Hand in ihre engen Hotpants. Sie kicherte unnötig laut und hoch und als er die Augen schloss, sah er ein Bild der heiligen Agathe, ihre Brüste auf einem Silbertablett. Rasch verscheuchte er es – dann brach der Etna aus.
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6
Aug
2007

Der Tempel

"It's a temple", erklärte der Vulkanologe und Guide Guiseppe, als er mich beim Blick in den rauchenden Krater des Etna sicherte. Diese Erklärung wäre gar nicht notwendig gewesen, denn ich war auf Wallfahrt zu eben diesem Tempel. Schon als ich vor Jahren den Piton de la Fournaise auf Reunion beim Atmen erleben durfte und die rot glühende Lava sah, wurde mir das Göttliche der Vulkane bewusst. Und damals hielt ich mich noch für eine Agnostikerin.

Dieser Tempel roch weder nach Weihrauch noch nach Räucherstäbchen, sondern stank nach Schwefel und so verschlug mir nicht nur die Ehrfurcht den Atem. Guiseppe ist mit dem Etna aufgewachsen, er liebt den Berg, wie wohl auch die meisten derer, die auf seinen Hängen siedeln. Nicht nur weil seine schwarze Asche das Wachstum von herrlichem Wein, Zitronen und Oliven fördert und die kleinen Orte sehr gut vom Vulkantourismus leben, sondern auch wegen des Göttlichem.

Oben an der Schwelle zum Tempel fällt mir Sarah ein. Irgendwann habe ich eine Doku gesehen über das kleine Tiroler Mädchen mit der Greisenkrankheit und dem großen Wunsch, einen Vulkan zu sehen. Ein Wunsch ,der ihr erfüllt wurde. "Ich fühl’ mich so befreit von einem Wunsch. Beim Wünschen fühle ich mich immer so eingesperrt. Und jetzt bin ich wieder befreit," waren ihre Worte, die ich mir damals notiert habe. "It's a temple."


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