3
Nov
2009

Wiener Begegnung

Er hatte mich ins Auge gefasst und ging zielstrebig auf mich zu. Ich hatte ihn schon während der Diskussion bemerkt gehabt – was nicht weiter verwunderlich ist, da nicht viel mehr als 50 Leute gekommen waren, viele bekannte Gesichter, vertraute Augenpaare, sich daran festzuhalten. Die beiden älteren Herren, die ich zum ersten Mal bei einer unserer Veranstaltungen bemerkt hatte, saßen in der dritten Reihe. Einer von beiden meldete sich auch zu Wort, der andere kam jetzt nach Ende der Diskussion auf mich zu.

Er trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose, Hosenträger und eine Brille, deren rechte Scheibe mit Leukoplast verklebt war. Er war noch ein paar Meter von mir entfernt als ich ihn schon roch, diesen unangenehm süß-säuerlichen Altmännergeruch. Da begann er auch schon zu sprechen mit erhobenem Finger näher kommend: „Noch einmal zu den Ausländern, so einfach ist das nicht“, nahm er auf die Wortmeldungen zur zunehmenden Entsolidarisierung Bezug. Jetzt stand er direkt vor mir, viel zu nahe, zwischen uns sein mächtiger schwarzer Bauch und dieser Geruch, der mich ein wenig zurückweichen ließ. „Genossin“, sagte er jetzt und ergänzte: „Nehm ich an.“

Ich lächelte. Ich bin keine Genossin, ich bin eine philosophische Linke, aber Genossin keine. Obwohl das viele annehmen auf Grund meiner Arbeit. Vielleicht hat mich auch deshalb nie jemand versucht anzuwerben. Und so lächelte ich und schwieg. Auch aus Feigheit – muss ja niemand so genau wissen, dass ich keine Genossin bin, dort.

„Das ist einfach schwierig mit den Ausländern – vor allem in den Arbeiterbezirken…“, rechtfertigte er die Parteilinie. Ich stand zwischen zwei klugen jungen Frauen von ATTAC. Blickwechsel aus dem Augenwinkel, während der Mann von der Sauna in Favoriten erzählte und den Sorgen der ehemaligen SPÖ-Wähler dort, die längst nach rechts abgedriftet sind. „Wegen der Ausländer im Gemeindebau und so.“ Manche Sätze klangen schon sehr nach Herr Karl. Freundlich bleiben, mahnte ich mich. Zuhören, immer zuhören. Ein alter Mensch, im Alter meiner Eltern, der hat doch auch etwas zu sagen. Er war gebildet, gepflegte Sprache. Wenn ich in seinem Redefluss zu Wort kam, versuchte ich Einwände unterzubringen: „Keine Parteilinie, kaum jemand bezieht Position, schon ein bissl feig, schwammig…“

Die Grünen wären ja auch naiv, erklärte er und wandte sich an die ATTAC-Ökonomin: „Sie sind ja sicher eine Grüne..“ Sie verneinte amüsiert. Der alte Mann mit seinen Schubladen. Manchmal nahm er die Brille ab und putzte die nicht abgeklebte Scheibe. Wohl auf dem rechten Auge blind. Dann kam er mir noch näher und ich versuchte während ich zurück wich, zwischen den Falten seine Augen zu erkennen. Wortlos kommunizierten wir, drei freundliche, kluge Frauen, die gerne gehen wollten. Es war schon halb zehn und fast alle anderen waren schon weg, auch die befreundete Politikerin mit der ich noch auf ein Glas wollte. Aber zwischen uns und dem Ausgang standen dieser Mann und seine Parteinahme.

Und doch zu höflich ihn zu unterbrechen. Und gebauchpinselt, weil er die Moderatorin, mich, gelobt hat. Nach weiteren Veranstaltungen dieser Art erkundigte er sich und bat um schriftliche Verständigung, noch bevor ich antworten konnte, schrieb er seine Adresse mit schöner geschwungener Schrift auf einen Zettel. „Wissen Sie“, sagte er während er den Zettel faltete und mir übergab: „Ich war einer der wenigen ehemaligen KZ-Häftlinge, der zur SPÖ gegangen ist und nicht zu den Kommunisten…“

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Jossele - 4. Nov, 09:23

Schubladen sind ein bequemer Weg.
Ich selber wüßte nicht zu sagen, was z.B. eine "Grüne" ist. Die Bandbreite ist groß und beschränkt sich sicher nicht auf eine Parteilinie.
Sind alte Menschen weiser? Schwer zu sagen.

Das Zunehmen der Intoleranz korreliert auffallend mit dem Verschwinden der Linken.

katiza - 4. Nov, 15:37

Alte Menschen haben mehr erlebt, dieser auf alle Fälle und eine ganze Menge schrecklicher Dinge dazu, ob einen das weise macht, weiß ich auch nicht, das kann man aber nur herausfinden, wenn man zuhört und statt sich über Schubladen zu ärgern die eigenen fein geschlossen lässt.

Sind die Linken toleranter? Wohin sind sie verschwunden, verschwinden sie?
Jossele - 4. Nov, 16:02

Dass Linke tolleranter sind wäre wieder eine Schublade, aber ein Hauch von "Miteinander" war seinerzeit doch auf unseren Fahnen. Wohin das verschwunden zu sein scheint, keine Ahnung, ich sehe es kaum noch (na ja, vielleicht brauch ich nur eine neue Brille).

Zum gegenständlichen älteren Herrn - und ich gehe da auf dünnem Eis - Biografie muß nicht charakterbildend sein, sage ich jetzt ohne ihn zu kennen, geschweigedenn verallgemeinern zu wollen.
Ich habe ehemalige KZ-Insassen gekannt, die waren (verständlich) von Haß geprägt und Zynismus, andere von Lebensweisheit (mir fällt kein anderes Wort ein).
An einem düster schrecklichen Ort gewesen zu sein, unsagbare Dinge erlebt zu haben, das allein macht niemand weise, anders allemal.
elke66 - 4. Nov, 16:04

Toleranz ist immer Toleranz gegenüber den Andersdenkenden (Rosa Luxemburg) sonst wäre es ja nicht so schwierig. Muss man manchmal dran erinnert werden. Gut, wenn es jemand tut.
Jossele - 4. Nov, 16:08

Rosa Luxemburg war eine weise Frau.
katiza - 4. Nov, 16:16

@Jossele1: das mit dem Miteinander empfinde ich ähnlich - ich weiß aber nicht, wie es jetzt z.B. den jungen Menschen im Audi Max geht, ob da nicht eh so ein Miteinander herrscht und das alles bloß mit den Jahren abkühlt oder auch von mir nicht mehr so wahrgenommen wird. Ich gebe Ihnen recht, so ein Schicksal muss nicht weise machen, auch nicht sympathisch und doch schäme ich mich für mein Schubladendenken und das anschließende Umschubladieren.....tja.
@Elke66: Oh ja, ich mag dieses Zitat sehr gerne, habe es gerade unlängst zitiert und vergesse es offenbar immer noch viel zu oft...
500beine - 4. Nov, 15:15

Das passt jetzt null hier her, aber für den Link zum Daumenkino für Jonathan, dafür wollte ich mich mal bei dir bedanken. Ich bin mir übrigens ein schöner der Welt größter Jonathan Richman-Fan. Da war er auf Tour und ich habe NICHT MAL mit dem Gedanken gespielt, ihn mir anzugucken, obwohl er gerade mal 40 Kilometer entfernt in Köln auf der Bühne stand. Warum? Ich mag dieses monotone Getrommle nicht von seinem Begleiter. Trotzdem! Dumme Ausrede! Ich war nicht da! ICH HAB NICHT MAL MIT DEM GEDANKEN GESPIELT.. ! ICH BIN MIR EIN SCHÖNER DER WELT GRÖSSTER...!

Na schön, scheiß drauf, honey, und: "Make a mistake for me, today."

Le Glummi

katiza - 4. Nov, 15:53

Ego te absolvo, Monsieur Le Glumm - shit happens, wie Sie ja wissen - und danke für den frommen Wunsch ;-)
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