28
Mai
2011

Späte Antwort

Lieber David,

gestern haben mich deine Briefe erreicht, vielen Dank dafür, noch einmal. Ich weiß nicht, ob ich auf alle geantwortet habe, ich werde das jetzt nachholen. Was waren das für Nächte, in denen wir uns kennen gelernt haben, ich könnte mich nicht erinnern, dich bei Tag gesehen zu haben, doch einmal im Drechsler, glaub ich.

Denk ich zurück, sehe ich uns trinken und lachen. Und jene Samstagnacht, als ich in der großbürgerlichen Wohnung in meinem Gästebett lag und du plötzlich zu mir kamst mit dem Doppelliter. Schöne große Räume. Du kommst aus einer „guten Familie“, altösterreichisch, Zell am See, Wohnungen in Bürgerhäusern. Du hast Treff geraucht und Johnny ohne, Tom Waits haben wir dort gehört und auch Schubert. Bernhard, Bukowski und Baudelaire gelesen. Geredet endlos.

Hast du Architektur studiert oder warst du an der Angewandten? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß, dass du schön warst, groß und schön …und betrunken. Aber das war ich auch. Und traurig warst du, waren wir, wütend, verzweifelt, jung.

Du hast mir später dein Rezept verraten in deinem Brief: „Du musst dich nur so lange fertig machen lassen, solange bis du dich nicht mehr wehrst, bis du plötzlich keine Kraft mehr hast gegen die dich von allen Seiten anstarrenden Teufelsfratzen anzukämpfen.
Ist dann erst dein Widerstand gebrochen, fällt der Rest wie Schuppen von deinen Augen.
Du erkennst, daß im Großen und Ganzen alles nur halb ist.
Halblustig, halbtraurig, das verdammte – halbe – Mittelmaß und dann erkennst du, daß das Mittelmäßigste in diesem 0815-Leben du selbst bist.
So ist es mir gegangen. Ich habe alles gesehen, alles verstanden, hab es akzeptiert und lebe jetzt mein halbes Leben ganz ruhig.“

Das wusste ich doch auch, David, das mit den Teufelsfratzen und dem halben Leben und ich hatte genauso Angst davor wie du. Deswegen schöpften wir aus dem Vollen, auch aus vollen Gläsern, auch in dieser Samstagnacht. Du trinkst zu viel, haben sie mir erzählt, meine Freunde, das einzige, das uns verbindet. Du schreibst von deiner besonderen Beziehung zum Alkohol und erzählst mir, wie du mit Wein vor dem Fernseher Heinz Conrads 70er gefeiert hast. Der ist auch schon tot.

Auch über die Liebe schreibst du in diesem besonderen Brief: „Etwas, was ich ganz im Geheimen vor meiner Halbheit verstecke, ist meine Liebe, die ich geben darf, die erwidert wird, die spüre ich zumindest nicht halb, sondern diese Liebe klammere ich völlig aus aus meinen Halbheiten, ich liebe sie still und intensiv für wenige Wochen im Jahr, aber es ist gut und macht mich glücklich.“

Ach David, wie recht du hast mit der Liebe, aber auch das andere Leben besteht nicht nur aus Halbheiten, wenn man die Liebe als essentielle Zutat hinzufügt, nicht nur wenige Wochen im Jahr…

Du dankst mir dafür, dass wir nicht miteinander geschlafen haben in jener Nacht vor 28 Jahren, ich hätte dir das Leben gerettet…wir haben viel von Liebe und Freitod geredet, eng aneinander geschmiegt in dem antiken Bett, Weißweinküsse, aber ich war in jener Zeit so müde vom mich verschenken, hatte mich zu oft verschenkt und du warst mir auch zu schade dafür und ich hatte Angst vor deiner Liebe. Kurz nachdem ich dich weg geschickt habe, knallte ein Auspuff. Es klang wie ein Schuss. Dann schriebst du mir den ersten Brief. Ich bin nicht mehr oft nach Wien gekommen, haben wir uns wieder gesehen?

„Mock Turtle, gib nicht auf, kämpfe so lange du kannst, du wirst lange kämpfen, vielleicht ewig, aber du wirst in diesen Kämpfen Kraft finden, Kräfte, aus denen du dein Glück baust und es auch erhältst.“

Ja David, du hast so recht behalten und wie gerne würde ich dir das sagen. Aber du bist ein Jahr später gestorben. Lungenkrebs. Dabei hattest du, glaub, ich ein nettes Mädchen gefunden, sie zu lieben und das Trinken reduziert. Unsere Welten berührten sich kaum mehr, jeder beschäftigt für das Glück zu kämpfen. Dabei muss man gar nicht so wild kämpfen, hinsehen reicht. Und Lesen in alten Briefen.

„Paß gut auf dich auf, und mache so wie ich weiß dass du es immer kannst das Richtige“


Du hast an mich geglaubt David, Danke, dass du in meinem Leben warst – was ich damals nicht gewusst habe: Ich liebe dich ...wie all die anderen, die mein Leben geprägt haben, über deren Briefe ich gestern gestolpert bin.

Deine Mock Turtle

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In Memorian Gil Scott-Heron RIP
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https://katiza.twoday.net/stories/18136599/modTrackback

steppenhund - 28. Mai, 13:17

Alles, was wir sind, sind wir durch Begegnungen.
Oder gibt es da noch mehr? Gibt es unser Ich, dass die Begegnungen erst zu dem werden lassen, was sie in uns bewirken? Oder prägt die erste Begegnung, die mit der Mutter, alle weiteren Begegnungen?
-
Lesen wir Briefe nicht ganz anders, wenn wir sie später wieder lesen, als zu dem Zeitpunkt, wenn wir sie zuerst erhalten haben.
-
Mir geht es oft so, dass selbst positive Gefühle, die ich zu jemandem hege, die Wahrnehmung des geschriebenen Worts erheblich verzerren. Erst nach Jahren stelle ich fest (wenn mir so ein Schreiben zufällig in die Hände fällt), dass aus dem Text noch ganz Anderes herauszulesen war, als ich damals verstanden habe.
-
Ich liebe es, die Zeit verlaufen zu sehen...

katiza - 29. Mai, 13:45

rosmarin - 31. Mai, 01:22

...... .... ......... .... ......... . ...... ...... .....!
http://www.youtube.com/watch?v=XewO1DB96To&feature=related

katiza - 1. Jun, 21:15

schneck08 - 1. Jun, 00:02

"Johnny ohne", die in der Jeanspackung? /Ach Katiza....

katiza - 1. Jun, 21:19

So war das damals .... genau die nur ohne...
Jossele - 3. Jun, 20:11

Sich mitnehmend, sowieso, miteinander Ich, über die Zeit.

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