8
Jun
2010

Werkstätte

Und sind endlich doch zum Bildhauer gefahren, den Grabstein zu bestellen. Ein Sonntagsausflug mit Mutter und Mann. Heiß ist es und auf den Bergen liegt Schnee.

Ich sitz hinten im Sharan und genieße es, wenigstens für die Zeit der Autofahrt ein bisschen allein zu sein – außer Sichtweite. Mutter und Mann konzentrieren sich auf mich, nicht nur, weil ich Tochter und Frau, ihr Verbindungsglied bin, sondern auch, um korrigieren, Ordnungen herzustellen, wie es ihnen beiden dringendes Bedürfnis ist. Immer wieder zupfen sie an mir, richten Krägen und Taschenriemen, ziehen Jacken und Mäntel in Form, meine Hände picken und müssen gewaschen werden, fordert die Mutter, in den Mundwinkeln habe ich Rotwein oder Kaffee, signalisiert mir der Mann mit allzu bekannter Geste und da ein Fussel und dort ein Fädchen, meine Erinnerungen sind unpräzis, ich rede zu laut, zu lange, zum falschen Zeitpunkt, ich unterbreche, ich entschuldige mich zu oft, zu unterwürfig. Ich passe nicht – misfit!

Wie ein Ärgernis fühle ich mich, das die notwendige Ordnung dieser beiden für mich so wichtigen Menschen stets stört, schon immer gestört hat. Beide werden leicht zornig, ob der anderen Menschen und ihrer Fehler und Dummheiten, ich fürchte diese Wut, wiewohl ich nur Zaunzeugin bin. Vielleicht ist das der Grund, weswegen ich mich stetig entschuldige, für jedes Missverständnis, alles was die Stimmen der beiden lauter werden lässt, was Ärger in ihre Gesichter malt. Ich fühle mich beobachtet und beobachte doch selbst andauernd, um Spannungen rasch aufzulösen, um nur keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen, des Friedens Willen.

„Entschuldigung, dass ich auf der Welt bin“, schrecklich klang dieser Satz in den Ohren des kleinen Mädchens, das im Bett lag, Steineier, Traumsteine in den Händen, glatt und kühl, und voller Verzweiflung den Streit der Eltern dort draußen belauscht. Der Satz fiel oft und macht solche Angst, heißt er doch, dass man selbst vielleicht auch nicht erwünscht ist auf dieser Welt, deplatziert. Ich bekomme ihn kaum mehr aus dem Kopf in diesen Tagen. „Dein Vater hat sich auch ständig entschuldigt“, sagt die Mutter. Ich weiß. Und doch kann niemand dieses Gefühl der Schuld, des Störens von uns nehmen, ganz im Gegenteil, das stete Bitten um Verzeihung verstärkt den Ärger der Zornigen nur.

Der Weg ist gesäumt von Erinnerungen, Kindheitserinnerungen, aber auch solche, die wir drei in diesem Auto teilen. Grün leuchtet der Achensee, wir essen im selben Gasthaus wie das letzte Mal. Neu ist nur der Weg zum Bildhauer. Im Rofan ist er zuhause, zwischen gigantischen Bergen gießt er seine Gedanken in Form. Die Mutter erzählt wieder von der ersten zufälligen Begegnung mit dem Künstler, vor Jahren als sie nach dem Schlaganfall hier spazieren ging. Eine Büste hatte sie angelockt und wie es ihre Art ist, hatte sie an die Türe geklopft, und sich nach dem Schöpfer erkundigt. Die Frau des Bildhauers hat ihr aufgemacht, zwei Stunden war sie dann beim Künstler in der Werkstatt gestanden ins Gespräch vertieft. Zwei seiner Statuen haben die Eltern später gekauft, Mann und Frau stehen bei uns im Garten, Vater und Mutter symbolisierend – eine Familienaufstellung in Bronze. Ohne mich.

Nun soll der Bildhauer das Grab machen für den Vater, eigentlich für sie beide, wie die Mutter betont, die möchte, dass ihre Urne später einmal dazu gelegt wird. Ich könne die Statue ja dann irgendwo aufstellen, wenn ich das Grab aufließe, das besonders pflegeleicht sein müsse – winterharte Pflanzen – weil ich es ja eh nicht pflegen würde. „Du bist ja in Wien.“ So wie ich das Haus gleich verkaufen würde, abreißen lassen, wenn sie dann stürbe, bald.

Der Bildhauer freut sich, dass wir kommen. Gleich nach dem Begräbnis habe er das Grab entworfen, erzählt er, und schon gewusst, dass wir uns irgendwann melden würden. Ein Sterbebild des Vaters liegt in der Werkstätte, jede Menge Zeitungsausschnitte hängen an den Wänden oder liegen zwischen Gipsabgüssen und Styropormodellen, die meisten Cartoons oder Kurzmeldungen, heiter und ein wenig anzüglich. „Intimrasur im Auto – Unfall“ oder ein aktueller Janosch.

Sie muss als junge Frau noch schöner gewesen sein, die Französin mit den weißen Haaren und der charmanten Sprache, die Frau des Bildhauers, die er mit einem In-die-Hände-klatschen ruft, ganz Patriarch, wie er betont. „Mein Mann war auch ein Patriarch“, sagt die Mutter. Das stimmt nicht, korrigiere ich, das trägt mir einen strengen Blick ein. Die Frau schminkt sich noch schnell, während uns der Bildhauer Anekdoten erzählt, von Politikern und deren Gattinnen. Er ist stolz auf die prominente Klientel, die ihm auch zu einem Professorentitel verholfen hat. Heute ist er schmutzig, der Herr Professor, weil er Gussrahmen baut für eine Haifischfamilie. Ein Freund hilft die Holzgestelle mit Asche auszukleiden. Schließlich pflückt der Bildhauer noch ein paar Blumen für die Mutter, uns bittet er wieder zu kommen, über Nacht, damit wir auch ein wenig Wein trinken können. Dann geht er in die Werkstatt, Haie gießen, und seine Frau zupft weiter Unkraut im Garten.

Morgen hätte der Vater seinen 80sten Geburtstag gefeiert. Wie gut, dass er auf der Welt war.

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Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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