29
Jan
2008

dass sie doch zu Dir spricht

Der gebende Freund hat mich in Konzerthaus entführt. Gemeinsam mit zwei anderen aus seinem "Harem der Verwöhnten", wie ich - zu seinem Missfallen - die Frauen nenne, die er um sich schart. Die eine ist meine rohseidene Freundin, die er ins neue Jahr geführt hat – mehr Sonne als Schatten in unserem Beziehungsgeflecht. Von der anderen kannte ich den Namen, wusste ein paar Kleinigkeiten – sie auch von mir. Genug für spontane Vertrautheit, ein bisschen Haare zupfen von der Schulter, ein milder Blick, ob des Freundes liebenswerter Eigenheiten.

Das Alban Berg Quartett sollten und wollten wir hören. Ich zum ersten und wohl zum letzten Mal live. Gute Plätze hatte er besorgt, der Freund, am Podium, ganz nah am Geschehen, gut für mich, die ich wohl besser sehen kann als hören.
Und was ich sah, gefiel. Joseph Haydns Instrumentalmusik über die "Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze" bot Gelegenheit zu beobachten, direkt im Blick Günter Pichlers bewegte Mimik. So viel Frieden im Gesicht und auch ein wenig Schalk, blitzende Augen im Kontakt mit den Mitspielenden, nichts von Jesus am Kreuz empfand ich, sondern vielmehr Musik und Leben. Gerhard Schulz füllig, präsent, immer wieder rissen Stränge an seinem Bogen und Isabel Charisius, so jung im Vergleich, so stark und alle mit entspannten Minen, unangestrengt. Von Valentin Erben sah ich nur den Rücken.

Und dann spielten sie Alban Berg, die lyrische Suite, und weit mehr als Haydn und Schuberts Streichquartett in G-Dur D 887, bewegte mich dieses Werk. "Ich habe Dich gefangen und eingesponnen, meine Geliebte, in das Netz meiner Musik", hat Berg an Hanna Fuchs geschrieben, die heimliche Geliebte, in einen von 14 erhaltenen Liebesbriefen. Indiskret darin zu lesen und doch ergänzen sie das Gehörte wohl perfekt. Werfels Schwester war die schöne Hanna und verheiratet wie der Komponist, der einmal Dichter werden wollte. Vielleicht erreicht er mich, die Wortverliebte, auch deswegen und fasziniert mich, durch das, was ich niemals hören kann, mir aber die Sekundärliteratur verrät: Die Initialen AB und HF hat er verflochten in die Sätze der Suite, und "unsere Zahlen 10 und 23". "Tristan und Isolde" finden sich wieder, wissen die Hörenden, Musikerfahrenen, ihren, Hannas, Kindern widmet er das Rondo am beginn des zweiten Satzes. Ein Rondo erkenn ich wohl nicht und dass ein Satz zu Ende ist, zeigt das Quartett durch kurzes Innehalten. Das Publikum hustet. Ich aber kann nicht mehr in den wunderbaren Gesichtern forschen, ich bin eingesponnen in diese ferne Liebe, in deren sechsten und letzten Satz ich – unterstützt vom Programm – Charles Baudelaire wieder begegne. Seine Fleurs du Mal blühten, als ich noch Mädchen war, wohl genau dort in meiner Seele, wo sich jetzt diese Töne ausbreiten und mich erfüllen.

Zu dir, du einzig teure dringt mein schrei
Aus tiefster schlucht darin mein herz gefallen.
Dort ist die gegend tot. die luft wie blei
Und in dem finstern fluch und schrecken wallen.
Sechs monde steht die sonne ohne warm.
In sechsen lagert dunkel auf der erde.
Sogar nicht das polarland ist so arm.
Nicht einmal bach und baum noch feld noch herde.
Erreicht doch keine schreckgeburt des hirnes
Das kalte grausen dieses eis-gestirnes
Und dieser nacht. Ein chaos riesengross!
Ich neide des gemeinsten tieres loos
Das tauchen kann in stumpfen schlafes schwindel..
So langsam rollt sich ab der zeiten spindel!
Baudelaire: Die Blumen des Bösen, Umdichtungen von
Stefan George, Zweite Auflage, Georg Bondi, Berlin 1908


Am Schluss steht Schmerz. Lange klingt der Zeiten Spindel nach, während der Pause und auch während Schubert. Und dann die Zugabe: Mit Haydn geht die Sonne auf, aus Nebel über Weinbergen.



"Meine Musik wird trotz aller Modernität so stark sein, dass sie doch zu Dir spricht",
schrieb Alban Berg an Hanna Fuchs – und ich habe es gehört
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