1
Jun
2010

Liebe Mimi,

ich freu mich auf dich. Du bist ein Wunschkind. Vielleicht warst du es nicht dort, wo du am 20. August 2009 auf die Welt kamst, aber 5.000 km entfernt wurdest du bereits damals heiß ersehnt. Vor ein paar Tagen hat mich dein Papa angerufen und mir erzählt, dass sie dich nun holen dürften. Dein Papa ist mein Lieblingscousin, er war für mich immer ein bisschen wie ein Bruder. Ich hatte ja keine Geschwister, so wie deine Schwester, Prinzessin Mausezahn bis jetzt Einzelkind war. Auch sie, ein echtes Wunschkind. Die freut sich auch schon auf dich – ich hoffe so, dass ihr Freundinnen werdet, Schwestern. Deine Mama tut alles, damit auch das klappt und so weiß deine große Schwester schon sehr viel über Afrika, den Kontinent, den deine Eltern sehr lieben und über deine Heimat, Äthiopien.

Das Land in dem deine Wiege steht nennen sie die Wiege der Menschheit. Wegen Lucy wohl, dem Skelett der Urfrau 3,2 Millionen Jahre alt. Und die Königin von Saba soll auch aus Äthiopien gekommen sein. Starke Frauen, also. Heute hättest du es als Frau in Äthiopien nicht so leicht.

Deine Heimat hat eine große Geschichte und eine faszinierende Kultur und gehört doch heute zu den ärmsten Ländern der Erde. Dazu haben auch wir in unserem reichen Land beigetragen. Deine Bauchmama hat es sicher sehr schwer in ihrem Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sehr arm ist, ist hoch, vielleicht ist sie beschnitten, grausam verstümmelt wie 90 Prozent der Mädchen und Frauen in Äthiopien. Vielleicht wollte sie nicht, dass du Dinge erleben musst, die sie erlebt hat. Sie wusste sicher, dass sie dich in eine bessere Zukunft gibt, dich davor schützt, gequält, missbraucht, ausgebeutet zu werden, zu hungern, krank zu werden, früh zu sterben. Deine andere Mama wird alles tun, um dich zu beschützen und dir ein schönes Leben zu ermöglichen.

Es wird trotzdem nicht leicht, kleine Mimi, in der neuen Bergwelt, in die du ziehst. Es wird nicht einfach in dieser Familie mit ihren Ängsten und Rassismen, bei den Menschen dort, die lieber Gipfel stürmen als Worte wechseln und die das Fremde nur im Zusammenhang mit der Einnahmequelle Tourismus begrüßen können. Fremdenverkehr. Wir freuen uns so, lächeln sie deinen Eltern entgegen und am Telefon tauschen sie dann düstere Befürchtungen aus. Ob das gut geht, fragen sie sich untereinander, die Antwort bereits vorwegnehmend in gekräuselten Lippen und verengten Augen. Diese Familie wird schon misstrauisch, wenn jemand aus der Unterstadt kommt, ganz zu schweigen vom Fremden. Und das Fremde beginnt vor der Haustür. Fremd sind schon die Wiener, so ganz anders als wir, das stolze und fleißige Bergvolk. Fremd und beängstigend: die amerikanische Frau des Wissenschaftler Cousins. Noch fremder: die türkische Freundin des schönsten Cousins. Die lassen uns mit ihr ja nicht einmal ins Kasino, befürchtet sein Vater und, wiewohl Freund exotischer Reisen in den Jemen oder nach Ghana, alpträumte er von fremden Sippen, die das Erbe übernehmen würden, im Garten seiner Villa in Zelten hausend. Das wird nicht leicht, mutmaßen sie, man wisse ja, wie die Leute so seien. Klein sind sie ja lieb, die Negerkinder, meinen die Frauen, die alle mit Negerpuppen aufgewachsen sind. Aber sie werden ja größer. Dass es zu schwarz sein könnte, fürchtet die eine, als sie einmal zwei kleine afrikanisch-stämmige Kinder im Schnee sieht. Gar so schwarz.

Deine Familie, Mama, Papa, Mausezahn, lässt sich davon nicht irritieren. Deine Mama mit dem schönsten Lächeln der Welt, setzt sich schon durch gegen jegliche spießige Verbohrtheit. Sie wird mit dir basteln und dein Leben wunderbar bunt und fröhlich gestalten. Und sie wird dafür sorgen, dass du immer Afrika und deine Bauchmama im Herzen hast. Dein Papa lebt mit einem alten Zorn tief in sich und kann doch - oder vielleicht auch deswegen so viel Liebe geben und gibt sie. Glaub mir – er ist ein wunderbarer Vater, ein großer Bub, er kann (ver)zaubern und er wird dich Schifahren lehren, dir Rockplatten vorspielen, er wird blöde Witze machen, dich in den Armen halten und dich auf Händen tragen. Und Prinzessin Mausezahn wird dich mitnehmen in ihre, eure Welt. Ins Restaurant aus abgesägten Baumstämmen in der letzten Ecke des Gartens. Sie wird dir Grassuppe kredenzen und dich bevormunden. Sie wird dich vielleicht manchmal dorthin zurück wünschen, woher du gekommen bist . aber das machen Geschwister so.

Oh ja, sie haben sich gefragt, ob sie dürfen, sollen, können – dich aus deiner Welt in ihre Welt, aus diesem Leben in ein anderes zu nehmen und vielleicht wirst du dich oder sie das später einmal auch fragen. Sie tun es voller Liebe und so wird es wohl gut gehen.

Heute fliegen die drei, dich abzuholen. Ich freu mich auf dich, meine neue Cousinnichte mit der besonderen Geschichte. Mein Herz und mein Zuhause werden auch immer für dich offen stehen und sobald du aufrecht vor einem Herd stehen kannst, werden wir gemeinsam Injera backen. Und dabei werde ich dir Black Music vorspielen, versprochen.
Du bist ein Wunschkind, Mimi, und ich wünsche dir ein wunderbares Leben.

img2771
3178 mal erzählt

Trackback URL:
https://katiza.twoday.net/stories/6361683/modTrackback

rosmarin - 2. Jun, 00:09

der kleinen mimi kann nichts passieren, bei diesen eltern und dieser feinsinnigen cousintante...
*...so schöööön geschrieben....*

katiza - 2. Jun, 11:55

Ich werd tun, was ich kann (kochen, backen, Blödsinn machen!!!!), liebe Frau Rosmarin!
profiler1 - 2. Jun, 11:18

andernorts habe ich mich schon mal über den unterschwelligen tiroler konservatismus ausgelassen, glaube aber gleichzeitig, dass die obengenannten bedenken eher unbegründet sind. so wie sie das schildern, liebe katiza, dürften die familieninternen gegebenheiten geradezu ideal sein, um einem kind den weg ins leben zu ebnen.
was dann später einmal wird, kann man selber eh nicht mehr beeinflussen.

katiza - 2. Jun, 11:53

Kernfamilie ja, lieber Herr Profiler, aber der Rest von der Partie - naaaaaaja, die Jungen sehen das anders - und das ist gut so!
nixcik - 4. Jun, 01:04

jeder kriegt doch das aufgeschnallt, was er (er)tragen kann, oder nicht? ganz glaub ich ja nicht daran, aber die Ansicht hat schon was. Alles alles Gute!
katiza - 4. Jun, 20:41

Lieber nixcik, . dem muss ich wiedersprechen. Tagtäglich sehe ich Menschen, die das, was sie aufgeschnallt bekommen nicht mehr ertragen können, die darunter zusammenbrechen und zugrunde gehen...und es sind nicht die Schwächsten. q.e.d.
Was aber meine tiefste Überzeugung ist, ist, dass wir alle die Fähigkeit haben, das zu ertragen, was uns aufgeschnallt wird, wenn wir Zugang zu unsere Ressourcen und Kräften finden. Das schaffen wir nicht immer.
Auch die Menschen, viele Kinder, in Mimis Heimat bekamen mit Armut, Hunger, Aids, Beschneidung bei Mädchen, sexuellem Missbrauch und Ausbeutung mehr aufgeschnallt, als viele von ihnen ertragen können. Die sterben dann.
Ich glaube auch, dass wir - vor allem wir hier in unserer reichen Welt - uns die Aufgaben suchen, die wir brauchen. Wenn es uns gelingt sie zu bewältigen wachsen wir daran.
Ich glaube auch, dass wir Teil eines großen Ganzen sind und Ziel unseres Handelns sein sollte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das machen die vier jetzt, glaube ich Vorgestern bekam ich eine SMS: Mimi heute bekommen. Ist zuckersüß.
profiler1 - 4. Jun, 20:49

im prinzip ist es so, dass wenn man sich dessen bewußt ist und man sich dann und wann vor augen hält, was der überwiegende teil der menschheit tagtäglich mitmacht und über sich ergehen läßt, alles mehr vom leben zu verlangen als dass man ein dach über dem kopf hat, mehr als nötig zum essen hat und einem nichts weh tut, schon an überheblichkeit grenzt.
normalerweise müsste ich jeden tag zu meinem chef sagen: "danke lieber herr sowieso, dass sie so deppat sind und mir so einen haufen geld zahlen, für das was mir spass macht"
gautama - 2. Jun, 22:50

liebe Mimi, liebe Katiza

treffend, frau katiza...
@ Mimi: leicht wirst du es nicht haben, leicht werden es deine neuen eltern nicht haben und leicht hat es deine bauchmama nicht...und doch wird es die leichtigkeit des seins sein, die dich in dein neues zuhause einbettet. ich wünsche dir, MIMI, der Großen und deiner gesamten familie NUR DAS ALLERBESTE! Es ist wie es ist...

rosmarin - 2. Jun, 23:51

yessssssssssss
testsiegerin - 4. Jun, 21:16

liebe mimi,

ich hab genau zwei mimis in meinem freundeskreis. und beides sind total starke, liebenswerte, kreative, sensible frauen.
du hast dir also schon mal einen guten namen ausgesucht. und ich wette, du hast dir auch tolle eltern ausgesucht.
möge dein leben voller sonnenschein und liebe sein, und möge es einen schirm für dich bereitstellen, falls der regen kommt.

datja - 4. Jun, 23:32

ja.
bravo.

logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

img349

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6469 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Feb, 15:42

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter