18
Aug
2007

Meine Welt klingt wieder, ich spreche wieder

Pling, pling – vor zwanzig Stunden erklangen zwei, reine klare Töne zum letzten Mal. Etwa 230 Mal haben sie mir in der letzten Woche das Ende von 20 Minuten Zazen verkündet. Kurz die Beine strecken, haben sie bedeutet, aufstehen zum Gassho, zwei Runden Kinhin, eingeleitete vom Zusammenschlagen zweier Holzstücke, nach der zweiten Runde zweimal Zusammenschlagen der Holzstücke, Gassho in Gehrichtung, Gassho vor dem Sitzplatz, pling, pling pling – wieder 20 Minuten im Lotus, Halblotus oder (nur wenn's gar nicht anders geht) im Längssitz, über dem Zafu knieend. Fast 24 Stunden täglich, sechs Tage lang, war meine Welt fast ausschließlich im Dojo, dem Meditationsraum des Naikanhauses Bodingbach, zwischen meinem Sitzplatz und meinem Schlafplatz, abgesehen von einer Stunde jeden Tag, der Arbeitsmeditation Samu, zu der mich die Osho meist in den Garten schickte. Ich durfte übrigens die Bohnen ernten, die ich gesät habe und habe sie am Abend in einer köstlichen Ramen gegessen. Im Steingarten habe ich Unkraut geerntet und dabei eine ganze Menge Oregano ausgerupft – "der gehört da nicht her", meint die Osho – und so wird es demnächst die eine oder andere Speise den Geschmack der Reue tragen.

Reue, darum ging es ja täglich zwischen 5 Uhr früh und 21 Uhr – und natürlich auch in der Nacht – Okosan, Übung im Schlafen. Und was habe ich nicht alles gesehen und gefühlt, wenn ich mit schmerzenden Beinen da saß, meinem Atem und dem Atem des zweiten, bis Mittwoch mit mir Übenden folgend. Den großen Zorn eines kleinen Mädchens, das weiß, dass es was angestellt hat, den Größenwahn einer pubertierenden Prinzessin, genährt von Benn, Brecht und Jim Morrison, die ohne mit der Wimper zu zucken, Herzen brach, das hochmütige Lästern der jungen Frau, die glaubt über Jüngere urteilen zu dürfen, jetzt endlich ist sie dran, die selbstgerechten Verweigerungen, weil ich doch eh immer gegeben habe. Und so viel mehr habe ich gesehen: Ich habe doch ganz vergessen, dass ich ein Kasperltheater hatte mit einem schönen Krokodil und wie Puffreis schmeckte, Freundinnen und Freunde, die ich unterwegs verloren habe, das Striegeln eines Pferdes, der Geschmack einer Schwedenbombensemmel, dass es einst Buttermilch in Gläsern mit grünen Stannioldeckel gab und wie es war, auf der Bühne zu stehen. Und dazwischen immer wieder ihr.

Meine Wegweiser waren mir vier Jujukinkai-Themen. Meine Wegbegleiterin war die Osho, die etwa alle eineinhalb Stunden, mittels Zusammenschlagen der Hölzer und Glocke zum Dokusan in den Nebenraum rief – und nicht nur einmal hat sie mir, wenn ich Tränen überströmt berichtete habe, was ich gerade wieder erlebt habe, leise, lächelnd und sehr bestimmt gesagt: "Nur nicht in Selbstmitleid versinken, du hast Leid erzeugt für dich und die anderen."

Der Tag begann um fünf Uhr, um 5.15 Uhr war die Osho schon im Dojo, bereit zur Morgenmeditation. Kurz vor Sechs kam dann Stefanie, die uns hervorragend vegetarisch bekocht hat, um sechs wurden nebenan mit sechs Gongschlägen die Naikan-Praktizierenden geweckt, dann kam der dritte Naikan-Begleiter Rüdi, ein Schweizer und saß noch 25 Minuten mit uns. Und schließlich waren wir – ab Mittwoch ich – allein. Irgendwann brachten Stefanie oder die Osho dann das japanische Frühstück, längst hatte ich aufgehört drei Mal zwanzig ist eine Stunde zu zählen. Reis, Miso-Suppe, Tee – eine Schüssel, um den Reis, den man nicht zu essen beabsichtigt hinein zu geben, vorher, unberührt, für andere, die mehr Hunger haben. Pling, das Tischgebet auf Japanisch und Deutsch: Ich prüfe, ob ich daran denke, woher dieses Essen gekommen ist und mache mit bewusst, wie es zustande kam. Ich prüfe für mich weiter, ob ich genug Gutes getan habe, um diese Speise essen zu dürfen. (..) Mit meine ersten Biss schneide ich alles Böse, mit meinem zweiten Biss mache ich alles gut. Mit meinem dritten Biss wünsche ich alle Wesen zu retten. Mit meinem vierten Biss wünsche ich allen Wesen, dass sie den Buddhaweg erfüllen und Satori erreiche.
Gassho – schnell und schweigen essen.
Alles aufessen, Schale und Stäbchen mit Tee waschen, nach dem Essen rezitieren:
Die acht großen Wahrheiten:
Erstens: Wir haben von Anfang an Buddhanatur.
Zweitens: Durch unser Ego verlieren wir den Weg.
Drittens: Das Leben geht weiter
Veitrens: Es ist immer Ursache und Wirkung vorhanden.
Fünftens: Ich und andere sind eins.
Sechstens: Alle Buddhas existieren wirklich.
Siebentens: Wir fühlen Verbundenheit.
Achtens: Das ist der Prozess, um Buddha zu werden.

Gassho, Esstablett vor die Dojotüre. Weiter sitzen.

Zwischen halb zehn und halb elf dann Samu, Arbeitsmeditation, gegen dreizehn Uhr Mittagessen, dasselbe Ritual wie in der Früh. Dann eine Stunde Okosan, Übung im Schlafen. Sitzen bis zum Abendessen, bei Jujukinkai nur jeden zweiten Tag Duschen, manchmal zwanzig Minuten Kinhin. Um acht Uhr Abendmeditation, da kamen dann die Naikan-Übenden dazu. 25 Minuten lang. Wir saßen dann noch bis 21 Uhr. Das war meist die schmerzhafteste Stunde, Kniesitz wäre da nie gegangen, also Zazen, die Knie schmerzen, die Füße schlafen ein, das Kreuz tut weh, alles, wie lange sind 25 Minuten, was tu ich mit meinem unruhigen Geist? Zuflucht suchen in Vergangenem und Zukünftigem beim Liebsten und Freunden nur um dann doch wieder den Schmerz zu spüren, mich an mein Thema zu erinnern, Atemzüge zu zählen….

Und dazu die Stille, diese unendliche Stille, selbst die Vögel scheinen den Atem anzuhalten und die Wespen fliegen bloß die eine oder andere neugierige Runde um meinen Kopf. Wie eine Schildkröte, stand in einem Buch über Zen, habe ich meine Sinne eingezogen, die Augen zu, kein Tasten, kaum Riechen, wenn nicht gerade der viel versprechende Duft der nächsten Mahlzeit durchs Haus schleicht oder Buddha morgens und abends mit Räucherstäbchen erfreut wird. Aber die Ohren, Freunde und Feinde, lauschen nach jedem Geräusch, jemand sprich vor dem Haus, jemand geht aufs Klo, jemand holt sich Tee, Erinnerungen an das erste Naikan, als ich - die Laute – fast stündlich ein wenig leiser wurde, die Osho kommt, die Schiebetüre, gleich Dokusan, das Essenstablett wird geholt, zirpende Grillen, pubertierende Osho-Söhne vor der Tür, die Ötscherlandbahn ,deren plingplingpling nur heißt, dass es doch noch dauert bis Mittag.

Am dritten Tag schleicht die Trauer durchs Haus, der Schmerz über das, was man getan oder eben nicht getan hat, hier und drüben in den Naikan-Räumen, verweinte Augen bei der Abendmeditation, schnell den Blick wieder senken, keine Blickkontakt, "keine Interaktion - ah net mit Kiah", hat der verstorbene Osho, der Josef aus dem Mühlviertel, damals vor vier Jahren gesagt, als ich in der Mitte eines Meditationsmarsches in den Ötscher Bergen so ein Rindvieh herzen und mit Schmerz und Liebe überhäufen wollte – wie er meinen Plan erahnte, weiß ich bis heute nicht, der Satz fällt mir immer ein, wenn mein Blick sich unbotmäßig verirrt. Mit der Osho gibt es keine Meditationsmärsche, die Osho hat nur ein Bein, gütige Augen, ein schüchternes Lächeln und eine Klarheit und Schärfe, um die sie ein japanischer Messerschmied beneiden würde. Und manchmal ist sie ein Mädchen.

Gestern um halb zwölf noch Minuten vor dem letzten pling, pling, als ich allein im Dojo saß, wartend auf die Osho, ging draußen vor der Türe das Leben los. Sechs Stimmen lachten, schnatterten, redeten wild durcheinander – sechs Naikan-Übende kehrten ins Leben zurück. Meine Beine schmerzten – heute nur Lotus hatte ich mir in einer absurden Form von Ehrgeiz geschworen – ich dachte über Zorn nach und wusste doch so genau, was da draußen gesagt wurde: "Als du damals geweint hast, ich hab sofort erkannt, dass ich das Fenster schließen soll, du hast ja gelacht, ich hab mir die Ohren zugehalten, wenn du ein Gespräch hattest und trotzdem gehört, die haben so viel zu erzählen, hab ich gedacht, woher weiß ich genau, dass das zwischen sechs und zehn passiert ist habe ich mich anfangs gefragt und plötzlich wusste ich, das ist egal, ich habe ja so viel bekommen in meinem Leben…"

Ich habe ja so viel bekommen in meinem Leben – und es ist so schön das zu sehen. Ich habe noch so viel zu geben und das ist auch schön.

Das buddhistische Wort Fuse (die Gabe) bedeutet auf die Gier zu verzichten und andere zu beschenken.
2578 mal erzählt

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ConAlma - 18. Aug, 07:23

Gut, dich zurück zu wissen. Schön, wie du erzählst. Danke.

dfw - 18. Aug, 08:53

willkommen - danke !

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