15
Mrz
2014

Es war einmal....

Im Jänner wird sie entlassen, entlässt sich selbst an meinem Geburtstag, also nicht essen gehen, nach Hause fahren und das Ohr am Babyphone die Nacht durchbangen. Sie testet mich und ist zufrieden, dass ich beim kleinsten Räuspern hilfsbereit im Zimmer auftauche. Ich verwöhne sie und so hat die 24-Stunden-Betreuerin, die drei Tage später kommt eigentlich keine Chance zu bestehen. Auch weil sie „zu groß und zu dick ist“, das „Balkanweib“ wie auch ihre Nachfolgerin. Mein hektischer Arbeitsalltag mit Nebenkriegsschauplatz wird zerrissen von (an)klagenden Anrufen. Die nahe und ferne Familie gibt gute Ratschläge, aber auch die dritte Pflegerin – eine liebenswerte tüchtige Slowakin, „alt“, also in meinem Alter – kann nicht bestehen.

Ich schäme mich für sie. „Sie ist verrückt“, sagt mir die Pflegerin, als sie mich kurz ins Elternschlafzimmer – wo jetzt sie schläft, wie ich ohne Schlüssel, ohne Privatsphäre – entführt. „Ich weiß“, stammle ich und entschuldige mich: „Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit, da kann man nichts machen.“ Heimlich bringe ich ihr wie gewünscht Desinfektionsmittel und Handschuhe – die Mutter merkt es, die Mutter merkt alles: „ich habe doch kein AIDS…“ Ich habe sie verraten, lässt sie mich spüren.
Und dann wieder ins Krankenhaus. Sie will keine Weiber mehr, nicht mehr zuhause sein, in kein Heim, ein bissl aufgebaut werden. Sie organisiert sich alles selbst, sie ist stark, ich bewundere sie. Wir telefonieren mehrmals täglich. Mein „Verehrer“ erklärt mir ihre Krankheit, die sich in ihrem Bauch manifestiert hat. Nie konnte sie loslassen. Schon als Kind, wenn sie sich fürchtete durch den kalten finsteren Gang aufs Klo zu gehen. Zur Narbe, die meine Geburt – Kaiserschnitt – verursacht hat ist jetzt eine zweite gekommen. Es schmerzt sie, sie ist noch immer eitel.

shot_1393184790532

Palliativmedizin sagen die Ärzte und Schulkollegen – ich weiß, was das ist, ich bin Journalistin, ich spiele Quizduell. Am Wochenende fahren wir sie besuchen. Angezogen, geschminkt, leicht gelb im Gesicht, empfängt sie uns. Ich sehe gleich, dass ihr meine Kleidung nicht passt. Ich sehe das immer gleich, die letzten Jahre habe ich mich oft umgezogen, um Ärger zu vermeiden. Jetzt geht es nicht. Die Haare sind auch nicht mehr blond, schon lange nicht mehr und mit kritischem Blick auf meine Leibesmitte, erwähnt sie, wie viel sie abgenommen hat. Und Modeschmuck. Dann will sie mich, uns los werden: mein „Verehrer“, der zur Visite kommt, soll mich so nicht sehen, mutmaße ich im Abgang. Am nächsten Tag bestätigt sie mir das. Wir gehen essen, alles ist gut. Eine Operation wird angedacht, die Mutter wieder verlegt und in der Röhre beschließt sie, dass sie nicht mehr will. Und ich beschließe, diese letzte Zeit mit ihr in ihrem Haus zu verbringen. Sie ist der letzte Mensch, den ich habe von meinem Blute. Der Vater ist tot, Geschwister habe ich keine, Kinder wollte ich nie.

In diesen Tagen, zufällig ausgelöst durch ein Gespräch mit einem Herzensmenschen, stolpere ich über die Antwort, des Rätsels Lösung, den Weg für diese Zeit, den Trost, die Krücke. Dass die Mutter krank ist, nicht nur körperlich in den letzten Jahren auch seelisch, habe ich stets vermutet und nie innerlich laut zu denken gewagt. Stattdessen habe ich in Therapien und Ausbildungen – stets von ihr misstrauisch beobachtet – versucht meinen Irrsinn, mein „Grundgefühl Angst“ in den Griff zu bekommen. Mit Erfolg würde ich sagen und ich habe dieser Reise zu mir so manches wert-volle Werkzeug mitbekommen.

shot_1393442101523

Die Wut, die Leere, die fast verbrennende Nähe, die unendliche Ferne der Eiswüste, die Angst – Borderline, lese ich, während ich mich schneller und schneller durchs Internet klicke; 400 km von ihr entfernt und doch voll Scham und Angs ertappt zu werden. Ich bestelle Bücher, die üblichen Klassiker zum Thema: Christine Anne Lawsons „Borderline Mütter und ihre Kinder“ und „Übersehene Kinder“ . Heimlich lese ich sie, verschlinge sie, während die Mutter im Nebenzimmer schläft, ganz ruhig und tief. Eben habe ich sie noch liebevoll zu Bett gebracht, ihr Nachthemd vorgewärmt, eine Wärmeflasche zu den Füßen gelegt, den Boiler wieder kleiner gedreht, damit er nicht durchbrennt. „Mei bist du ein braves Kind“, sagt sei und ich freue mich aufrichtig, aber das Beben in mir bleibt.

Ihre Mutter war eine schöne Frau als junges Mädchen, erzählt sie, die schönste Frau für sie, stundenlang kann sie von der großen Lieb zu ihrer Mama erzählen, an meine Kindheit, unsere Zeit erinnerst sie sich nur sehr selten. Versuche ich mich in Nostalgie, antworte sie allzu oft: „Geh, lüg doch nicht.“ Die schöne Mutter durfte bei ihrer Schwester und deren Mann, dem Abgeordneten im Alpenbad servieren. Schlechte Zeiten waren das zwischen den Kriegen. Irgendwann hat sie den Spengler dort kennen gelernt, der mein Großvater war. „auch ein schöner Mensch“, sagt die Mutter. Und das er Lehrer werden wollte nicht Handwerker und eine böse Stiefmutter hatte und einen strengen Vater. Im Jänner haben sie geheirate, im April kam meine Mutter auf die Welt; 1930. Wegen der Mitgift war es, sagt Mama, die ihre Mutter sich selbst erarbeitet hat. Und dass ihre Mutter eigentlich nie wirklich um ihre Eltern getrauert habe: „Sie konnte nicht, da war zu viel zu tun.“

shot_1392915976341

Bald kam ein weiteres Kind zur Welt, ein Bub. Beide Kinder hatten Diphterie, schwere Zeiten, der kleine Bub starb im Krankenhaus, meine Mama überlebte, eine Zeitlang blind, aufopfernd gepflegt von ihrer Mutter, die hochschwanger war und auch noch ein Geschäft führte. Ein weiterer Sohn wurde geboren, er erhielt den Namen des Verstorbenen. Später folgten noch zwei Kinder – die jüngste Tochter sehr spät, zu Kriegsende erst. Das kleine Mädchen, das meine Mutter war, arbeitet Früh im Haushalt mit, begleitete den hochneurotischen Vater, der Angst im Dunkeln, vor Plätzen, vor dem Leben hatte, bei seinen Wirtshaustouren. Immer wieder war sie auch im Alpenbad, wo sich ihre Eltern kennen gelernt hatten.

Manchmal kam der Onkel zu ihr ins Bett, auch zu ihrer Cousine seiner Tochter. Lange dachte sie, das sei der Preis für alles, das Opfer, das sie bringen musste. Erst im Alter hat sie erfahren, dass ihr Vater dem Onkel Geld geliehen hatte, damit dieser sich ein Pferd kaufen konnte. Ich glaube mich an ein Foto des Onkels zu erinnern, schnauzbärtig auf einem Schimmel sitzend, Herr und Wirt und Kinderschänder. Irgendwie hat er sie geliebt, glaubt meine Mutter, nur sie verbrachte anscheinend Zeit im Alpenbad, ihre Geschwister nicht. Der Missbrauch über Jahre hinweg hat ihre Kinderseele zerstört. Dazu kamen Gewalterfahrungen. Immer wieder erzählt sie mir die Geschichte, als ihr Vater sie so geschlagen hat, dass sie Sterne sah – ihre Mutter war mit einem Soldaten – er musste am nächsten tag an die Front – ins Kino gegangen. Mein Großvater sah offenbar keine andere Möglichkeit seine starke Frau zu bestrafen, als das Kind zu verprügeln.

shot_1392474366989

Was für ein armes kleines Mädchen meine Mutter war – und auch wenn sie ihre Eltern stets verteidigt, muss so vieles in ihr zerbrochen sein in jenen Jahren. Die Brüder wurden bevorzugt, sie musste die Schule abbrechen, um für sie da zu sei. Bis heute verteidigt sie ihre Eltern, ihre Brüder sprechen von Kälte, Lieblosigkeit und Zwang. Ein fesches elegantes Mädchen muss sie gewesen sein in jenen Nachkriegsjahren, da gab es Verehrer, aber die Erlebnisse mit dem Onkel waren wohl auch ein Tugendschutz. Sie ging als Kindermädchen nach Italien, kümmerte sich in einem reichen Haushalt um drei Buben. Gerne wäre sie dort geblieben, sagt sie. Und dass niemand sie zurück wollte. „Mein Vater?“ ergänze ich – seine Familie, um sie auszunutzen, behauptet sie.

Meinen Vater hat sie in der Straßenbahn kennen gelernt. Auch er hatte harte Zeiten hinter sich, wie wohl alle, die 1930 geboren sind. Dass sie ihn geliebt hätte, hat sie nie gesagt, dass sie irgendwann heiraten wollte ja, sie war eine späte Braut und eine noch spätere Mutter. Sehnsuchtsvoll habe sie auf ein Kind gewartet, ihre Schwägerin, die Frau des Bruders meines Vaters hatte schon zwei „scheene Kinder“ zur Welt gebracht bevor ich endlich unterwegs war.

shot_1385021392997

Vielleicht hat sie gehofft, dass endlich alles gut wird, dass sie endlich belohnt wird, wenn sie ein Kind bekommt. Ein Sohn hätte es sein sollen, um die Töchter des Schwagers zu übertreffen. Von der Schwangeren gibt es keine Bilder, auch keine Erzählungen, nur diese eine Geschichte, als sie ein, zwei Monate vor meiner Geburt fast zehn Kilometer über die Felder zu einer Wallfahrtskirche gerannt war – sie, die nicht gläubig ist, nur an die Kraft des Gehens glaubt, als Medizin gegen jedes seelische Unbill. Es schneite heftig, mein Vater suchte sie verzweifelt. Ich habe mich oft gewundert, warum sie das angeblich so sehnsüchtig erwartet Kind solchen Gefahren aussetzte.
1552 mal erzählt
logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

shot_1307183083893

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6491 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Feb, 15:42

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter