20
Aug
2009

Bali: Götterdämmerung

Es ist Mitternacht, als uns Silvana und Ketut vor unserem Hotel abholen. Den kleinen Samy haben sie mitgebracht, seine Mutter wird mit ihm im Auto beim Vulkan übernachten, während sein Vater uns hinaufführt. Jetzt dösen Vater und Sohn Brust an Brust. Ich bin aufgeregt, habe ein wenig vorgeschlafen und fürchte mich trotzdem vor dem nächtlichen Aufstieg auf den Gunung Agung. Fünf Stunden steht im Reiseführer, das will erst geschafft sein. Wir haben die Bergschuhe an, die uns bereits auf unseren ersten Vulkan, den Piton de la Fournaise begleitet haben, und die Regenjacken im Rucksack. Die Trekkinghose habe ich zu Haus vergessen. Jetzt hoffe ich, dass die Baumwollhose, die ich in Ubud gekauft habe auch gute Dienste leistet. Wir haben neue Batterien für die Taschenlampen und jede Menge Wasser in den Rucksäcken.

Fast zwei Stunden fahren wir durch die Nacht. Die Straßen sind oft schlecht und Silvana passt auf, um keines der Tiere, die unseren Weg kreuzen – Frösche, Ratten, Schlangen, Hunde – zu überfahren. Manchmal flimmert ein Fernseher durch die Nacht – auf einer Bale, einer jener offenen Plattformen, die hier zu jedem Haus gehören, die Häuser auch oft ersetzen. Irgendwann regnet es – bei Regen möchte ich nicht gehen. Aber bald zeigt der Mond wieder ein breites Grinsen. Der Tour steht nichts mehr im Weg, höchstens die Angst.

Am Parkplatz sind wir die ersten, knapp vor einem anderen Kleinbus. Die lokalen Guides kommen auf Mopeds. Neugierig nähern sie sich, unterhalten sich mit Ketut und bewundern seinen Sohn. Ketut bietet uns noch einen Schluck Jamu an – eine Art „Energy-Drink“, dessen Zubereitung aus viel Gelbwurzel, Limone und Palmzucker wir am Vortag von den Beiden gelernt haben. Dann steigen wir Stufen hinauf zum Tempel Pura Pasar Agung. Dort entzündet er Räucherwerk. In der Tempelküche brennt Licht. Hinter der Anlage beginnt der Dschungel – und unser Aufstieg.

Der schmale vom Regen ausgewaschene Weg führt fast senkrecht den Berg hinauf, der Gipfel ist dort im Dickicht nicht zu sehen. Manchmal lächelt der Mond durch die Bäume. Ich habe beileibe nicht annähernd so viel Kondition, wie ich geglaubt, erhofft habe. Meine Fußmärsche durch die Großstadt, die Wohnung im vierten Stock ohne Lift, das reicht nicht wirklich als Training für das Besteigen von Bergen. Bald schon bin ich nass vom Schweiß, ringe nach Luft und spüre mein Herz bis in die Schläfen schlagen. Ich verfluche mich, uns, diese blöde Idee. Zu stolz, um so früh schon um eine Pause zu bitten, verzögere ich, durch häufiges Trinken aus der warmen Wasserflasche. Irgendwann wird mir schlecht. Die Männer sorgen sich.

Eine Gruppe junger Franzosen – zwei Mädchen, ein ständig jammernder Bursch – zieht an uns vorbei. Am Weg hinauf werden wir sie immer wieder treffen, mal liegen wir vorne mal sie. Irgendwann geht es dann besser, ich finde einen Rhythmus und wir unterhalten uns mit Ketut. Ich erzähle, dass wir in meiner Kindheit immer auf den Berg gegangen sind und meine Tiroler Verwandtschaft das noch immer tut. Er stellt Fragen über Österreich und erzählt davon, wie er mit Silvanas Onkel in Rostock fischen war. Der hat ihm die Stirnlampe geschenkt, die uns jetzt den Weg leuchtet. Ob man die Krise bei uns spürt, will er wissen. Dass die Leute bei uns in Europa so viel arbeiten, stellt er fest: „In Bali also eight hours – but different“, grinst er. Er achtet gut auf uns.

Manchmal drehen wir uns um. Die Wolkendecke ist aufgerissen und unter uns liegt Bali. Denpasar zeigt uns Ketuk und Klunkung, die alte Königsstadt, wo einst die Holländer Männer, Frauen, Kinder hingemetzelt haben. Einmal legt er eine Zigarettenpause ein. Ich genieße den süßlichen Geruch der balinesischen Zigaretten und vor allem die Gelegenheit zu verschnaufen. Zwischendurch beschwöre ich meine Mantras. Ich denke an die Meditationsmärsche mit Josef, die meist genauso steil bergauf geführt haben, an die Familienausflüge meiner Kindheit. Ich denke: „Nie zum Gipfel schauen, immer nur an den nächsten Schritt denken.“ Und „Nami Amida Butsu“. Nur nicht aufgeben, immer weiter steigen.

Längst haben wir die Baumgrenze hinter uns gelassen und klettern über einen Lavastrom nach oben, manchmal die Taschenlampe im Mund, auf allen Vieren. Ein, zwei Mal verlier ich fast das Gleichgewicht. Andere Gruppen überholen uns. „How far is ist?“, frage ich Ketuk. „Fifteen minutes“, antwortet er – und ich weiß, dass es gelogen ist. Das hat mein Papa auch immer gesagt, wenn es ums Durchhalten ging. Der Wind singt, Ketuk weist uns darauf hin. Die Sterne sind zum Greifen nah. Und plötzlich ist die letzte Hürde überwunden.

Am Gipfel treffen wir auf eine bunte internationale Gesellschaft, ein schier babylonisches Sprachgewirr ist zu hören. Die einheimischen Guides schenken Kaffee aus. Die Menschen lachen und singen. Unter den Guides ist auch ein fröhliches einheimisches Mädchen mit Marienkäferhandschuhen. „My sister“, erläutert einer, der an diesem 15. August schon zum neunten Mal in diesem Monat auf dem Vulkan war. Beim Abstieg wird er die leeren Plastikflaschen einsammeln, die Touristen achtlos weggeworfen haben. So schöne Gesichter. Ketuk sitzt an einen Felsen gelehnt und raucht, stolz und zufrieden.

Der Himmel färbt sich rosa und die Vulkane von Lombok tauchen aus den Wolken auf. Und in mir wird es still. Tränen fließen. Ich spüre das Göttliche. Die Sonne geht auf. Mein Vater ist bei mir. Ich bin unendlich glücklich, dass ich all das erleben darf, kann. Ich küsse den Liebsten, der seit 20 Jahren bei mir ist an finsteren Tagen und in hellerleuchteten Nächten, der mit mir Vulkane besteigt und auf den Grund des Meeres taucht. Die Sonne geht auf. Im Krater wächst ein Bäumchen.

Der Weg hinunter ist fast noch härter als der Aufstieg. „It’s a hard way to the top and even harder to go down”, tönt es in meinem Kopf. Meine Füße schmerzen, ich habe wenig Kraft, kaum Trittsicherheit, mehr als einmal rutsche ich aus und falle auf meinen Hintern. Erst jetzt, am Morgen, offenbart sich die ganze Schönheit dieses Berges. Der Übergang von den Lavaströmen des letzten Ausbruchs zum Dschungel mit wunderbaren Blumen, Mimosenbäumen, Tamarinden. Eine Affenherde scheint sich über uns lustig zu machen. Und dann nach endlosen Stunden sind wir endlich wieder beim Tempel angekommen. Wir spenden dem Tempelwächter, werfen noch einen letzten Blick hinauf und steigen die Treppen zum Parkplatz hinunter. Der Liebste nimmt mich an der Hand. Jeder Schritt tut weh.

Die ersten Gläubigen kommen uns entgegen. Frauen in wunderschönen weißen Blusen, Blumen im Haar und viereckige Körbe am Kopf. Darin befindet sich alles, was sie für die Zeremonien im Tempel brauchen und Essen, das hier gemeinsam verzehrt wird und von dem ein Teil quasi geweiht nach Hause getragen wird. „Selamat pagi“, grüßen wir uns. Am Parkplatz stehen die Männer und rauchen.

Silvana hat uns erwartet. Sie ist stolz auf ihren Mann, beneidet uns um die Tour, das Erlebnis. Wir sitzen noch eine Weile auf den Stufen und reden. Ketut hat seine Zigarettenstummel wieder vom Berg herunter genommen, bemerkt sie und ist strahlt ihn an. Auf der Rückfahrt schläft er mit Samy auf der Brust im Auto, auch wir nicken immer wieder ein. Irgendwo hält Silvana und kauft uns Bakso – köstlich scharfe Suppe, wie sie hier überall auf den Straßen angeboten wird. Sie schmeckt und tut unendlich gut.

Wir sind sehr müde, als wir beim Hotel ankommen. Aber voll Glück und Dankbarkeit. Bergkameradschaft fällt mir ein, der arg strapazierte Begriff aus meiner Heimat. Wir sind Freunde geworden und werden uns wiedersehen.
Danke.

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testsiegerin - 22. Aug, 09:54

Das war ein ganz seltsames Gefühl, das zu lesen. Weißt du, ich hab mit dir gebangt, geschwitzt, gezittert, geschnauft, und ganz oben am Gipfel, da hab ich sogar beim Lesen dieses Glücksgefühl gehabt.
Danke fürs dran teilhaben lassen.

Mein Papa hat immer "eine halbe Stunde" gesagt.

katiza - 23. Aug, 18:46

Wie schön, dass du mitgegangen bist!
nanou - 23. Aug, 17:26

O.T.

Liebe Katiza,
auch wenn es nicht zu Ihrem heutigen Beitrag passt, so glaube ich doch zu Ihrem Urlaub. Die Mutter einer Freundin brachte vor langen Jahren einmal aus Bali (so meine ich mich zu erinnern, bin aber nicht sicher darin) wunderschöne Stabpuppen als Andenken mit. So wünschte ich mir immer wieder, einmal bei einer Theateraufführung vor Ort (also auf dieser Insel) dabei zu sein. Ist diese Erinnerung richtig? Gibt es diese Aufführungen dort und wenn ja, sind sie vorrangig Touristenklamauk oder auch noch traditionell mit vorwiegend einheimischen Zuschauern anzutreffen?,
fragt Nanou

katiza - 23. Aug, 18:54

Oh ja, die gibt es noch - wir haben leider keine gesehen. Interessanterwiese finden sich auch bei den meisten Tanzvorführungen auch immer wieder einheimische Besucher. In Bali hat fast alles (noch) auch spirituellen Charakter und wird insofern gepflegt, z.B. der Barong-Tanz, der einst immer dann aufgeführt wurde, wenn der Gemeinschaft Gefahr drohte - und die droht auch durch die Touristen - insofern ist es mehr als rechtens, dass der uralte Kampf zwischen Gut und Böse heute öfter zur Aufführung kommt. Er endet übrigens unenetschieden - auch das sehr weise!
books and more - 23. Aug, 17:47

Da reiste ich auch gerne einmal hin, liebe Katiza! Das klingt traumhaft, und so las ich eben auch 'Längst haben wir die Traumgrenze hinter uns gelassen...'

katiza - 23. Aug, 18:55

Wie schön das mit der Traumgrenze, das hat schon seine Richtigkeit. Und JA, machen Sie das, Herr Direktor!
Treibgut - 15. Okt, 21:28

Vulkan

Schön, dass mal jemand Points in Indonesien setzt. Die Tour ist zwar schon etwas her, aber der Beitrag ist lesenswert und das Erlebnis sicher eine großartige Erinnerung.

katiza - 16. Okt, 16:54

Oh, Herr Treibgut, wie schön, dass es Sie über Stories & Places an meine Gestaden gestrieben hat und dass Ihnen meine Geschichte gefallen hat - ich liebe Vulkane...
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