22
Okt
2009

Windungen

Vielleicht ist es einfach der Herbst, der die Vergangenheit wie Blätter von den Bäumen weht. Manchmal zaust sie mich gar wie der kalte, alles durchdringende Wind dieser Stadt, dass es weh tut.

Paddabompaddabompaddabom tönt es am Samstag durch unsere Gasse, als ich das Haus verlasse. Ich versuche das Geräusch noch einzuordnen, da sehe ich den Buben schon, der einen Ball gegen die Wand schlägt. Aufpäppeln lässt, schlägt. Aufpäppeln lässt schlägt – das habe ich auch oft gemacht. Auch imHerbst. Die Luft riecht nach Laub, irgendwie. Paddabompaddabompaddabom. Ein kleines Mädchen, dick vermummt, sieht zu mir her. Paddabompaddabompaddabom. Kinder, die auf der Gasse Ball spielen, sind selten geworden, so nah am Herzen einer Großstadt überhaupt.. Auch das ist Wien, denke ich mir. Als ich um die Ecke biege, erfasst mich der kalte Wind. Auch das ist Wien, denke ich mir.

Wie ich diesen Wind hasste, als ich neu in der Stadt war. Eigentlich nur den Wind. Allles andere fand ich wunderbar. Mein „Wohnzimmer“ lag schräg gegenüber von meiner Parterre-Wohnung im Souterrain. Es hatte einen mehr oder minder originellen Namen und durch die Fenster konnte man im Vorbeigehen ausmachen, welches von den zahlreichen mehr oder minder possierlichen Haustiere sich an der Tränke labte. Dorte labte ich mich, dort liebte ich, dort lebte ich. Semesterlang und irgendwann dann wechselte ich von vor der Bar hinter die Bar. Die Haustiere blieben die gleichen, die Geschichten auch. Geliebte, Gefürchtete. Manchmal fegte das Schicksal durchs Lokal. Der Weg zwischen Erdgeschoss und Souterrain war kurz, nie war ich lange dem kalten Wind ausgesetzt.

Der Weg zur Uni war weiter. Und was war schon eine Universität früh morgens gegen ein Universum in der Nacht."If you close the door the night will last forever." Es war mein Universum, ich war dort Königin. Nein nicht Königin, sondern Kronprinzessin. Königin war sie, die Wirtin, meine Freundin. Unsere Freundschaft erfüllte mich mit sanftem Stolz. Ich war nicht so gut mit Frauenfreundschaften, sie auch nicht. Sie achtete ein bisschen auf mich, kuppelte da und dort und mahnte dann und wann. Meist bei einem Spritzer, Rose Mineral und spät nachts einem Williams oder Fernet. Zwei Mal im Jahr machte sie alkoholfreies Monat. Zwei, drei Mal machte ich mit. Zu gefährlich der Job. Zu abschreckend die Beispiele.

Wie jener Gast und Freund, der eines Nachts begann, verzweifelt Spinnen und Käfer von seinem Körper zu verscheuchen – mehr und mehr wurden es, wir sahen sie nur in seinen Augen. Am nächsten Morgen Baumgartner Höhe und dann Entzug. Er verbrachte zig Nachmittage, in denen der kalte Wind durch die Straßen pfiff bei heißem Kaffee in meiner Küche, damit er trocken bleibt. Abends übernahm die Wirtin, übernahm das Lokal. „Er wird wohl rückfällig werden“, propehzeite sie, ich nickte. Früher war sie Sozialarbeiterin. Damals immer noch.

Ich bewunderte sie, die nur wenige Jahre älter ist als ich. Sie ist Vorarlbergerin, fuhr eine Yamaha Midnight Star, hatte lange blonde Haare, spielte Squash und sogar ein wenig Gitarre. Sie war die „Unknown Legend“. Sie war die Königin. Und sie war eine Freundin wie aus dem Mädchenbuch. Nichts konnte unsere Freundschaft stören. ich war die Einzige imLokal, der sie von ihrer Hochzeit erzählte. Niemandem durfte ich den wirklichen Anlass für das Sommerfest beim Heurigen verraten. Und ich hielt dicht. Sie konnte sich auf mich verlassen. Auch als die Ehe scheiterte. Ich konnte mich auf sie verlassen. Auch als sie dem Typen mit dem Wuschelkopf, der sie nach ein Uhr morgen nach mir fragte, entgegen jeglichen Hausbrauchs einen Toast servierte. Und ein Telefon. Schließlich hatte ich mit einem anderen das Lokal verlassen. Der Typ war der Liebste. Es war Frühling. Es wehte ein laues Lüftchen.

Irgendwann zu der Zeit hörte ich auf zu kellnern, ich hatte einen echten Job gefunden. Ich blieb noch eine Zeit Stammgast.Wir blieben Stammgäste, der Liebste und ich. Und ich vernachlässigte meine Freundin. Die Liebe, der Job jenseits der Grenze, neue Freunde. Und doch: Jahre trieben wir uns in derselben Herde herum. Allein- zu zweit kaum mehr. Manches nervte mich an ihr, manches sie wohl an mir. Kleinigkeiten kein Bruch, eher ein Auseinanderdriften durchs Grätzel. Sie hatte kein Glück mit der Liebe. Einen geliebten Teilzeithund hatte sie ihr der Katzenfreundin eingetragen und eine Quasi-Schwiegermutter als Seelenfreundin. Mit dem Lokal hatte sie auch kein Glück. Mit dem Alkohol, dem Leben. Das Mädchen aus den Bergen fror immer mehr, verlor sich in der Stadt.

Meine, unsere, Putzfrau – und wunderbares Wesen – hat mir all das über die Jahre erzählt. Morgens stehend, in der Küche. Einmal habe ich Frau Wirtin angerufen, sind wir zusammen spazieren gegangen. „Das machen wir bald wieder.“ Später habe ich sie dann wieder angerufen, weil sie auf Entzug war. „Nein, komm mich nicht besuchen. Nachher treffen wir uns.“ Ich habe nicht mehr angerufen, sie hatte wohl weder die Kraft, noch das Geld. Ich habe mich für mich geschämt morgens in der Küche, wenn ich hörte, wie sie litt, leiden musste. Ich habe oft an sie gedacht. An damals..

Eine Stammgästin aus jenen Tagen feiert in diesen Tagen einen runden Geburtstag, ein fröhliches Vollweib mit Mädchen-Allüren. Der hagere Genießer an ihrer Seite richtete ein prächtiges Fest aus und ich bin geladen. Der Liebste ist verhindert. Meine, unsere Putzfrau weiß viel von der herrschenden Aufregung zu berichten, denn auch dort ist sie guter Geist und Vertraute. Frau Wirtin wird auch da sein. Ich freu mich auf sie.

Wenn ich die Brille abnehme, sieht sie fast aus wie damals. Ich bin kurzsichtig und wir sitzen uns schräg gegenüber. Kurz fällt mir eine Geschichte von Ingeborg Bachmann ein über eine Frau, die Angst hat die Brille aufzusetzen, weil sie die Welt in ihrer Klarheit nicht sehen will. Die Geschichte habe ich damals gelesen , in diesen Jahren. Wir hatten darüber gesprochen. Ich fühle mich nervös, hektisch. Aber kennt sie mich anders aus jenen Jahren? Kennt sie mich? Kenne ich sie? Ihre Augen sind so traurig. Sie wirkt verloren auf diesem fröhlichen Fest. Ich fühle mich verloren. Wie unter einer Glocke der Jahre. Die blonden langen Haare glänzen wieder. Und sie hat auch wieder abgenommen. Wenn da nicht diese Traurigkeit wäre, die ebenso deutlich zu spüren ist wie die Angst. Ich denke an die starke Frau auf dem Motorrad, an den gemeinsamen Urlaub in Sardinien, daran wie sie Betrunkene vor die Tür gesetzt hat, an ihr Lachen, unsere Nächte. Ihren Schmerz. An alles was sie für mich getan hat. Und kann nichts tun. Und trinke. Der Gastgeber hatte ihr Johannesbeersaft ins Glas gegeben, damit niemand blöde Fragen stelle, erklärt sie mir gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Vielleicht hat sie befürchtet, dass ich frage. Oder nicht frage. Da sitzen wir mit den vergangenene Gefühlen, unfähig die Zeit dazwischen aufzufüllen, sehr Persönliches vermischt mit Oberflächlichkeiten. Und kann, und will nichts tun.Ich hole mir noch ein Glas Sturm.

Es geht ihr gut, beteuere ich mir im Rhythmus meiner Schritte als ich von diesem Fest zum nächsten eile. Der kalte Wind. Hätte ich nicht trinken sollen neben ihr? Um Mitternacht habe ich vom Geburtstag zum Todestag gewechselt. Ein Fest gewidmet Einem, der vor zehn Jahren in die falsche Richtung gefahren ist. Auch Vergangenheit, auch ein Grund zu trinken. Der Erstgeborene hat aufgelgt und ich habe getanzt und endlich gelacht und getrunken. Es war hell als ich vor seiner Türe stand. Vielleicht war es auch windstill.


TheplaceIwanttobe
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schneck08 - 23. Okt, 19:27

kann man ja nicht viel sagen, man war ja nicht dabei. aber: ganz wunderschön beschrieben...

katiza - 23. Okt, 19:39

Vielleicht habe ich hier zu viel gesagt und zu ihr zu wenig.
Danke.
ConAlma - 23. Okt, 19:43

Das "Zuwenig" bleibt so oft als große Frage übrig.

Ach und der Wiener Wind. Den vermisse ich im Westen am wenigsten.
katiza - 23. Okt, 20:25

Ich stimme ihnen zu, Frau Alma, wie so oft.
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