16
Aug
2009

Bali: Liebe und Tod auf….

Was meine Reiselektüren angeht, bin ich ein wenig wie diese Studienräte in Sandalen mit Socken. Bildungsbürgerlich greife ich neben mindestens einem Reiseführer zum passenden Roman: Also Pompeji für Neapel und Amalfiküste, Il Gattopardo für Sizilien und eben die schon erwähnte Vicki Baum für Bali. Das Exemplar, das hier vor mir auf dem Tisch liegt, ist Hardcover, Buchgemeinschaft Donauland und ich habe es aus dem Bücherregal im Wohnzimmer meines Elternhauses. Dort ist es gestanden, seit ich denken kann. Ich muss es auch gelesen haben, damals als ich dort alles las, Simmel und Dostojewski, Francoise Sagan, Arthur Hailey. Dunkel kann ich mich an das Buch erinnern, es muss wohl irgendwann in den 1960ern erschienen sein, denn auf den letzten Seiten werden Bücher empfohlen mit Worten wie: „Dieser Roman überragt kilimandscharohoch alle Fachbücher über Afrika, weil er ein Aufbruch ins Innere nicht nur des schwarzen Kontinents, sondern der Neger selbst ist!“ Heute, wo ich mit Bekannten darüber diskutiere, ob man zu einer Süßspeise nach wie vor „Mohr im Hemd“ sagen darf, mutet so etwas doch ein wenig seltsam an.

Aber zurück zu „Liebe und Tod auf Bali“. Es ist verblüffend, wie viel vom Bali des Jahres 1906, nachempfunden von einer österreichischen Schriftstellerin 20 Jahre später im heutigen Bali noch vorhanden ist. Neben Internet-Cafes, Biomärkten, Dolce&Gabbano-Läden haben Hahnenkämpfe, Hexen, Familie, Glaube und Aberglaube ihren fixen Platz. Nicht einfach für Frauen wie Birgit und Silvana, beide mit Balinesen verheiratet, Mütter entzückender Kinder, die das Beste beider Welten in sich zu vereinen scheinen. Die beiden sind wohl auch irgendwie symptomatisch für das neue Bali.

Silvana, die große Blonde aus Mecklenburg, bietet mit ihrem Mann Ketut balinesische Kochkurse an. Wir sind ihre ersten Gäste und so ist sie ein wenig verlegen als sie uns mit leichter Verspätung um 7:15 Uhr morgens vor dem Hotel abholt. Längst sind wir von den Jungs aus dem Warung auf der anderen Straßenseite umzingelt. „Where you come from? How long in Bali? Where go to? Need Transport? Want cigarette? Want Kofi?” Wir fahren zu einem nahe gelegenen Markt, wo wir die einzigen Weißen sind. Wir bestaunen und werden bestaunt. Kleine Kinder werden verstohlen auf dieses seltsame Trio aufmerksam gemacht: Die große blonde Frau, der Mann mit Zopf und Sarong, die zweite Frau mit rotem Hut.

Wann immer wir mit dem Auto unterwegs sind, begegnen uns Gruppen marschierender Frauen und Kinder. Sie üben für den Nationalfeiertag, wird uns erklärt. Silvana erinnert das ein wenig an ihre Kindheit in der DDR. Dieses Aufeinanderprallen der Kulturen ist ihr vertraut - Traditionen und Riten treffen auf das dritte Jahrtausend, eine Gesellschaft in der die Gemeinschaft das höchste Gut ist trifft auf eine Welt der Egozentrik. Manches erinnert sie an Wendezeiten, erklärt sie, und auch sie selbst und Ketut lassen sich auf diese Gradwanderung ein.

Das Huhn für unsere balinesische Kochlektion kaufen wir im Supermarkt – am Markt waren wir zu spät dran, um noch für unsere Mägen verträgliches Fleisch zu kaufen. In den Regalen finden sich jede Menge Cremen und Duschbäder zur Hautaufhellung. Silvana bemerkt meine Verwunderung: „Jeder will eben, was er nicht hat. Leider gilt auch hier, je heller, desto besser.“ Tampons gibt’s keine, die sind tabu.

Ketuts Familie lebt in Seraya Tengah, einem langgezogenen Dorf im Osten von Bali. Silvanas Schwägerin hat einen Tag vorher ein Kind bekommen, sie stillt es auf der Terrasse ihrer Hütte. Ein Schwein für das Dreimonatsfest dieses Kindes wurde bereits ausgesucht, erklärt Silvana und zeigt uns ein schwarzes Ferkel. Die ersten Zeremonien fanden bereits während der Schwangerschaft statt. In sechs Hütten lebt hier die Familie. Ketut, seine Brüder und die Eltern. Nur ein Bruder sei weggezogen, die übrigen bei der Familie geblieben, wie es sich gehört. Deswegen sind hier – wie in vielen anderen Gesellschaften – Söhne so wichtig. Und Silvana hat einen Sohn geboren, ein blonder kleiner Bub mit karamellfarbener Haut, der Liebling seiner Großmutter, die uns neugierig beobachtet. Sie weiß wohl nicht, ob sie es gut heißen soll, was ihr die fremde Schwiegertochter da ins Haus gebracht hat: weitere Fremde. Irgendwann erwidert sie dann unser Lächeln.

Die Familie hält Schweine und Hühner, zwei Hunde streunen am Hof herum, sie bauen Mais an, Ingwer und Chili. Ketut besteigt eine Kokospalme und offeriert uns frische Nüsse zum Trinken. Später dürfen wir auch vom Tuak, dem Palmenwein, den der Vater selbst aus einer Palme zapft, probieren. Er schmeckt wie Sturm und steigt schnell zu Kopf.

Samy heißt der kleine Sohn der beiden, Samy Wayan, denn die Kinder werden in Bali nach der Reihenfolge ihres Kommens benannt: Wayan heißt der/die Erstgeborenen, auch Pudu oder Gede, Made, Kadek oder Nengah heißt das zweite Kind, Nyoman oder Koman das Dritte und das Vierte Ketut – dann fängt man wieder von vorne an. Geboren wurde der kleine Bub in Deutschland, Ketut, sein Vater, war dabei.

Gemeinsam bereiten wir ein köstliches Menü zu, ein großer Teil der Zutaten stammt aus dem eigenen Garten. Silvana zeigt uns das Guesthouse, das die beiden zu bauen begonnen haben und voll Stolz auch den Kompromiss mit ihrer deutschen Herkunft: Ein richtiges Klo. „Das musst sein“, grinst sie: „Ein Thron.“ Und irgendwie kann ich sie verstehen.

Umringt von Hühnern und Hunden, die auf einen Bissen warten, verspeisen wir auf einer Bale sitzend das mit vereinten Kräften Gekochte. Als wir am Ende dieses Tages auseinander gehen sind wir fast schon Freunde. Und wir vereinbaren, dass Ketut uns am nächsten Tag um Mitternacht auf den Vulkan führen wird. Silvana bringt uns zurück in unser Hotel. Auf der Speisekarte in dem von einem Deutschen gemeinsam mit einer Balinesin geführten Haus steht etwas von „originally balinese food“, davon und vom Leben auf Bali haben wir an diesem Tag wirklich kosten dürfen.

28d
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