14
Mai
2010

Puppi

„Haxi schön“ steht am Wochenkalender unseres Nachbarn. Fast jeden Tag in diesem Jahr, fein säuberlich am Ende jeden Tages, fast jeden Tages. Der Kalender hängt über einem Spiegel in der winzigen Küche der Nachbarwohnung. Darunter steht eine Bank, weiß überzogen, ein einfacher weiß gestrichener Holztisch, gegenüber der Fernseher, ein altes Gerät. Eine Elektroplatte steht auf dem uralten Herd, Stoffbärchen da und dort, Plastikblumen, Kitsch, vor der Tür ein Gold verbrämtes Aquarium mit dem Namen des Nachbarn drauf, auch in Gold, darin Seltsames, eine Ritterburg, Steine, Blumen. Ich habe sowas aber auch schon als „Kunst“ gesehen. Für unsere Nachbarn ist es Teil ihres Lebens, wie die Micky-Mouse-Ohren, die wir von Eurodisney als Pressegeschenk mitgebracht, irgendwann entsorgt, am Beifahrersitz seines wohl gepflegten uralten Opels wiederentdeckt haben, dem Sitz seiner Frau, der Hanni, der Puppi.

Dass sie so hieß, die kleine, zarte, alte Dame mit dem rosa leuchtenden Mädchengesicht, habe ich erst vorgestern erfahren. Wie eine Puppe, ein süßes Wiener Mädl wirkte sie, nur älter geworden. „Die Gattin“ sagt Herr W., wenn er von ihr spricht. Vorgestern sagte er erstmals Hanni und Puppi und meine Frau. Die Gattin bin auch ich für ihn, wenn er mich grüßen läßt durch meinen Mann. Spricht er mit mir direkt, sagt er „Gnädige Frau“. Frau Katiza nannte er mich vorgestern, der Herr Walter, als wir zu dritt auf seiner Küchenbank in der blitzsauberen Küche geweint haben.

Ich ahnte es, als ich die Rettungswagen vor der Tür sah, aber ich dachte mir, so viele Rettungswagen für so wenig Frau. Erst vor ein paar Tagen hatten wir die Beiden getroffen. Sie war so tapfer, die kleine Frau an seinem Arm, stets lächelnd und doch schmerzensvoll. Wie meine Mutter, nur ärmer, weicher wohl. Sanfter und einfacher. Einfache Leut‘ klingt doch seltsam für diejenigen, die es meist nicht so einfach haben im Leben. 80 wäre sie geworden im Juli, alles war vorbereitet, sagte Herr Walter und blätterte in dem Wochenkalender, in dem das Leben der beiden Nachbarn fest gehalten ist. Krank war sie halt sehr, ein Herzschrittmacher und die Beine. Aber das wäre schon gegangen und er zeigt uns die Einträge: Haxi schön. Kasteln putzen. Die großen Pflichten, die kleinen Tagessiege. Wie bei meiner Mama.

Er ist ein fescher Mann, unser Herr Nachbar, heute wird er 71. Was für ein trauriger Geburstag. Wie ein Hausmeister wacht er über das Haus und die nähere Umgebung. Einmal hat er den jungen Wilden unter uns die Türe eingetreten, das war aber schon vor 12 Jahren und Black Sabbath ist ja wohl nicht jedermanns Sache. Einmal hat er den Vandalen gestellt, der den kirchlichen Schaukasten regelmäßig ruiniert hat. Da ist er vom vierten Stock hinunter gesprintet. Einmal hat er uns die Türe neu gestrichen, einfach so. Als uns ein rosaroter Cadillac zur Hochzeitsreise abgeholt hat, haben sie uns gewinkt, er und seine Frau, von ihrem kleinene Balkon aus. Eine Flasche Wein aus dem Burgenland haben sie uns geschenkt. Wenn ich ein Autofenster offen ließ oder den Hausschlüssel am Postkasterl vergaß, hat er ihn mit herauf genommen und gemahnt. Waren wir im Urlaub, hat er das Reklamematerial vor der Türe entsorgt. Ein seltsamer älterer Herr, der immer tadellos gepflegt mit Aktentasche aus dem Haus geht und am Wochenende sein Auto putzt. Im Sommer fahren sie Podersdorf, er und seine Hanni, sind sie gefahren: "In Podersdorf ist man allein niemand".

Seine Frau haben wir in den letzten Jahren immer seltener gesehen. Der Aufstieg in den vierten Stock war nach der Herzoperation schon sehr mühsam für sie. Manchmal habe ich sie getroffen zwischen den Stockwerken, erschöpft und außer Atem. Da haben wir dann ein Schwätzchen gehalten, ihre schönen blauen Augen haben gefunkelt vor Freude, sie hat mich angestrahlt und ihre kleine Hand war so warm in meiner. „Sie hat Sie geliebt, meine Katiza hat sie immer gesagt“, hat Herr Walter vorgestern erklärt, als wir gegen Mitternacht seine Wohnung verlassen haben.

36 Jahre waren sie zusammen, die Hanni und der Walter. Sie war die dritte wichtige Frau in seinem Leben nach der Trafikantin aus Hernals, die erstickt ist, und Augustine, die an Brustkrebs gestorben ist. Maler und Anstreicher war er, als ihn die Hanni für einen Auftrag engagiert hat, hier im Haus, in ihrer Wohnung und dann haben sie sich wohl verliebt. So alt wie ich war sie damals, er neun Jahre jünger. „Sie hat es nicht immer einfach mit mir gehabt.“ Er entschuldigt sich, dass er die Straßenschuhe anhat, hier in der Küche, das hätte sie gar nicht gerne gesehen. So viel Liebe spüre ich, in dieser Küche, in diesem Schmerz.

Schnitzeln hatte es gegeben zum Mittagessen, sie haben sich noch über die Amsel vor dem Fenster unterhalten, dann sei sie plötzlich von der Bank gekippt. „Walter“ hat sie noch gesagt in seinen Armen. Die Rettung sei so lange nicht gekommen. Er habe auch noch die Polizei gerufen in seiner Verzweiflung. Sie haben ihn aus der Küche geschickt. Dann ist einer gekommen und hat gesagt, dass sie nichts mehr tun können. Im Stock unter uns haben sie gesehen, wie der Sarg vorbei getragen wurde. Der Trafikant, der uns das Beileidbillet verkauft hat, wusste Bescheid, der weiß immer Bescheid. Der Herr W. werde sich wohl ansaufen, vermutete er.

Später, abends, haben wir an die Türe geklopft. Er hat uns dann auch noch die Wohung gezeigt. Erinnerungsstücke zweier Leben, die eines waren in all diesen Jahren. Auf einem Kasten Äpfel, fein säuberlich aufgereiht. In einem Raum hängt Wäsche, ein Nachthemd der Frau rutscht von der Leine. Herr W. befestigt es wieder und ich weiß, dass es noch lange hier hängen wird. Er hätte auch noch eine Waffe, meint er irgendwann und dass es so viel einfacher wäre, sie jetzt zu nutzen. "Ich bin ein Militarist", sagt er. Ich drücke seinen Arm. „Bitte nicht“, sag ich und „das hätte die Frau Hanni nie gewollt“. Dass es ein glücklicher Tod war, betone ich, hier am Mittagstisch in seinen Armen, keine Ärzte, den liebsten Menschen bei sich, keine Qual, keine Schmerzen mehr, aus. Das Weiterleben ist trotzdem schwer, das weiß ich schon. Dass wir auf ihn schauen, versprechen wir ihm und der Hanni.
„12 :14“ steht am Mittwoch, dem 12. Mai 2010 am Kalender „Puppi verstorben“.

wenk1
1128 mal erzählt

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ConAlma - 14. Mai, 20:44

Danke.

testsiegerin - 14. Mai, 21:32

das ist total traurig. und total schön geschrieben. obwohl ich die beiden nicht kenne, sehe ich sie deutlich vor meinen augen.

elke66 - 14. Mai, 21:36

Das ist mit dem Herzen geschrieben. Dafür schätzen wir sie doch alle, unsere Frau Katiza. Weil sie so hinsehen kann, und so mitfühlen und es so weitergeben.
rosmarin - 15. Mai, 01:41

...

katiza - 15. Mai, 16:27

Es ist sehr traurig.

Jossele - 17. Mai, 15:35

Traurig ist es, und schön ist es, weil es ist voller Leben.
Was für andere bleibt ist oft nur eine beiläufige Notitz, aber du hast sie mit Inhalt gefüllt.
Weinige Worte aber anteilsvoll.
Man muss sie nicht gekannt haben, aber ihr Fehlen ist merkbar...

steppenhund - 18. Mai, 16:50

Berührend geschrieben. Traurig?
Ich bin wohl anders.
Ich sehe in der Geschichte die vorangegangene Gemeinsamkeit eines Lebens, in der sie es nicht immer leicht hatte mit ihm - aber ausgehalten hat sie es doch. Und die Bewältigung der kleinen Pflichten haben vielleicht mehr Genugtuung und Genuss bereitet als sie der nur eben mal kurz nach Monaco eingeflogene Filmstar empfindet.
Ich lese in der Geschichte über alte, n i c h t verbitterte Menschen, über Menschen, die sich um andere kümmern. Das ist nicht traurig. Das ist wunderschön. Mein ganzes Leben lang hatte ich mit alten Menschen zu tun. Bei meiner Großmutter hörte ich mir eine Stunde lang an, wie sie über ihre Nachbarn schimpfte. Ich empfand das damals ganz normal. Heute würde mich ein gewisses Entsetzen erfassen. Ich kann die Stimmen mancher alten Menschen vernehmen, wo ich nicht einmal verstehen muss, was sie sagen. Der nörglerische, keppelnde, sich beklagende und selbstbemitleidende Tonfall ist unerträglich.
Und dann hört man oder liest man manchmal Geschichten über alte Ehepaare, die einen mit strahlenden Augen aus einem verrunzelten Gesicht anlächeln. Das gibt Hoffnung. Man kann in Würde altern, man kann in Zufriedenheit alt werden.
Das es einmal endet ? Das ist das Problem für den Übrigbleibenden. Der kann sich dann die Frage stellen, ob er irgendwann Zeit abgezwackt hat, die er besser seiner Frau hätte widmen sollen. In dieser Geschichte lese ich das nicht.
Ich lese das Ertragen von großen gesundheitlichen Einschränkungen. Ich lese nicht von den Klagen darüber.
Nein, das ist keine traurige Geschichte.
So vieles, dass man dem Alter gerne zutraut, eine wachsende Unzufriedenheit, eine charakterliche Veränderung zum Schlechteren, der Rückzug in Zynismus und selbstgewählte Einsamkeit, das alles lese ich nicht.
Trauern gehört dazu.
Traurigkeit und Leiden erdulden? "Nein, das hätte die Hanni nicht gewollt."
Das lese ich aus der Geschichte.
Aber ich bin wohl anders...

katiza - 19. Mai, 08:28

Danke, Herr Steppenhund, dass Sie die Würde und Zufreidnheit der beiden aus der Geschichte heraus gelesen haben und die Liebe. Dass es endet, ist immer das Problem der Übrigbleibenden und das ist traurig, der alte Mann in der Friedenszinswohnung, die schon für beide zu groß war, der es nicht fassen kann. Jeden Tag sagt er: "Wissen Sie, gnädige Frau, ich hab es noch nicht begriffen." Verwundert ist er über das Essen, das wir ihm rüberbringen, über die Nettigkeit der Menschen auf den Ämtern. Dieses Verwundertsein ist traurig.
steppenhund - 19. Mai, 10:32

Dieses Verwundertsein ist traurig
genau das muss traurig stimmen, da stimme ich zu. Und da sehe ich dann Anlass für noch viel umfassendere Trauer. Diese Nicht-Erwartung von gegenseitiger Hilfe lässt sich im Großen auch anhand der geschichtlichen Entwicklung von Versicherungen veranschaulichen. Ursprünglich als Interessensgemeinschaft zur Verteilung des unvorhersehbaren Risikos gegründet, haben sie sich zu reinen Kapitalgesellschaften mit Ausrichtung auf den Shareholder entwickelt. Der Mensch als betroffenes Opfer und die damit verbundene Schadensabwicklung ist nur mehr Marginalie.
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