27
Nov
2011

Trauerränder

Trauerränder nannte man bei uns daheim, als ich ein kleines Mädchen war, den Schmutz unter den Fingernägeln. Ich hatte immer Trauerränder. Und immer schmutzige Finger. „Woher kommt das?“ fragt mich die Meisterin und zeigt mir ihre Hände. Die Trauerränder waren mir noch nie aufgefallen, wiewohl ich ihre Hände schon oft betrachtet habe, während ich sie bei ihrer Arbeit beobachtet habe. Und auch als sie – vor Jahren schon – in meinen lagen, mich begleitend, ent-wickelnd: „Aus Wickeln, die uns einengen, bewegungslos machen, befreiend.“ „Ich hab die auch, immer schon“, erkläre ich und zeige ihr meine Hände. Ich freue mich über die Gemeinsamkeit, freue mich, dass sie mich fragt. „Weil wir alles anpacken..“, versuche ich eine Erklärung, die ich mir schon vor geraumer Zeit zurecht gelegt habe. Ich erzähle ihr, dass ich immer schmutzige Finger hatte; und schmutzige Fingernägel. Vor allem vom Schreiben, an Tafeln, mit Füllfedern, an Flipcharts.

Wenn ich ihre Worte mittippe mach ich mir die Finger nicht schmutzig. Im Adlersystem, denn ich habe nie Maschinschreiben gelernt, lasse ich die Buchstabn in mein kleines weißes Netbook fließen. Eindringliche Lösungssätze, die die Meisterin vorspricht und die voll Liebe nachgesprochen werden. „Mutter, Mama, Mutti, Papa, Vati, Vater, Oma, Opa…“. Manchmal weine ich, während ich tippe. Stets versuche ich leise zu agieren, ich will den Moment nicht stören. Später werden sie die Sätze nachlesen können und das freut mich. Ich empfinde mein Da-Sein als sinnvoll und als Geschenk.

Schon als kleines Mädchen, aufgewachsen im Hotel, wollte die Meisterin wissen, wie die es machen, die es gut machen mit der Liebe. Die, die immer wieder kamen, gemeinsam, jede Saison, Stammgäste und Paar. Es gab ja auch die anderen, wo einer wiederkam, mit jemand neuem oder keiner mehr. Sie hat sie alle befragt, das kleine Mädchen. Ich kenne die Geschichte gut und kann die Kleine sehen, wenn ich der zarten starken Frau zuhöre, die aus ihr geworden ist. Sie hat es wohl herausgefunden – ist 42 Jahre verheiratet.

Ein „glückliches Paar“ ist immer dabei bei den Seminaren, die die Liebe heilen sollen. Doch es liegt sehr viel Angst und Schmerz im Raum. Offene Wunden, Scham, Zweifel und Verzweiflung. Und Hoffnung und Liebe, sonst wären sie ja nicht da, würden sich nicht noch einmal eine Chance geben. Das Gemeinsame, ein Liebesbeweis. Der Mann und ich waren auch hier, vor vielen Jahren. Wir waren vielleicht das glückliche Paar, obwohl? Ich habe viel geweint an diesem Wochenende. Die beiden, die wir für uns aufgestellt haben, haben einen traurigen Tanz getanzt. Da haben wir beide geweint. Und dann haben wir die Chance doch irgendwie verpasst. Daran denke ich, als ich mich den Paaren vorstelle. Ich bin Ressourceperson, Helferlein

Die Tage im Mühlengrund, in der Schmiede am Bach sind Ressource für mich; eine Quelle, aufzutanken und Wissen und Liebe zu trinken, klar unnd kühl und herzerwärmend. Es ist gut zu sehen, wie sich Familiengeflechte zu tragfähigen Netzen entwirren, sanft begleitet und doch von zupackender Hand geführt. Mit schmutzigen Fingernägeln, Trauerrändern, die an die Kindertrauer erinnern.

Am Schönsten ist das Leuchten in den Gesichtern, wie sie sich entfalten, das Licht in den Augen, blitzend, glitzernd und eben noch Tränenfeucht. Da sieht man dann die Buben und Mädchen, die die Männer und Frauen einmal waren und die jungen Liebenden. Und die kleinen Gesten, die Zärtlichkeiten, die wieder kehren, die neu angefachte Glut. Dass ich das erleben darf, diese Blicke, ihr Dialog, das Auflösen wohl bekannten Schmerzes und die Stimme und die Worte der kleinen Meisterin mit dem großen Herzen.

„Du machst das gut“, sagt sie mir, als wir Arm in Arm zur Schmiede gehen. So winzig und zart ist sie an meiner Seite, so groß in meinem Herzen: „Das sieht man auch und hört man und dein inneres Kind leuchtet so glücklich.“ Ich mach das gut.Im Zug betrachte ich meine Hände und putze mir verstohlen die Traueränder aus.

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