3
Nov
2010

2. November: Allerseelen

Am Allerseelenmorgen erwachte ich in meinem eigenen Fegefeuer. Ich habe Geld verloren, viel Geld, geschenktes Geld, für das ich lange arbeiten muss und viele andere noch länger. Schlampig verwahrt, weg, gestohlen oder einfach verloren. Nach panischer Suche, Rückfrage bei der Mutter, die mir ja gesagt hat, hätte, dass ich aufpassen soll und wie und überhaupt. Ich schäme ich, fühle mich klein und hilfllos, ungeschickt und schlampig, wie so oft. Relativ planlos und emotional aufgewühlt, stürzte ich mich in die Arbeit. Ein Anruf erinnerte mich an einen verpassten Termin, auch nicht meine Art, ein hektischer Aufbruch war notwendig, ein unsicherer Start in ein Gespräch. Ich esse nicht, trinke zu viel Kaffee, atme zu wenig aus. Das schlechte Gefühl setzte sich am Nachmittag fort, Gesprächsfetzen der letzten Tage durchbrachen den Arbeitsfluss; wo hatte ich die Ledertasche mit dem Geld hingegeben, wann habe ich sie eingepackt, wo könnte sie sein? Ein weiterer Anruf erinnerte mich an eine weitere vergessene Aufgabe. Und noch mehr Scham und Panik. Nur die Vorfreude auf einen Abend am gelben Sofa hält mich aufrecht.

Der Erstgeboren empfing und zum ersten Mal seit langem, war ich nicht einmal dazugekommen zu kochen, zu backen. Und dann saßen wir da, der Mann der Pfadfinderführerin, Herr Doppel T, der Erstgeborene und ich bei Schilchersturm, alten, oft erzählten Geschichten und lange nicht gehörten Tapes. Endlich wieder Lachen, ein paar Tanzschritte, ein paar große Worte. Und doch immer wieder gegen die Mock Turtle ankämpfen, die so gerne ihr schluchzend, pathetisches Lied anstimmen möchte. Und gegen die Unsicherheit, das Gefühl zu laut zu sprechen, das Falsche zu sagen, unzulänglich zu sein. Und gegen die Angst davor, das Pensum nicht bewältigen zu können, das Falsche zu tun, zu verletzen, ungerecht zu sein. Alle Seelen in meiner Brust schrien durch einander an diesem Tag, nur mit ein wenig Soul liesen sie sich beschwichtigen. Allerseelensoul. Und irgendwann legte der Erstgeborene Konstantin Wecker auf. Das Liederbuch, die frühen Jahre, noch nicht so kristallin durchsetzt wie später. Ich hatte es wohl Jahrzehnte nicht gehört. Er spielte nur ein einziges Lied, trotz meines Betteln.

Dann flossen doch noch Tränen, die Mock Turtle zeigte ihren Kalbskopf, bevor sie sich viel zu spät in die Nacht verabschiedete.

Man ist so einsam, wenn man friert.


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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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Soundtrack

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