16
Mai
2008

Eiskaffee mit der Kindheit

Sie war die beste Freundin meiner Kindheit – eine Mädchenfreundschaft wie diese hab ich wohl nie mehr erlebt. Sie wohnte neben uns in der Arbeitersiedlung. Es gibt Fotos, auf denen wir Händchen haltend lachend als Dreijährige durch unseren Garten tollen. Und andere später, auf denen wir ernst schauen.

Sie hatte lange blonde Haare, einen dicken Zopf, der sogar über ihren Popo hinunter hing. Die Haare waren sehr schwer, hat sie mir einmal erzählt, vor allem, wenn sie sie wusch und das war auch sehr mühsam. Sie durfte sie nicht schneiden lassen. Wegen ihres Vaters. Der war streng und manchmal kam auch der Teppichpragger zum Einsatz. Meine Mutter hat eher mit der Hand zugeschlagen. Und sich nachher entschuldigt.

All das fällt mir ein, als ich mich mit der Freundin treffe. Zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen. Und haben uns lange vorher schon verloren. Wir haben verschiedene Volksschulen besucht und schließlich kam ich ins Gymnasium und sie in die Hauptschule. Dabei war sie gleich intelligent wie ich, die Fleißigere, die Ordentlichere und sie konnte wunderbar zeichnen. Aber ich war eben das Bürgerkind, das aufs Gymnasium musste. Ich habe sie unterwegs verloren, aus Unachtsamkeit, wie viele Menschen und Dinge auch.

Sie hat den Kontakt gesucht und so freu ich mich auf das Treffen in der Stadt, in der ich jetzt schon mein halbes Leben verbracht habe. Unterwegs zur Eisdiele kommt mir immer wieder das kleine blonde Mädchen in den Sinn. Es wäre dumm, danach Ausschau zu halten nach all der Zeit. Und doch suche ich - dort angekommen - einen Blondschopf. Und dann blick ich plötzlich in andere suchende Augen. Da ist sie. Die Augen erkenne ich sofort. Wir sind sehr aufgeregt, alle beide. Ihr Mann ist dabei.

Während sie spricht kommt langsam das kleine blonde Mädchen wieder hervor. Es ist der Klang der Worte, auch wenn es die Stimme einer Frau ist, die Augen, die so oft, wenn sie etwas gesagt hat, Kontakt suchen, wie um sich das Verstehen bestätigen zu lassen. Das war früher auch so. Die Hände, die sie therapeutisch nützt. Shiatsu hat sie gelernt – wie mein Mann. Das freut mich. Sie auch, seh ich, denn sie lächelt. Winzige Indizien der Vertrautheit. Manchmal erahnen wir zwischen den Worten die Kindergeheimnisse von einst.

Und plötzlich weiß ich wieder, dass sie die einzige Vertraute war in meinem Kleinmädchenschmerz, dass sie viel gewusst hat und immer da war. Habe ich mich zuerst nur an ihre Ängste und ihr Kinderleid erinnert, weiß ich jetzt, dass sie auch meines mitgetragen hat. Dass jede den Schmerz der anderen spürte. Es tut mir so leid, dass ich sie verloren hab.
Ich bin so froh, dass sie mich wieder gefunden hat.

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1001 mal erzählt

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MaryJanes - 16. Mai, 09:16

Wie schön. Freu mich für dich!
Ich hatte das große Glück mein Leid und meinen Schmerz mit 2 Schwestern teilen zu können.(hinfreicherweise eine älter eine kaum merkbar jünger) Und genauso habe ich auch ihren Schmerz mitgetragen. Das Gute bei Schwestern ist nur, man verliert sich nicht so leicht aus den Augen, auch wenn es Zeiten des Unverständnisses und der Distanz gibt, so kann man sich doch immer ihrer Gegenwart gewiss sein.

katiza - 20. Mai, 14:30

Oh ja, da hab ich wohl ein Einzelkinddefizit - aber einige Wahlverwandte, die mich darüber hinweg trösten.
nixcik - 19. Mai, 01:08

Nicht nur sie hat dich gefunden - auch du sie.
Danke für diese Geschichte, Liebe. Wir haben alle unsere Zöpfe, glaub ich.

katiza - 20. Mai, 14:29

Wir dürfen sie abschneiden - hat sie zumindest gemacht. Sie trägt die Haare wieder lang, aber in der Länge, die sie möchte.
Anousch O. - 20. Mai, 22:40

Eine schöne Geschichte, liebe Katiza.
Sie erinnert mich an eine Begebenheit, das Ende meiner Kindheit.
Ich spüre noch heute das seltsame Gefühl, als ich merkte, dass die Kindheitsspiele nicht mehr so unbedingt Spaß machten wie früher. (Das genaue Alter weiß ich nicht mehr.) Ich saß mit meiner besten Freundin J. auf dem Teppichboden und vor uns war der Tierpark aufgebaut. Natürlich hatten alle Tiere menschliche Eigenschaften und so herrschte immer mächtig Radau. Und plötzlich spürte ich eine Entfremdung, wie eine kleine Depression.
Der Verlust der Kindheit fühlt sich an, wie wenn man sich entliebt.

katiza - 21. Mai, 12:49

Ich glaube zu wissen, was Sie meinen. Nach Naikan habe ich manchmal das Gefühl dieses Entfremdung, Depression und die erschreckende Klarsicht, die mit dem Entlieben Hand in Hand geht - seltsames sprachliches Bild aber passend.
diefrogg - 23. Mai, 10:11

Das ist...

eine schöne Geschichte und erinnert mich dran, dass ich schon lange diejenige von meinem Mailkontakt mit meiner Schulfreundin erzählen will. Wenn ich nur endlich Zeit hätte!

katiza - 23. Mai, 17:53

Zeit müssen Sie sich nehmen - an die Tasten, Frau Frogg, Bitte sehr....
twoblogs - 23. Mai, 13:52

Mir gefaellt dieses Bild, anscheinend auf eine Mauer gesprayt, sehr. Die beiden Koepfe suggerieren Naehe in Nachdenklichkeit. Die Blicke treffen sich nicht. Fuer mich sind die beiden Striche der Hauptanziehungspunkt – ich denke sofort an eine Zigarette; aber auch einen Strohhalm, an dem beide gleichzeitig saugen. Grueessli von Audrii

katiza - 23. Mai, 18:00

Schön, gelle,Audrii - die Striche könnten auch der nicht abreissende Strom der Wort sein....
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