25
Dez
2009

Wein-Nacht

Weihnachten ist Tradition, bestätigt mir Herr Steppenhund in seinem Kommentar. Tradition ist auch der Blick meiner Mutter auf ihr Weihnachtsgeschenk: „Oh…“ Seit ich sie zu Weihnachten beschenke, kann ich mich an keine andere Reaktion erinnern. Irgendwie war es nie das Richtige. Schon wegen Weihnachten. Denn es ist auch Tradition, dass sie dieses Fest hasst und verflucht – das habe ich ziemlich schnell begriffen, nachdem ich aufgehört hatte an das Christkind zu glauben. Beziehungsweise so zu tun als ob. „Ich hasse Weihnachten“, dieser Satz der Mutter hat mich seither durch jeden Advent begleitet. Tradition, eben, wie anderswo Vanillekipferln oder italienischer Salat.

Früher einmal haben wir am 24. Dezember vormittags Champagner getrunken, Papa, der reiche Onkel H und ich, der Teenager. Echten Champagner im Stammlokal des Vaters und seine Kartenrunde hat mit mir geflirtet. Er war stolz auf mich, ich auch. Eine Zeitlang war das unsere Tradition. Ein paar Mal bin ich mit ihm gefahren, Blumengestecke und Geschenke ausführen, Weihnachtswünsche überbringen beim Hausarzt und anderen. Auch das liebte ich, Vater und Tochter als Weihnachtsboten.

Bei Frau M. war ich auch oft mit, der kleinen zarten Frau, die Papa mit aufgezogen hat damals im Krieg, als sein Vater Gauverbot hatte und seine Mutter zwei Mal beinahe weggebracht worden wäre. Nach dem Krieg sind die Großeltern nach Kärnten gegangen und der Fünfzehnjährige blieb hier im Haus mit Frau M. Winzig war sie wie alle wichtigen Frauen im Leben dieses so großen Mannes, seine Mutter, meine Mutter. Frau M. war später der gute Geist der Nudelfamilie geworden und so besuchten wir sie einmal sogar in der Villa, wo sie das Weihnachtsessen für diese Familie zubereitete, später in ihrer kleinen Wohnung hinter der Fabrik. Steil führten die Treppen hinauf und oben gab es immer Eierlikör, Neapolitaner und Schokolade für den Buben, der mein Vater geworden war. Diese Besuche bewegten ihn und machten ihn verlegen und ich erinnere mich, dass ich oft das Reden mit Frau M. zur Gänze übernommen habe. Zwei, drei Mal besuchten wir sie auch im Altersheim. Das war ihm unangenehm. Er mochte weder Heime noch Krankenhäuser. Ich weiß nicht, ob Papa mir von ihrem Tod erzählt hat. Irgendwann besuchten wir sie nicht mehr zu Weihnachten.

Eine Zeitlang durfte ich den Baum aufputzen, später hat das Mama wieder übernommen. Gerne hätte ich etwas gekocht, als das Kochen zu meiner Leidenschaft wurde, aber ich würde bloß Unordnung in Mamas Küche bringen, daher durfte, darf ich das nicht. In manchen Jahren gingen wir in die Christmette, in anderen nicht. Einmal – da war ich frisch in Wien – hat sie mir einen Adventkalender geschickt, mit 24 Packerln, den füll ich noch immer an für den Liebsten.

Mehr als einmal fuhren wir auch nach Gnadenwald, Papsch und ich, gingen dort in die Kindermette. Wir suchten Gnade. Daheim tobte die Mutter. Sie mag das Fest halt nicht, warum auch immer. Über Weihnachten früher in ihrer Ursprungsfamilie hat sie nie gesprochen, über die Weihnachtsfeste mit meinen Großeltern väterlicherseits nur voller Hass. Eine Gans hätte der Großvater sich eingebildet und sie hätte die Arbeit gehabt, verstopfte Abflüsse und so viel Zorn noch zig Jahre später. Auch gestern wieder. Und eben das falsche Geschenk.

Verzweifelt suche ich nach den Spuren meiner Kindheit, wenn ich hier bin. Doch es scheint als hätten wir – Mama und ich – kaum gemeinsame Erinnerungen daran. Erzähle ich, widerspricht sie, sie selbst erzählt fast nie vom Kind, das ich war. Irgendwann einmal hat sie gesagt, sie hätte sich mich aus der Seele gerissen, als ich nach Wien gegangen bin, wohl sehr gründlich…das kleine Mädchen in mir kämpft trotzdem weiter um die Liebe der Mama. Mit dem falschen Geschenk, verzweifelte Tradition.

Und es weint um den Vater. Und unser Weihnachten.

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