7
Jan
2011

Das Ende ist mein Anfang

„Lass uns in Kino gehen“, schlägt die rohseidene Freundin vor fürs erste Treffen im neuen Jahr und ich stimme gerne zu, denn im Kino waren wir lange nicht gewesen. „Such du den Film aus“, bitte ich sie, ich hatte schon länger weder ein Kinoprogram noch Kritiken gelesen. Was Trauriges sei es wohl, entschuldigt sie sich, als wir uns schließlich im Erdgeschoss des Kinocenters treffen und wir könnten gerne auch etwas anderes, lustigeres wählen, denn es ginge um den Tod. Aber da stehe ich schon vor dem Plakat. Tiziano Terzani, lese ich, „Das Ende ist mein Anfang“, Bruno Ganz, der großartige Schauspieler und auch die Pluhar, von meiner Mutter so verehrt. Terzanis letztes Buch, gemeinsam mit seinem Sohn Folco verfasst.

Terzanis Bücher haben mich auf Reisen in meinem Kopf entführt und auf Reisen in der Wirklichkeit begleitet, „Fliegen ohne Flügel“ war das erste Buch des italienischen Spiegel-Journalisten mit dem weißen Rauschebart, das mich begeistert und verführt hat. „Noch eine Runde auf dem Karussell“ geschrieben nach seiner Krebsdiagnose war ebenso beeindruckend, sein Tod hat mich erschüttert. Das letzte Buch, nun verfilmt, habe ich nicht gelesen. Vielleicht, weil er es mit dem Sohn geschrieben hatte, der mir fremd war, denn seine Familie kam in den Büchern kaum vor, vielleicht auch nur, weil ich es nie plötzlich zufällig in Händen hielt wie seine beiden Vorgänger. Auf die Idee, dass es verfilmt worden ist, verfilmbar ist, wäre ich nie gekommen. Und kurz hatte ich Bedenken, aber eben Bruno Ganz und das Plakat und die Pluhar.

Und dann sitzen wir im Kino, erstaunlich viele Menschen sehen sich so etwas an, denke ich. Der Film beginnt. Da ruft der schwer krebskranke Vater, der Asien und die Welt bereist hat, in China und Vietnam gelebt hat, den Sohn in die norditalienischen Berge, um ihm sein Leben zu erzählen.“Mache zuerst deine Arbeit fertig", sagt er: "Und dann komme so schnell wie möglich, denn ich habe nicht mehr viel Zeit." Ein Mikrofon steht zwischen Vater und Sohn und meine Tränen beginnen zu fließen.

Ich denke daran, dass ich vor Jahren selbst, das Leben meines Vaters aufzeichnen wollte, für ein Biographieprojekt und als Zeichen von Wertschätzung und Liebe, als Versuch der Spurensuche. Die Mutter war im Krankenhaus in jenen Tagen und ich hatte Kamera und Minidisc dabei. Wir führten Interviews im Garten und Wohnzimmer und es hat uns beide glücklich gemacht. Wir waren beide auch ein verlegen und fremd, ich habe manches erfahren, was ich nie gewusst hatte und versprach bald weiter zu machen. Ich habe nie weiter gemacht, nicht einmal mehr darüber gesprochen, die O-Töne waren schwer verständlich, ich hatte wider besserer Erfahrung gepfuscht, nur mit Mühe gelang es mir, die vier wichtigsten in der Qualität anzuheben, eine Woche pfuschte ich am Computer herum mit verschiedenen Schnittprogrammen, den Film habe ich nie geschnitten, nicht einmal mehr die ungeschnittene Version angesehen.

„Du hast nie etwas fertig gemacht“, sagt Terzani/Ganz zum Sohn, der daraufhin wütend auf einen Baum steigt. In Kalkutta war er bei Mutter Theresa und eine Film über das Fest der indischen Askesen hat er gemacht, erfährt man nebenbei. Mein Vater hat mir den Vorwurf nie gemacht, nie nach gefragt, nie eingefordert und vielleicht, wie es seine Art war, das Scheitern des Projekts eher sich selbst als mir zugeschrieben. Auf der Leinwand gehen Vater und Sohn auf einen Berg und der Vater, der drei Jahre lang in einer Hütte im Himalalya gelebt hat, fern von seiner Familie, der Frau von Erika Pluhar dargestellt, die Jahre, die seine letzten hätten sein können, meditiert über den Wolken.

In seinem letzten Lebensjahr haben wir einen gemeinsamen Spaziergang gemacht, der Vater und ich, durchs Heimatdorf, die Stätten meiner Kindheit. Es war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Die Rohseidene legt die Hand auf meinen Arm, wir weinen beide.

Irgendwann am Ende des Films taucht auch eine Tochter auf – mit neu geborenen Enkelkind und auch der Sohn – wiewohl geschieden, hat selbst einen Sohn, der in den letzten Tagen beim Großvater ist. Es ist ein Männerfilm, die Frauen spielen Nebenrollen, so war es wohl auch im Leben dieses Mannes. Sie sind alle bei ihm, als er schließlich stirbt in seiner winzigen Hütte, dem kleinen Tibet, das er sich geschaffen hat, die Frau, die Kinder, die Enkel und am Schluss verstreut sein Sohn Terzanos Asche in den Bergen. Als das Licht angeht, haben viel verweinte Augen.

Irgendwie sind die alten O-Töne absichtslos auf mein neues Handy gekommen. Und manchmal, wenn ich die Kopfhörer hineinstecke, spricht plötzlich mein Vater mit mir, erzählt mir von seiner ersten schrecklichen Erinnerung und erklärt mir, warum er Anwalt geworden ist. Und jedes Mal schäme ich mich ein bisschen, weil ich so vieles nicht zu Ende gebracht habe…

Das Ende ist mein Anfang.

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ConAlma - 7. Jan, 18:11

Und so werde ich, wenn ich den Film sehe, an dich und deinen Vater denken.

katiza - 8. Jan, 00:56

Schauen Sie sich den Film an, er ist wunderschön ...
rosmarin - 7. Jan, 18:22

jetzt muss ich auch die tränen runterschlucken,
wegen des films..... den ich nur mit taschentüchern besuchen werde
wegen deiner persönlichen note.... die so warm und weich ist, dass sich dein vater freuen würde
wegen der noch vorhandenen stimmdokumente auf deinem handy.....weil es mich rührt
wegen der uns allen begrenzten zeit.... und weil ich meinen vater aufnehmen muss.....

katiza - 8. Jan, 00:57

Machen Sie das, nehmen Sie ihn auf (und Taschentücher mit ins Kino).
steppenhund - 8. Jan, 00:22

Hart und zynisch

Ganz und Pluhar verehre ich auch. Den Film kenne ich nicht.
Mein Vater spricht zu mir, auch wenn er schon 12 Jahre tot ist.
Und ich blogge, damit die Kinder ein bisschen Eindruck gewinnen, what made her father tick.
Nicht alles schreibe ich - aus Rücksicht auf lebende Personen und aus Rücksicht auf mich.
Und ich bin ein Mann.
Kann auch eine Mutter erzählen?

katiza - 8. Jan, 01:05

Herr Steppenhund.
Der Film läuft aktuell im Kino.
Das kann ich mir vorstellen, meiner anders auc.
Schön für Sie und Ihre Kinder.
Ich blogge, was ich will, daher auch anonym. Ich möcht niemenden damit verletzen und ich glaube auch, dass mir das irgendwie gelingt.
Ja, und?
Ja und ich habe gestern beschlossen, auch sie aufzunehmen.
Was war zynisch an Ihrer Antwort?
steppenhund - 8. Jan, 01:20

Ja, was war zynisch

http://www.youtube.com/watch?v=e52IMaE-3As&feature=player_embedded
-
Ich kann Ihnen das nur persönlich erzählen.
Mein Kommentar zu obigem Link wurde verschluckt. Ich schreibe ihn kein zweites Mal.
Der Zynismus besteht darin, dass das ganze Leben aus Szenen wie den beschriebenen besteht..
Und die Musik geht direkt hinein - ohne den Umweg über Text, Worte oder Bild.
Indirekt also: warum muss erst also erst einen Film sehen, um sich "dieser" Inhalte bewusst zu werden?
Ist das jetzt beleidigend? (Ich weiß, dass Sie das nicht persönlich nehmen werden. Ist auch nicht beabsichtigt.)
Habe gerade eine vierstündige Diskussion mit einem unter 30 jährigen Amerikaner hinter mir, der in Halle "Catholic ethics" lehrt. Und unheimlich gut war.
Ich hab ein paar Mal im Scherz behauptet, dass er kein Amerikaner sein kann.
rezitiert 20 Rilke-Sonnette, hat alles gelesen, was ich so im Laufe des Gesprächs eingebracht habe.
es gibt fantastische Begegnungen. Heute bin ich entspannt, weil die Vorlesungen zu Ende sind. Morgen geht es zurück nach Wien.

Und ich weiß nicht mehr, was bedeutend ist. Filme sind es nicht. Kommt mir eben gerade so vor.
Leben ist es.
Leben.
Offenheit.
Bereit sein.
jetzt werde ich meinen Koffer packen.
katiza - 8. Jan, 01:34

Ich bin mir der Inhalte auch ohne des Films bewusst - ich hätte sie vielleicht ohne diesen Impuls nicht publiziert...und mich berührt Musik, ich habe aber nicht den Zugang, den Sie haben, ich brauche Worte und Bilder.
Was soll beleidigend sein? Ein bisschen habe ich allerdings das Gefühl, dass Sie gerade zynisch sein wollen oder beleidigend, ärgert Sie etwas hier?
Ein Film, eine Musik, ein Text, ein Mensch, eine Idee, bedeutend für mich ist, was mir etwas bedeutet, auf etwas hin deutet.
Leben und Offenheit. Halt mein Leben und meine Offenheit, die Ihnen vielleicht zynisch betrachtet rücksichtslos erscheint?
Gute Reise.
steppenhund - 8. Jan, 20:42

!

Vorab, hier stört mich gar nichts. Wenn mich etwas störte, wär ich ja selber schuld, wenn ich es lese.
Vielleicht ist es ein Muster, was ich erkenne, mit dem ich nicht so gut umgehen kann. Natürlich hätte ich besser gar nichts geschrieben.
Vielleicht haben mich Ganz und Pluhar gereizt. Beide mag ich sehr gern - und ich mag sie halt schon viel, viel länger;) Ich habe aber z.B. noch nie in irgendeinem Blog hier eine Referenz auf die Marquise von O. gefunden. Und manchmal - das ist eben ein Muster - frage ich mich, aha, Anerkennung, aber warum gerade jetzt, warum gerade jetzt erst?
Und in Wirklichkeit verdamme ich etwas ganz anderes: unsere heutige "immer nur das letzte, größte, beste XXX" zählt. In Leipzig habe ich jetzt den ganz neuen Werbespruch gelesen: geil ist geil!
Geht vielleicht noch ein bisserl mehr?
katiza - 8. Jan, 21:07

Lieber Herr Steppenhund, dass Sie Ganz und Pluhar schon viel, viel länger mögen, hängt damit zusammen, dass Sie ein paar Jahre älter sind als ich und tut wohl nichts zur Sache...Auf die Marquise von O. würde ich mich - vielleicht - beziehen, wenn ich diese vorgestern im Theater gesehen hätte, ich war aber im Kino, in bene jenem Film. Die Kolumne in der dieser Eintrag erscheint heißt übrigens In Reaktion.

Anerkennung von wem oder was, fragen Sie sich. Meines Vaters - ich habe die Aufnahmen vor etwa sieben Jahren gemacht. Ich habe ihm - und auch meiner Mutter spätestens nach meinene Naikan-Erfahrungen Anerkennung gezollt für alles, was sie für mich getan haben. Anerkennung der Schauspieler, Tizianis?

Dass Sie die Muster "immer nur das letzte, größte, beste XXX" und "geil ist geil!" mit meinem Blog in Verbindung bringen macht mich wütend wie auch die Frage "Geht vielleicht noch ein bisserl mehr?"

Nein - Herr Steppenhund - mehr geht nicht. Ich gebe alles, was ich geben kann und will.
steppenhund - 8. Jan, 21:28

Ich wollte Sie nicht wütend machen. Sie haben meinen Kommentar auf eine Weise interpretiert, die ich nicht angestrebt habe. Da kann man nichts machen. Schade.
steppenhund - 12. Jan, 22:08

Nachtrag

wird es bald auf meinem Blog geben. Muss ich erst schreiben. Aber den Film habe ich mir wie befohlen angesehen;)
la-mamma - 8. Jan, 09:35

der absatz mit den aufzeichnungen über deinen vater ist mir wie eine aufforderung. meine schwester wollte das bei unserem schon einmal beginnen, es gibt schon seltsame gründe, warum man etwas nicht selbst macht. und später wird es uns beiden leid tun ...

katiza - 8. Jan, 09:58

Tun Sie es, auch Ihren Kindern zuliebe....
waldviertelleben - 8. Jan, 17:01

danke für den tipp. muss ich unbedingt sehen, alle bücher habe ich verschlungen. das ist so ein film, der völlig aus der eigenen welt herausträgt und am ende steht man bis ins innerste berührt auf der kalten straße.

katiza - 8. Jan, 17:32

... und kann mit der rohseidenen Freundin gar nichts mehr trinken gehen, weil sich beide nicht nach so viel hinein versetzen nichtirgendwo hinein setzen können, weil der Film nachklingt und man zu zweit Arm in Arm durch die Stadt schlendern muss bis zum Punkt, wo sich die Wege trennen und beide alleine auch noch die letzten paar hundert Meter gehen - in Gedanken und Bildern und Worten verloren...
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