5
Jun
2014

Welchen Tag haben wir heute?

„Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“ hieß ein Buch in unseren Regalen. Morgens um sieben schläft Mama noch ein bisschen. Meist sind wir um fünf aufgestanden, um drei, around midnight. Das Handy weckt mich. Sie ruft an, wenn sie mich braucht. Meine Schlafzimmertüre – das Vaterzimmer neben ihrem – ist zu. Ich brauche die Privatheit, ich ertrage auch die durchgehende Beschallung mit Radio Tirol nicht. Also, Anruf genügt, ich werfe mein Hemd über, binde manchmal sogar die Haare zurück und eile. Oft bewundert sie die Geschwindigkeit, mit der ich bei ihr bin. Wir stolpern, sie weil es Nächtens noch schwerer fällt, die müden Füße zu heben, ich schlaftrunken und geblendet vom Licht, das sie aufdreht. Toilettenrituale, retour.

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Morgens um sieben streife ich durch die Social Media, höre Ö1 in der Küche und schneide Früchte für Mamas Frühstück, auf dem Herd brodelt mein Kaffee in der roten Espressokanne. Die Stiege ist gewischt, meine Bettdecke über die Balustrade gehängt, Teppichfalten geglättet, die Sauna im Keller aufgedreht, damit ich beim Duschen nicht frieren muss. Wenn ich den Obstteller und die morgendliche Medikamentenration serviere, erwacht sie. Ich spüle die Gallendrainage, wenn die Krankenschwester erst später kommt oder überlasse es ihr. Das mache ich gut findet sie, ganz sanft. Im Nachthemd – gestern von mir gebügelt – sitzt sie kerzengerade vor dem Obstteller, den Reifegrad der Früchte kommentierend, ich hole den Schlafrock, ziehe ihn ihr an, hole Zucker, falls gewünscht und die Tageszeitung aus dem Windfang, der Todesanzeigen wegen.

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Küche aufräumen, sie will hinunter gehen, bald, gleich und die Dusche wieder abgedreht. Keine Zeit. Später, vielleicht. Hausfrauenpflichten. Die Ordnung muss hergestellt werden. Die Mutter wischt in der Küche hinter mir her, sie räumt, vor allem weg. Manchmal verteidige ich kleine Winkel, mein Wasserglas mit den Limetten, meist verlasse ich den Raum. Und so geht es weiter – unterbrochen von Klogängen – manchmal dröhnt der Fernseher – „Verbotene Liebe“ – aber das interessiert sie längst nicht mehr, sie schlurft durch die Räume glättet Teppichfalten, entsorgt welke Blüten. Wir reden wenig, oft sind sogar die Befehle stumm.

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Ihr Blick ist müde, von der anderen Seite, das Morphium wohl. Und doch: keine welke Blüte entgeht ihr, unbarmherzig rupft sie sie mit der gesunden Hand ab, den Gips nach hinten gestreckt. Ihr Schritt wird sicherer bei den Spaziergängen. Untertags schläft sie kaum. Auch ich finde keine Ruhe. Am ehesten beim Bügeln. Die Krankenschwesternstunden sind für uns beide Höhepunkte an den Wochentagen. Ich kann für eine Stunde entfliehen, die Mutter ihre Geschichte erzählen.

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Dann Mittagessen, meist nicht gut genug. Nur einmal war es schmackhaft – wie bei der Signora – die Pastasauce kam aus dem Glas, die Köchin ist gekränkt. Aber das Alter und das Konveniencewunder – echtes Essen verbreitet auch Geruch und schafft Unordnung – lassen mich verstehen, ich esse mit und die Reste, die mir wortlos über den Tisch geschoben werden – dasselbe Spiel in den Gasthäusern. Früher war es mit Pralinen so – sie biss sie an und stopfte die andere Hälfte wortlos mir oder dem Vater in den Mund. Ungeduldig wartet sie während ich koche, beobachtet jeden Handgriff – kaum serviert, legt sie los, ob was und wann ich esse ist egal. Vorher muss gewischt und gekehrt werden, nachher wird sie das wieder tun. Zen oder die Kunst, die Küche sauber zu halten. Teppichfalten.

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Es ist die Mad Tea Party aus Alice in Wonderland. „Was mache ich noch hier?“ fragt sie mich und sagt: „Das ist doch kein Leben…“ Aber zumindest deines, denke ich mir und dass ich ein anderes habe, kein Hausfrauenleben mit Teppichfalten ungeglättet, das mir morgen wieder in Gestalt des geliebtesteten 1. Offiziers zur Seite steht und in den Armen liegt. Ich schweige und lächle. Vier Tage im Monat darf ich zurück in meine Welt, haben wir ausgehandelt, mit Unterstützung guter Geister erscheint es ihr letztendlich als ihr Plan. Vier Tage, drei Nächte – Kaisermühlen und Vorderdeck.

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Nachtdienst, bald kommt der 1. Anruf …
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Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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