13
Jul
2009

Oh, ein Buch

Meine Neffen sind nicht getauft – sie haben trotzdem wunderschöne Namen, päpstlich der jüngere, beinahe päpstlich der Ältere. In ihren Ursprungsfamilien ist man nicht sehr katholisch im Gegensatz zu meiner Tiroler Heimat. Cousinnichten und –neffen wachsen mit dem Jesukind auf, im Schrank steht die Taufkerze, im Regal die Kinderbibel und in einem Winkel der Herrgott. Als mein Vater starb waren sie sich sicher, dass der Onkel jetzt dort droben über sie wache.

Bei uns hing der Herrgott in einem Winkel im Vorraum und eine schwarze Madonna bewacht den Eingang. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass meine Eltern in die Kirche gegangen wären. Die Mutter haderte mit Gott wie mit den Menschen. Beten habe ich von meiner Großmutter väterlicherseits gelernt – „der jüdischen“, wie die Mutter gerne betont. Fast hätten sie sie ins Lager gebracht, damals, als mein Vater Kind war. Als ich ein kleines Mädchen war, saß ich mit sauber gefalteten Händen in einem Bett aus dunklem Holz, das in die Nische des kleinen Eckzimmers ans Schlafzimmer der Großeltern grenzend eingebaut war. „Vater unser, der du bist im Himmel.“ Von unendlichen Schätzen war ich umgeben, „geheiligt werde Dein Name“. Kissen mit flauschigen Hundegesichtern bestickt und Wettertiere. Die für das Kind wunderschönen kleinen Statuetten waren über und über mit Glitzer bedeckt und zeigten durch Wechsel der Pastellfarben einen Wetterumschwung an. „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden.“ Noch mehr Wunder bot der große Schrank im benachbarten Schlafzimmer. Die Großeltern reisten gerne und der Schrank war voll der kitschigsten Souvenirs, deren Glanzstück: eine Madonna von Lourdes, die im Dunkeln leuchtete. „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Auch meine winzige Oma faltete die Hände voll Altersflecken und prächtiger Ringe im Schoß. Ich höre ihren Singsang und mit diesem speziellen Tonfall der Betenden hing wohl auch ein Missverständnis zusammen, dem ich lange anhing: „Und vergib uns unseren Schuldi, wie auch wir vergeben unseren Schuldi gern.“ Ich hielt Schuldi für eine alte Version von Schuld und mir erschien es nur logisch, dass die höchste Form der Vergebung jener entspricht, die man gern sich selbst gewähren würde. Der Rest ging schnell: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Gute Nacht Bussi.

Vielleicht habe ich von ihr damals die Kinderbibel bekommen. Ich mochte die Geschichten darin in all ihrer Dramatik und Blutrünstigkeit. Leiden, Sühne, Opfer, Sehnsucht, Schmerz, Liebe, Strafe faszinierten das kleine Mädchen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich irgendwann Märtyrerin werden wollte, lange bevor Märtyrertum wieder im allgemeinen Sprachgebrauch landete.

Gott gefiel mir – in der Strenge des Alten Testaments – in meiner Kinderbibel fand sich auch die Geschichte von Abraham und Isaac. Der ausgesetzte Moses im Weidenkörbchen führte mich damals ins alte Ägypten, das jahrelang Phantasie und Wissensdurst beflügelte. Und dann das neue Testament mit dem langhaarigen gütigen Jesus, der sich als eine Art gewaltloser Robin Hood – mal von der Tempelhändlergeschichte abgesehen opferte. Quälerei und Spott inklusive. Maria Magdalena beflügelte meine Phantasie, wie sie mir ihrem langem Haar dem Jesus die Füße trocknete. Das kribbelte – irgendwie. Brot und Fisch und die Hochzeit zu Kanaan.

Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten, den katholischen Glauben hatte ich schon viel früher verloren. Irgendwann in den Teenagerjahren. Den Religionsunterricht habe ich trotzdem bis zur Matura besucht. Altes und Neues Testament stehen im Bücherregal. Ich liebe Friedhöfe und Kirchen. In letzteren zünde ich Kerzen an, wie früher oft mit meinem Vater. Er hat mir zu manchen Abschieden mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn gemalt. Ich ritze ein Kreuz in die Untersete eines Laibes Brot, bevor ich ihn anschneide.

Der Herr Jesus, der in den Kirchen wohnt, hat den Neffen schon als kleinen Buben interessiert. Während er heranwuchs, wurde mir bewusst, wie sehr mein inneres Kind, das ich gerne zum spielen mit ihm raus lasse, im Glauben ist. Ihm kann ich nicht erklären, dass mein Papa im Himmel ist, dass Jesus zu Weihnachten geboren wurde und zu Ostern gekreuzigt. Es könnte Eltern und Großeltern stören, ihn beunruhigen, verwirren. Der kleine Herr Diplomingenieur sucht keinen Topf voll Gold am Ende des Regenbogens, sondern weiß, dass das eine Spiegelung der Luft ist. Den Herrn Jesus hat er gern besucht, sich neugierig umgesehen und Erklärungen für alles gefordert – wie stets.

Er hat ein Kreuz aufgehängt, hat die Schwägerin erzählt, ganz allein in seinem Zimmer. Ich schmunzle. Ich habe damals viele Kreuze gebaut, in der Märtyrerzeit und Marterln, an jeder Stelle, wo wir uns verletzt haben, zum Dank für die Rettung. Jetzt hängt ein Kreuz im Kinderzimmer. Daran mag wohl auch die ländliche Volksschule schuld sein und sein Integrationswunsch.

Eine Bibel, erklärte ich also dem Liebsten, eine Kinderbibel, wolle ich ihm schenken zum 7. Geburtstag. Dass er’s zuhause hat und lesen könnte, der Lesemuffel, damit er die Geschichten kennt. Diese archetypischen Geschichten unserer Kultur ohne deren Kenntnis – und ich glaube auch, das Aufwachsen damit spielt eine zusätzliche Rolle, sie werden vom Märchen zur großen Metapher – mir Hintergründe so viele einzigartige Werke der Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur – auch Popkultur verborgen geblieben wären bis hin zu Four Horseman von Aphrodites Child oder Raumschiff Enterprise.

Also fragte ich die Schwägerin, ob es denn erlaubt sei eine Bibel zu schenken, ich wolle bloß keinen Erziehungskonzepten widersprechen. Erlaubnis erteilt. Bibel erstanden. Empfohlen vom kleinen sympathischen Buchhändler. Mit historischen Erklärungen – so lebten die alten Ägypter – für den kleinen Herrn Diplomingenieur. „Und was wird das richtige Geschenk?“ fragt der liebst und er meint das mit den leuchtenden Kinderaugen, das mit dem man punkten kann als Superonkel, Supertante. Ich erinnere mich an letztes Jahr: Drei Experimentierbaukästen (ab 8 Jahren) für den kleinen Naturforscher, bis heute wohl ungenutzt. „Ein Buch ist ein richtige Geschenk“, insistiere ich: „Die Bibel. Es kommt nur auf unsere Einstellung an.“

„Da ist noch ein Geschenk“, sagt die Schwägerin: „Von Tante und Onkel.“ Er reißt es auf: „Oh ein Buch. Er packt es nicht zu Ende aus. Später, vielleicht.

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nanou - 13. Jul, 20:39

Da ist aber viel drin ...
eigene Erinnerungen an Kindheit und Religiosität - ein Wahnsinnsthema. Ich war zwar nicht katholisch, aber das "Vater unser" habe ich ebenfalls gebetet - inbrünstig und tief und ohne recht zu verstehen, was ich da sprach - das kam erst später.
Mein Patenkind ist nur deshalb getauft worden, weil die Eltern in ihrem Wohnumfeld sonst für die Kleine in Kindergarten und Schule "Nachteile" befürchtet hatten. Auch ein Motiv. Die Kinderbibel, welche ich - nach Erlaubnis der Mutter - schenkte, landete ebenfalls schnell in einer Ecke. - Ich denke, wenn sie erst mal lesen kann, werde ich mir das Buch mal in einem günstigen Moment schnappen und vielleicht mag sie mitgucken ... Kinder und Bücher - das geht meiner Erfahrung nach meist nur im gemeinsamen Erleben und Vormachen, aber wenn man mal gemerkt hat, welch fantastische Welt da existiert, und einigermaßen lesen kann, dann gibt es kaum ein Halten ...

katiza - 14. Jul, 07:19

Ja, das plane ich, ihn zum Lesen zu verführen, weiß eh, dass dafür die Bibel nicht ideal ist, aber eben vielleicht später...
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