Das Ende ist mein Anfang
„Lass uns in Kino gehen“, schlägt die rohseidene Freundin vor fürs erste Treffen im neuen Jahr und ich stimme gerne zu, denn im Kino waren wir lange nicht gewesen. „Such du den Film aus“, bitte ich sie, ich hatte schon länger weder ein Kinoprogram noch Kritiken gelesen. Was Trauriges sei es wohl, entschuldigt sie sich, als wir uns schließlich im Erdgeschoss des Kinocenters treffen und wir könnten gerne auch etwas anderes, lustigeres wählen, denn es ginge um den Tod. Aber da stehe ich schon vor dem Plakat. Tiziano Terzani, lese ich, „Das Ende ist mein Anfang“, Bruno Ganz, der großartige Schauspieler und auch die Pluhar, von meiner Mutter so verehrt. Terzanis letztes Buch, gemeinsam mit seinem Sohn Folco verfasst.
Terzanis Bücher haben mich auf Reisen in meinem Kopf entführt und auf Reisen in der Wirklichkeit begleitet, „Fliegen ohne Flügel“ war das erste Buch des italienischen Spiegel-Journalisten mit dem weißen Rauschebart, das mich begeistert und verführt hat. „Noch eine Runde auf dem Karussell“ geschrieben nach seiner Krebsdiagnose war ebenso beeindruckend, sein Tod hat mich erschüttert. Das letzte Buch, nun verfilmt, habe ich nicht gelesen. Vielleicht, weil er es mit dem Sohn geschrieben hatte, der mir fremd war, denn seine Familie kam in den Büchern kaum vor, vielleicht auch nur, weil ich es nie plötzlich zufällig in Händen hielt wie seine beiden Vorgänger. Auf die Idee, dass es verfilmt worden ist, verfilmbar ist, wäre ich nie gekommen. Und kurz hatte ich Bedenken, aber eben Bruno Ganz und das Plakat und die Pluhar.
Und dann sitzen wir im Kino, erstaunlich viele Menschen sehen sich so etwas an, denke ich. Der Film beginnt. Da ruft der schwer krebskranke Vater, der Asien und die Welt bereist hat, in China und Vietnam gelebt hat, den Sohn in die norditalienischen Berge, um ihm sein Leben zu erzählen.“Mache zuerst deine Arbeit fertig", sagt er: "Und dann komme so schnell wie möglich, denn ich habe nicht mehr viel Zeit." Ein Mikrofon steht zwischen Vater und Sohn und meine Tränen beginnen zu fließen.
Ich denke daran, dass ich vor Jahren selbst, das Leben meines Vaters aufzeichnen wollte, für ein Biographieprojekt und als Zeichen von Wertschätzung und Liebe, als Versuch der Spurensuche. Die Mutter war im Krankenhaus in jenen Tagen und ich hatte Kamera und Minidisc dabei. Wir führten Interviews im Garten und Wohnzimmer und es hat uns beide glücklich gemacht. Wir waren beide auch ein verlegen und fremd, ich habe manches erfahren, was ich nie gewusst hatte und versprach bald weiter zu machen. Ich habe nie weiter gemacht, nicht einmal mehr darüber gesprochen, die O-Töne waren schwer verständlich, ich hatte wider besserer Erfahrung gepfuscht, nur mit Mühe gelang es mir, die vier wichtigsten in der Qualität anzuheben, eine Woche pfuschte ich am Computer herum mit verschiedenen Schnittprogrammen, den Film habe ich nie geschnitten, nicht einmal mehr die ungeschnittene Version angesehen.
„Du hast nie etwas fertig gemacht“, sagt Terzani/Ganz zum Sohn, der daraufhin wütend auf einen Baum steigt. In Kalkutta war er bei Mutter Theresa und eine Film über das Fest der indischen Askesen hat er gemacht, erfährt man nebenbei. Mein Vater hat mir den Vorwurf nie gemacht, nie nach gefragt, nie eingefordert und vielleicht, wie es seine Art war, das Scheitern des Projekts eher sich selbst als mir zugeschrieben. Auf der Leinwand gehen Vater und Sohn auf einen Berg und der Vater, der drei Jahre lang in einer Hütte im Himalalya gelebt hat, fern von seiner Familie, der Frau von Erika Pluhar dargestellt, die Jahre, die seine letzten hätten sein können, meditiert über den Wolken.
In seinem letzten Lebensjahr haben wir einen gemeinsamen Spaziergang gemacht, der Vater und ich, durchs Heimatdorf, die Stätten meiner Kindheit. Es war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Die Rohseidene legt die Hand auf meinen Arm, wir weinen beide.
Irgendwann am Ende des Films taucht auch eine Tochter auf – mit neu geborenen Enkelkind und auch der Sohn – wiewohl geschieden, hat selbst einen Sohn, der in den letzten Tagen beim Großvater ist. Es ist ein Männerfilm, die Frauen spielen Nebenrollen, so war es wohl auch im Leben dieses Mannes. Sie sind alle bei ihm, als er schließlich stirbt in seiner winzigen Hütte, dem kleinen Tibet, das er sich geschaffen hat, die Frau, die Kinder, die Enkel und am Schluss verstreut sein Sohn Terzanos Asche in den Bergen. Als das Licht angeht, haben viel verweinte Augen.
Irgendwie sind die alten O-Töne absichtslos auf mein neues Handy gekommen. Und manchmal, wenn ich die Kopfhörer hineinstecke, spricht plötzlich mein Vater mit mir, erzählt mir von seiner ersten schrecklichen Erinnerung und erklärt mir, warum er Anwalt geworden ist. Und jedes Mal schäme ich mich ein bisschen, weil ich so vieles nicht zu Ende gebracht habe…
Das Ende ist mein Anfang.
Terzanis Bücher haben mich auf Reisen in meinem Kopf entführt und auf Reisen in der Wirklichkeit begleitet, „Fliegen ohne Flügel“ war das erste Buch des italienischen Spiegel-Journalisten mit dem weißen Rauschebart, das mich begeistert und verführt hat. „Noch eine Runde auf dem Karussell“ geschrieben nach seiner Krebsdiagnose war ebenso beeindruckend, sein Tod hat mich erschüttert. Das letzte Buch, nun verfilmt, habe ich nicht gelesen. Vielleicht, weil er es mit dem Sohn geschrieben hatte, der mir fremd war, denn seine Familie kam in den Büchern kaum vor, vielleicht auch nur, weil ich es nie plötzlich zufällig in Händen hielt wie seine beiden Vorgänger. Auf die Idee, dass es verfilmt worden ist, verfilmbar ist, wäre ich nie gekommen. Und kurz hatte ich Bedenken, aber eben Bruno Ganz und das Plakat und die Pluhar.
Und dann sitzen wir im Kino, erstaunlich viele Menschen sehen sich so etwas an, denke ich. Der Film beginnt. Da ruft der schwer krebskranke Vater, der Asien und die Welt bereist hat, in China und Vietnam gelebt hat, den Sohn in die norditalienischen Berge, um ihm sein Leben zu erzählen.“Mache zuerst deine Arbeit fertig", sagt er: "Und dann komme so schnell wie möglich, denn ich habe nicht mehr viel Zeit." Ein Mikrofon steht zwischen Vater und Sohn und meine Tränen beginnen zu fließen.
Ich denke daran, dass ich vor Jahren selbst, das Leben meines Vaters aufzeichnen wollte, für ein Biographieprojekt und als Zeichen von Wertschätzung und Liebe, als Versuch der Spurensuche. Die Mutter war im Krankenhaus in jenen Tagen und ich hatte Kamera und Minidisc dabei. Wir führten Interviews im Garten und Wohnzimmer und es hat uns beide glücklich gemacht. Wir waren beide auch ein verlegen und fremd, ich habe manches erfahren, was ich nie gewusst hatte und versprach bald weiter zu machen. Ich habe nie weiter gemacht, nicht einmal mehr darüber gesprochen, die O-Töne waren schwer verständlich, ich hatte wider besserer Erfahrung gepfuscht, nur mit Mühe gelang es mir, die vier wichtigsten in der Qualität anzuheben, eine Woche pfuschte ich am Computer herum mit verschiedenen Schnittprogrammen, den Film habe ich nie geschnitten, nicht einmal mehr die ungeschnittene Version angesehen.
„Du hast nie etwas fertig gemacht“, sagt Terzani/Ganz zum Sohn, der daraufhin wütend auf einen Baum steigt. In Kalkutta war er bei Mutter Theresa und eine Film über das Fest der indischen Askesen hat er gemacht, erfährt man nebenbei. Mein Vater hat mir den Vorwurf nie gemacht, nie nach gefragt, nie eingefordert und vielleicht, wie es seine Art war, das Scheitern des Projekts eher sich selbst als mir zugeschrieben. Auf der Leinwand gehen Vater und Sohn auf einen Berg und der Vater, der drei Jahre lang in einer Hütte im Himalalya gelebt hat, fern von seiner Familie, der Frau von Erika Pluhar dargestellt, die Jahre, die seine letzten hätten sein können, meditiert über den Wolken.
In seinem letzten Lebensjahr haben wir einen gemeinsamen Spaziergang gemacht, der Vater und ich, durchs Heimatdorf, die Stätten meiner Kindheit. Es war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Die Rohseidene legt die Hand auf meinen Arm, wir weinen beide.
Irgendwann am Ende des Films taucht auch eine Tochter auf – mit neu geborenen Enkelkind und auch der Sohn – wiewohl geschieden, hat selbst einen Sohn, der in den letzten Tagen beim Großvater ist. Es ist ein Männerfilm, die Frauen spielen Nebenrollen, so war es wohl auch im Leben dieses Mannes. Sie sind alle bei ihm, als er schließlich stirbt in seiner winzigen Hütte, dem kleinen Tibet, das er sich geschaffen hat, die Frau, die Kinder, die Enkel und am Schluss verstreut sein Sohn Terzanos Asche in den Bergen. Als das Licht angeht, haben viel verweinte Augen.
Irgendwie sind die alten O-Töne absichtslos auf mein neues Handy gekommen. Und manchmal, wenn ich die Kopfhörer hineinstecke, spricht plötzlich mein Vater mit mir, erzählt mir von seiner ersten schrecklichen Erinnerung und erklärt mir, warum er Anwalt geworden ist. Und jedes Mal schäme ich mich ein bisschen, weil ich so vieles nicht zu Ende gebracht habe…
Das Ende ist mein Anfang.
katiza - 7. Jan, 15:31
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